Unterwegs und Daheim. Mark Twain
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Die Bänke auf dem Dampfboot stehen so, daß die Passagiere einander den Rücken zukehren. Hinter mir saßen gerade einige Damen. Auf einmal wurden sie von jemand angeredet und ich hörte folgendes Gespräch mit an:
»Sie sind wohl aus Amerika? Ich auch.«
»Ja, wir sind aus Amerika.«
»Das wußte ich – ich erkenne die Amerikaner immer. In welchem Schiff sind Sie herübergekommen?«
»In der City of Chester.«
»Von der Inman-Linie, nicht wahr? Wir in der Batavia, – Cunard, wie Sie wissen. Was für eine Überfahrt haben Sie gehabt?«
»Eine ziemlich ruhige.«
»Da können Sie von Glück sagen; unsere war schrecklich rauh. Der Kapitän sagte, so rauh wäre es nur selten. Wo sind Sie her?«
»Von New-Jersey.«
»Ich auch – nicht doch, ich meine aus New-England, in Neu-Bloomfield bin ich zu Hause. Gehören diese Kinder Ihnen beiden?«
»Nur mir, meine Freundin ist unverheiratet.«
»So! Ich auch. – Reisen die beiden Damen allein?«
»Nein, mein Mann reist mit uns.«
»Unsere ganze Familie ist mit; allein zu reisen ist schrecklich langweilig – meinen Sie nicht auch?«
»Das ist wohl möglich.«
»Oho, da kommt der Pilatus wieder heraus. Er heißt nach Pontius Pilatus, wie Sie wissen, welcher Wilhelm Tell den Apfel vom Kopf geschossen hat; im Reisehandbuch steht die ganze Geschichte, aber ich habe sie nicht gelesen – ein Amerikaner hat es mir erzählt. Ich lese nie, wenn ich so von einem Ort zum andern gehe und mich gut unterhalte. Haben Sie schon die Kapelle gesehen, in der Wilhelm Tell gepredigt hat?«
»Gepredigt hat er da Wohl nicht!«
»O doch, der Amerikaner hat es mir gesagt; er hat seinen Bädeker immer offen und kennt den See besser als die Fische, die darin schwimmen. Warum sollte sie denn auch sonst Tells Kapelle heißen?! Sind Sie schon früher hier gewesen?«
»Ja.«
»Ich nicht; es ist meine erste Reise, aber wir waren allenthalben – in Paris und überall. Nächstes Jahr soll ich in Harvard studieren und ich lerne jetzt immerfort Deutsch; ehe ich nicht Deutsch kann, werde ich nicht aufgenommen. Ich habe Ottos Grammatik immer bei mir und sehe hinein, wenn ich Lust dazu bekomme; jetzt beim Herumreisen lerne ich nicht ordentlich, sondern sage mir nur manchmal her: »ich habe gehabt, du hast gehabt, er hat gehabt, wir haben gehabt, ihr habet gehabt, sie haben gehabt!« Das geht so wie im Schlaf, und dann bin ich's wieder für ein paar Tage los. Es strengt den Verstand ganz schauderhaft an, Deutsch kann man nur in kleinen Dosen lernen; zuerst läuft alles in einander, wie geschmolzene Butter. Mit dem Französischen ist's etwas ganz anderes, das wird mir ganz leicht, ich kann: j'ai, tu as, il a u.s.w. herunterrasseln wie das Abc! In Paris bin ich sehr gut damit durchgekommen und überall, wo französisch gesprochen wird. In welchem Hotel wohnen Sie?«
»Im Schweizerhof.«
»Was? wirklich? Ich habe Sie ja nicht im Salon gesehen! Ich gehe sehr oft dahin, weil ich dort so viele Amerikaner treffe, und eine Menge Bekanntschaften mache. Sind Sie schon auf dem Rigi gewesen?«
»Nein.« »Wollen Sie hin?«
»Ja, es ist unsere Absicht.«
»In welches Hotel gehen Sie?«
»Ich weiß nicht.«
»Dann gehen Sie zu Schreiber, es ist voll Amerikaner. In welchem Schiff sind Sie herübergekommen?«
»In der City of Chester.«
»Ach ja, das habe ich Sie schon einmal gefragt, aber ich frage jeden, in welchem Schiff er herübergekommen ist, und da passiert es mir manchmal, daß ich die Frage wiederhole. Gehen Sie nach Genf?«
»Ja.«
»In welchem Hotel werden Sie wohnen?«
»Wahrscheinlich in einer Pension.«
»Das wird Ihnen nicht gefallen – in den Pensionen sind wenig Amerikaner. In welchem Hotel wohnen Sie hier?«
»Im Schweizerhof.«
»Ja so, das habe ich Sie auch schon gefragt; aber ich frage jeden danach und da habe ich den ganzen Kopf voll Hotels; es dient aber doch zum Gespräch, und ich unterhalte mich sehr gern, es ist eine rechte Erholung auf solcher Fahrt – finden Sie das nicht auch?«
»Ja – zuweilen.«
»Mich erfrischt es förmlich. So lange ich im Gespräch bin, langweile ich mich nie, – geht es Ihnen nicht auch so?«
»Ja, – gewöhnlich, aber es giebt Ausnahmen von der Regel.«
»O natürlich! – ich spreche auch nicht gern mit jedermann. Manche Leute fangen gleich ein Gewäsch an von Scenerieen und Geschichte und Bildern und allerhand lästigen Dingen, die einem bald überdrüssig sind. Dann sage ich immer: ›Jetzt muß ich mich empfehlen – ich hoffe, wir sehen uns noch,‹ – und spaziere weiter. Wo sind Sie her?«
»Aus New-Jersey.«
»Ja, potztausend, das habe ich Sie ja auch schon gefragt! Haben Sie schon den Löwen von Luzern gesehen?«
»Noch nicht.«
»Ich auch nicht; aber der Mann, der mir vom Pilatus erzählt hat, sagt, es sei eine der Sehenswürdigkeiten; er sei achtundzwanzig Fuß lang – ich kann mir das kaum denken, aber er behauptet es und hat ihn erst gestern gesehen. Da war der Löwe im Sterben und jetzt wird er wohl schon tot sein; das schadet aber nichts, natürlich wird er doch ausgestopft! – Sagten Sie, die Kinder gehören Ihnen oder der andern?«
»Mir nicht.«
»O ja, richtig! Gehen Sie nach ... nein, das habe ich Sie schon gefragt. In welchem Schiff ... halt, das habe ich Sie auch schon gefragt. In welchem Hotel ... nein, Sie haben mir das gesagt. Was fehlt denn noch? – hm – ja so – Was für eine Überfahrt ... nein, das haben wir auch schon besprochen. Hm – hm – ich glaube, das ist wirklich alles. – Bon jour – ich habe mich sehr gefreut, Ihre