Lourdes. Emile Zola

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Lourdes - Emile Zola

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daß Joachine schließlich ohnmächtig wurde. Als sie aber wieder zu sich kam, sprang sie gewandt und rasch auf und trug ihre Krücken in die Grotte!«

      Herr von Guersaint lachte entzückt über dieses Wunder und bestätigte durch Kopfnicken diese Erzählung, die er von einem Pater von Mariä Himmelfahrt hatte. Der hätte, wie er sagte, noch zwanzig ähnliche Fälle erzählen können, von denen der eine immer ergreifender und wunderbarer als der andere gewesen war. Er forderte Pierre zum Zeugen auf, und dieser, der nicht glaubte, begnügte sich damit, den Kopf zu schütteln. Zuerst hatte er sich bemüht, um Marien nicht zu betrüben, sich zu zerstreuen, und zum Fenster hinausgesehen und die Felder, Bäume und Häuser, die vorüberflogen, betrachtet. Man durchfuhr gerade Angoulême, dessen endlos sich ausbreitende Wiesenflächen mit den langen Reihen von Pappelbäumen vor dem Wagenfenster vorüberglitten. Pierre hörte aber trotzdem, ganz gegen seinen Willen, Bruchstücke der Erzählungen und interessierte sich für diese Geschichten, die das laute Gerassel der Räder übertönten. Es war als ob die sich selbst überlassene Lokomotive sie alle in das göttliche Land der Träume geführt hätte. Man rollte dahin, man rollte weiter und weiter, und schließlich gab er es auf, hinauszublicken, und überließ sich ganz dem einschläfernden Einflüsse der drückenden Atmosphäre im Wagen, in dem die Verzückung wuchs, die wirkliche Welt aber, durch die man so raschen Laufes dahineilte, gänzlich entrückt war. Das neu belebte Gesicht Mariens erfüllte ihn mit aufrichtiger Freude. Er überließ ihr seine Hand, die sie ergriffen hatte, um ihm durch einen innigen Druck all die Hoffnungsfreudigkeit kundzutun, die in ihr eingekehrt war. Warum sollte er sie durch seinen Zweifel betrüben, da er doch ihre Heilung wünschte? Mit unendlicher Zärtlichkeit hielt er die kleine, krankhaft feuchte Hand in der seinigen fest. Von mitleidender brüderlicher Liebe erfüllt, wollte er gern an eine höhere Gnade glauben, die den Verzweifelten den Schmerz nach ihrem Ermessen zuteilt und wegnimmt.

      »Pierre«, wiederholte sie, »wie ist das schön, wie ist das schön! Und welch ein Ruhm für mich, wenn sich die Heilige Jungfrau in ihrer Gnade meiner erbarmen würde ... Glauben Sie wirklich, daß ich dessen würdig bin?«

      »Gewiß!« rief er laut. »Sie sind die beste und die reinste, die ganz fleckenlose Seele, und es gibt nicht genug gute Engel im Paradiese, um Ihnen als Ehrengeleit zu dienen.«

      Aber das Erzählen war noch nicht zu Ende. Schwester Hyacinthe und Frau von Jonquière teilten jetzt alle Wunder mit, die sie kannten, eine lange Reihe von Wundern, die seit mehr denn dreißig Jahren in Lourdes emporblühten, wie der ununterbrochene Blütenreichtum der Rosen in einem zauberhaften Rosengarten. Man zählte sie nach Tausenden, und jedes Jahr wucherten neue empor in dem üppigen Grün eines verschwenderischen Wachstums, und erregten immer mehr Aufsehen. Die Kranken, die mit zunehmender Erregung zuhörten, waren wie die kleinen Kinder, die nach einem schönen Feenmärchen noch ein anderes und dann wieder ein anderes hören wollten. Oh, nur immer mehr solche Geschichten, in denen die schlimme Wirklichkeit verspottet und die ungerechte Natur geohrfeigt wird, in denen der liebe Gott als der letzte, der größte Heilkünstler erscheint, als der, der die Wissenschaft verlacht und Glück stiftet!

      Es waren zunächst die Tauben und die Stummen, die wieder hören und sprechen konnten. Aurelie Bruneau, der das Trommelfell zersprungen und die deshalb unheilbar war, wurde ganz plötzlich durch die himmlischen Töne eines Harmoniums entzückt. Louise Pourchet, bis zu ihrem fünfundvierzigsten Lebensjahre stumm, rief plötzlich vor der Grotte: »Ich grüße dich, Marie!« und noch viele andere mehr, die alle dadurch vollständig geheilt wurden, daß sie einige Tropfen von dem Wasser in ihre Ohren oder auf ihre Zunge träufelten. Dann kamen die Blinden: Pater Hermann, der gefühlt hatte, wie die Heilige Jungfrau mit sanfter Hand den Schleier fortzog, der vor seinen Augen schwebte. Fräulein von Pontbriant, der der Verlust beider Augen gedroht hatte und die infolge eines Gebetes bessere Augen bekam, als sie früher besessen hatte. Ein Kind von zwölf Jahren, dessen Pupillen Marmorkügelchen glichen, und das in drei Sekunden wieder klare und tiefe Augen bekam, aus denen die Engel herauszulächeln schienen. Vor allen aber sind es Gelähmte, die sich wieder frei bewegen, Lahme, die wieder gerade gehen können, solche, die sich von ihrem Siechbett nicht zu rühren imstande waren und zu denen der Herr sagte: »Erhebe dich und geh!« Der gelähmte Delaunoy, der schon fünfzehnmal in Pariser Hospitälern gewesen war, von wo er die übereinstimmenden Diagnosen von zwölf Ärzten mitbrachte, fühlt plötzlich eine Kraft in sich, die ihn beim Vorüberziehen des heiligen Sakramentes in die Höhe treibt und ihn in den Stand setzt, mit gesunden Beinen zu folgen. Marie Luise Delgron, vierzehn Jahre alt, deren Beine infolge der Lähmung steif, deren Hände zusammengezogen und deren Mund schief geworden war, sah ihre Glieder wieder geschmeidig werden und sich strecken und die Verzerrung des Mundes verschwinden, als hätte eine unsichtbare Hand die entsetzlichen Bande zerschnitten, die sie entstellten. Marie Vachier, seit siebzehn Jahren an ihren Krankenstuhl gefesselt, lief und sprang nicht nur, nachdem sie aus dem Weiher gestiegen war, sondern fand sogar nicht einmal die Spuren der Wunden wieder, mit denen ihr Körper sich infolge ihrer langen Regungslosigkeit bedeckt hatte. Georges Hauquet, der an Rückenmarkserweichung litt und vollständig gefühllos war, wird ein kerngesunder Mensch. Und Leonie Charton, die ebenfalls Rückenmarkserweichung hatte und deren Wirbelknochen einen Höcker bildeten, fühlt, wie die Verkrümmung ihres Rückgrates verschwindet, wie ihre Beine sich strecken und kräftig und wie neu geschaffen werden.

      Dann kämen noch alle Arten von Übeln an die Reihe. Zuerst die verschiedenen skrofulösen Krankheiten. Marguerite Gehier, die seit siebenundzwanzig Jahren an Hüftweh litt, deren Hüfte von der Krankheit ganz zerfressen und deren rechtes Knie gelähmt war, fiel plötzlich auf dieses Knie nieder, um der Heiligen Jungfrau für ihre Rettung zu danken. Philomene Simonneau, eine junge Vendeerin, deren linkes Bein drei fürchterliche Wunden hatte, auf deren Grunde die angefaulten Knochen sichtbar wurden, ließ plötzlich die Krücken fallen, und ihre Knochen, ihr Fleisch und ihre Haut bildeten sich neu. Dann kamen die Wassersüchtigen: Frau Ancelin, deren Füße, deren Hände und deren ganzer Körper abschwollen, ohne daß man hätte sagen können, wo all das Wasser abgeflossen wäre. Fräulein Montagnon, der man zu wiederholten Malen zweiundzwanzig Liter Wasser abgezapft hatte, entleerte sich, als sie von neuem angeschwollen war, nach Anlegung einer einfachen Kompresse, die man in die wunderwirkende Quelle getaucht hatte, ohne daß man etwas davon in dem Bette oder auf dem Fußboden gefunden hätte. Ebensowenig hält eine Magenkrankheit dem Wunder stand. Alle verschwinden auf das erste Glas. So fand Marie Souchet, die schwarzes Blut spie und immer mehr abzehrte, so daß sie zum Skelett abgemagert war, innerhalb zweier Tage ihre Körperfülle wieder. Marie Jarland, die aus Versehen ein Glas Lauge getrunken und sich den Magen verbrannt hatte, findet die Gesundheit wieder. Geschwulstbildungen verschwinden so vollständig in dem Weiher, daß auch nicht die leiseste Spur davon zurückbleibt. Was aber noch mehr in Staunen setzt, das sind die Geschwüre, die Krebsschäden, alle die entsetzlichen sichtbaren Wunden, die das heilige Wasser heilt. Ein Schauspieler, ein Jude, brauchte seine von einem Geschwür zerfressene Hand nur einzutauchen, und sie war geheilt. Ein junger reicher Ausländer, an dessen rechtem Handgelenk sich ein Lupus gebildet hatte, groß wie ein Hühnerei, sah ihn schwinden. Rose Duval, die infolge einer Eitergeschwulst am linken Ellenbogen ein Loch hatte, so groß, daß eine Nuß gut Platz darin fand, konnte der raschen Arbeit des neuen Fleisches zusehen, das das Loch zufüllte. Die Witwe Fromond, deren Lippe zur Hälfte vom Krebs zerfressen war, brauchte die kranke Stelle nur abzuwaschen, und es blieb nicht einmal eine leise Röte zurück. Marie Moreau, die entsetzlich an Brustkrebs litt, legte sich zum Schlafen nieder, nachdem sie sich in ein mit Wasser von Lourdes getränktes Tuch eingewickelt hatte, und als sie zwei Stunden später wieder erwachte, hatten die Schmerzen aufgehört, und das Fleisch war fest und von rosiger Frische.

      Dann fing Schwester Hyacinthe von den Heilungen der Schwindsucht zu erzählen an. Das setzte allem die Krone auf. Die schreckliche Krankheit, die die Menschen verheert und die, wie die Ungläubigen behaupteten, die Heilige Jungfrau nicht heilen könne, wurde dennoch von ihr geheilt durch eine einzige Bewegung ihres kleinen Fingers. Hundert Fälle, der eine immer außergewöhnlicher als der andere, folgten rasch aufeinander. Die seit drei Jahren schwindsüchtige Marguerite Coupel, an deren Lungenspitzen die Tuberkeln fraßen, steht auf und geht fort, strotzend vor Gesundheit. Frau de la Rivière, die Blut speit, und deren

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