Lourdes. Emile Zola
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Lourdes - Emile Zola страница 16
Alle Köpfe fuhren beängstigt in die Höhe. Wenn man nur wenigstens den Namen des Mannes gewußt hätte, woher er käme und wer er wäre! Aber niemand kannte den Unglücklichen, aus dem kein einziges Wort herauszubringen war und der in dem Wagen sterben wollte, ohne daß jemand imstande gewesen wäre, einen Namen auf sein Grab zu setzen!
Schwester Hyacinthe kam der Gedanke, ihn zu durchsuchen.
»Herr Ferrand, sehen Sie doch einmal in seine Taschen!«
Vorsichtig durchsuchte er den Mann. In den Taschen fand er nichts weiter als einen Rosenkranz, ein Messer und drei Sous. Daraus ließ sich nichts entnehmen.
Eine Stimme meldete in diesem Augenblicke die Schwester Claire des Anges und den Pater Massias. Dieser hatte sich bei einem Gespräch mit dem Kuraten von SainteRadegonde in einem Wartesaale verspätet. Es entstand eine lebhafte Bewegung. Alles schien einen Augenblick gesund. Aber der Zug wollte abfahren, die Bahnbediensteten schlossen schon die Türen, man mußte die Letzte Ölung in aller Eile vornehmen, wenn man nicht eine zu lange Verzögerung verursachen wollte.
»Hier, hier, verehrungswürdiger Pater!« rief Schwester Hyacinthe. »Ja, ja, steigen Sie ein! Unser unglücklicher Kranker ist hier!«
Pater Massias, der, obgleich fünf Jahre älter als Pierre, doch dessen Mitschüler im Seminar gewesen war, hatte einen großen, hageren Körper mit dem Gesichte eines Aszeten, das ein lichter Bart umrahmte, und in dem zwei unstät hin und her flackernde Augen glühten. Er war weder der von Zweifeln gepeinigte Priester, noch der Priester mit dem blinden Glauben eines Kindes, er war ein Apostel, von glühendem Fanatismus beseelt und stets bereit, zu kämpfen und zu siegen für den unbefleckten Ruhm der Heiligen Jungfrau. Unter seinem schweren Pilgergewande mit großer Kapuze strahlte er von Kampfesmut.
Sogleich hatte er aus seiner Tasche das Fläschchen mit dem geweihten Öl hervorgezogen. Die Zeremonie nahm ihren Anfang unter dem Zuschlagen der Türen und dem hastigen Hin und Her der Pilger, die sich verspätet hatten, während der Stationschef mit unruhigen Blicken auf die Bahnhofsuhr schaute, da er wohl sah, daß er einige Minuten zugeben mußte.
»Credo in unum Deum ...«, murmelte der Pater rasch.
»Amen!« antworteten Schwester Hyacinthe und der ganze Wagen.
Die es vermocht hatten, waren auf den Bänken niedergekniet. Die anderen falteten die Hände, verdoppelten das Zeichen des Kreuzes. Als bei dem Murmeln der Gebete das Klagelied der Agende folgte, da hoben sich die Stimmen, und kräftig erbrauste mit dem Kyrie eleison das heiße Verlangen nach der Vergebung der Sünden. Sein ganzes Leben, das man nicht kannte, sollte ihm vergeben sein und unbekannt und triumphierend sollte er eingehen in das Reich Gottes!
»Christe, exaudi nos.«
»Ora pro nobis, sancta Dei Genitrix.«
Pater Massias hatte die silberne Nadel herausgezogen, an der ein Tropfen geweihten Öles zitterte. Er konnte bei der Unordnung und vor den vielen Neugierigen, die ihre Köpfe durch die Tür steckten, nicht daran denken, die Ölung, wie es sonst gebräuchlich war, an allen Sinneswerkzeugen vorzunehmen als den Türen, die das Schlechte eindringen lassen. Wie ihn die Vorschrift ermächtigte, wenn der Fall dringend war, mußte er sich mit einer einzigen Salbung begnügen. Er nahm sie an dem Munde vor, an dem bleichen, halbgeöffneten Munde, aus dem kaum ein leiser Atemzug kam, während das Gesicht mit den geschlossenen Augenlidern, schon vollständig erstarrt, wieder zu Staub und Erde geworden zu sein schien.
»Per istam sanctam unctionem et suam piissimam misericordiam indulgent tibi Dominus, quidquid per visum, auditum, oderatum, gustum, tactum deliquisti.«
Der Schluß der Zeremonie ging in dem Lärm und der Abfahrt verloren. Der Pater hatte kaum noch Zeit, den kleinen Tropfen mit dem Stückchen Watte aufzutrocknen, das Schwester Hyacinthe bereit hielt. Er mußte den Wagen verlassen und den seinigen so rasch als möglich zu erreichen suchen, nachdem er die Flasche mit dem geweihten Öle wieder sorgfältig verwahrt hatte.
»Wir können nicht länger mehr warten, es ist unmöglich«, wiederholte der Stationschef in großer Erregung. »Sorgen Sie dafür, daß man sich beeilt!«
Endlich war es so weit. Alles hatte seinen Platz wieder eingenommen und war wieder in seine Ecke zurückgekehrt. Frau von Jonquière hatte, da der Zustand der Grivotte sie immer noch heftig beunruhigte, ihren Platz gewechselt und sich in ihre nächste Nähe gesetzt, Herrn Sabathier gegenüber, der in resigniertem Stillschweigen verharrte. Schwester Hyacinthe war nicht wieder in ihre Abteilung zurückgekehrt, da sie sich entschlossen hatte, bei dem Manne zu bleiben, um über ihn zu wachen und ihn zu pflegen. So konnte sie auch gleich mit für den Bruder Isidor sorgen, dessen Schwester Martha nicht wie sie dem Unglücklichen Erleichterung schaffen konnte. Marie fühlte erbleichend auf ihrem traurigen Lager schon jetzt das Stoßen des Zuges, noch bevor er unter der bleischweren, niederdrückenden Sonnenhitze seine Fahrt von neuem begonnen hatte, mit seiner Krankenlast in der verpesteten Atmosphäre der überhitzten Wagen weiterrollend.
Da ertönte ein lauter, langgezogener Pfiff, die Lokomotive begann zu schnaufen, und Schwester Hyacinthe erhob sich mit den Worten:
»Das Magnifikat, meine lieben Kinder!«
IV
Als der Zug sich in Bewegung setzte, wurde die Türe noch einmal geöffnet und ein Bahnbediensteter schob ein kleines Mädchen von vierzehn Jahren in die Abteilung, in der Marie und Pierre sich befanden.
»Hier ist noch ein Platz! Rasch, rasch!«
Die Gesichter wurden länger, man wollte Einspruch erheben. Aber Schwester Hyacinthe rief mit lauter Stimme:
»Wie? Du bist es, Sophie? Du willst also die Heilige Jungfrau wieder besuchen, die dich im letzten Jahre geheilt hat?«
Und Frau von Jonquière sagte zu gleicher Zeit:
»Ach, meine kleine Freundin Sophie! Das ist hübsch, daß du so dankbar bist!«
»Gewiß, liebe Schwester! Gewiß, gnädige Frau!« antwortete das Mädchen artig.
Die Tür hatte sich schon wieder geschlossen und man mußte wohl oder übel die neue Pilgerin aufnehmen, die wie vom Himmel herabgefallen war, gerade in dem Augenblicke, da der Zug abfuhr, den sie beinahe verfehlt hätte. Sie war schmächtig und nahm nur wenig Platz weg. Dann kannten die Damen sie, und die Augen aller Kranken hatten sich auf sie geheftet, als man sagen hörte, die Heilige Jungfrau hätte sie geheilt. Man hatte den Bahnhof verlassen, die Maschine keuchte und Schwester Hyacinthe wiederholte, während sie in die Hände klatschte:
»Vorwärts, vorwärts, meine lieben Kinder, das Magnifikat!«
Während der Jubelgesang angestimmt wurde, betrachtete Pierre die kleine Sophie. Sie war ein Bauernmädchen, die Tochter eines armen Landmannes in der Nähe von Poitiers, die ihre Eltern verwöhnten und als Fräulein erzogen, nachdem sie eine durch ein Wunder Begnadete, eine Auserwählte geworden war, die die Geistlichen des ganzen Arrondissements aufsuchten. Sie trug einen Strohhut mit roten Bändern und ein grauwollenes Kleid, mit einem Volant ausgeputzt. Ihr Gesicht war nicht hübsch, aber liebenswürdig, frisch und von einem Paar heller, verschmitzter Augen belebt, die ihr ein freundliches und bescheidenes Aussehen gaben.
Als man das Magnifikat beendet hatte, konnte er dem Verlangen nicht widerstehen, Sophie zu fragen. Ein Kind in