Lourdes. Emile Zola

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Lourdes - Emile Zola

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ihrer kräftigen Nase, ihrem großen Munde und ihrer vollen, angenehmen Gestalt.

      »Wie du siehst, liebes Kind, kann ich diese arme Frau nicht verlassen.«

      Und sie zeigte auf die Grivotte, die wieder einen Hustenanfall hatte, der sie furchtbar mitnahm.

      »O Mama, das ist schade! Frau Desagneaux und Frau Volmar haben sich so sehr auf das kleine Frühstück zu vieren gefreut!«

      »Was willst du, mein armes Kind? Fangt nur immer ohne mich an ... Sage den Damen, daß ich mich, sobald ich könnte, hier losmachen und sie aufsuchen würde.«

      Dann kam ihr plötzlich ein Gedanke.

      »Halt, dort ist ein Arzt! Ich will versuchen, ob ich ihm meine Kranke anvertrauen kann. Geh voraus, ich werde dir sofort folgen. Du weißt, daß ich fast vor Hunger sterbe!«

      Raymonde kehrte rasch ans Büfett zurück, während Frau von Jonquière Doktor Ferrand bat, zu ihr zu kommen und zuzusehen, ob er der Grivotte nicht etwas Erleichterung verschaffen könnte. Schon hatte er auf Marthas Wunsch den Bruder Isidor untersucht, dessen Stöhnen nicht aufhörte, und wiederum hatte er mit tiefbetrübter Miene sein Unvermögen zu helfen eingestehen müssen. Dennoch beeilte er sich, dem Rufe der Frau von Jonquière Folge zu leisten, richtete die Schwindsüchtige in die Höhe, da er wollte, daß sie aufrecht sitzen sollte, in der Hoffnung, den Husten dadurch etwas zu mildern, der auch allmählich nachließ. Dann half er Frau von Jonquière, der Kranken einen beruhigenden Trank einzuflößen. Die Anwesenheit des Arztes in dem Wagen fuhr fort, die Kranken aufzuregen. Herr Sabathier, der langsam die Weintraube verzehrte, die ihm seine Frau geholt hatte, befragte ihn nicht, da er die Antwort im voraus kannte und der Sache müde war, nachdem er schon, wie er sagte, alle Fürsten der Wissenschaft konsultiert hatte. Er fühlte jedoch ein gewisses Wohlbehagen, als er sah, wie der Arzt das arme Mädchen in die Höhe richtete, dessen Nachbarschaft ihn störte.

      Auf dem Perron wurde der Lärm und das Gedränge immer stärker. Man hatte nur noch eine Viertelstunde Aufenthalt. Wie unempfindlich, mit weitgeöffneten Augen und dennoch ohne etwas zu sehen, schläferte Frau Vêtu ihre Schmerzen in dem glühenden Brande der vollen Mittagsonne ein, während vor ihr mit immer gleichen wiegenden Schritten Frau Vincent ihre kleine Rose spazieren trug. Viele Leute liefen an den Brunnen, um ihre Trinkgefäße, Krüge und Flaschen zu füllen. Frau Maze, die sehr sauber und auf ihr Äußeres bedacht war, ging auch hin in der Absicht, sich die Hände zu waschen; als sie aber hinkam, traf sie Elise Rouquet dort, die gerade dort trank. Sie wich entsetzt zurück vor diesem Schreckbilde, vor diesem Hundskopfe mit dem zerfressenen Munde, an dessen Stelle ein schiefgezogenes Loch ihr entgegengähnte, aus dem die Zunge heraushing. Alle packte dasselbe Entsetzen, alle zauderten, ihre Flaschen, Krüge und Trinkgefäße aus demselben Brunnen zu füllen, aus dem sie getrunken hatte. Eine große Anzahl Pilger hatte sich den Perron entlang gelagert, um zu essen. Man vernahm das Klappern von Krücken, auf denen eine Frau mitten durch die verschiedenen Gruppen hindurch ruhelos hin und her stelzte. Dieses ganze Heer von Kranken, dieses rollende Hospital, das für eine einzige halbe Stunde sich geleert hatte, atmete mitten unter dem unaufhörlichen Auf und Ab der Gesunden in dem vollen Mittagssonnenschein frische Luft.

      Pierre verließ Marie nicht, denn Herr von Guersaint war verschwunden, angelockt von dem grünen Fleckchen Erde, das man am Ende des Bahnhofs wahrnahm. Der junge Priester bemühte sich mit lächelnder Miene, als er mit Besorgnis sah, daß sie die Bouillon nicht austrank, den Appetit der Kranken zu erregen, indem er sich erbot, einen Pfirsich zu kaufen. Aber sie dankte; sie litt zu sehr, nichts machte ihr Vergnügen. Sie sah ihn mit ihren großen, traurigen Augen an, hin und her schwankend zwischen ihrer Ungeduld über diesen Aufenthalt, der ihre Heilung so lange verzögerte, und ihrer Angst vor der qualvollen, endlosen Eisenbahnfahrt.

      Ein dicker Herr trat heran und berührte Pierres Arm. Sein Haar war ergraut; er trug einen Vollbart, und sein breites Gesicht hatte einen väterlich besorgten Ausdruck.

      »Verzeihung, Herr Abbé, befindet sich nicht in diesem Wagen ein Kranker, der mit dem Tode ringt?«

      Und als der Priester bejahend antwortete, wurde er sofort sehr freundschaftlich und vertraut.

      »Ich heiße Vigneron, bin Abteilungsleiter im Finanzministerium und habe meinen Abschied erbeten, um mit meiner Frau meinen Sohn Gustave nach Lourdes zu begleiten ... Das liebe Kind setzt seine ganze Hoffnung auf die Heilige Jungfrau, zu der wir morgens und abends beten ... Wir sind dort in dem Wagen vor dem Ihrigen, wo wir eine Abteilung zweiter Klasse besetzt haben.«

      Dann drehte er sich herum und rief seine Leute herbei.

      »Kommt her, kommt her, hier ist es! Der unglückliche Kranke befindet sich wirklich sehr schlecht.«

      Frau Vigneron war klein und ihr Gesicht lang und bleich und sehr blutarm, was sich auf ihren Sohn Gustave in erschreckender Weise vererbt hatte. Dieser, ein Knabe von fünfzehn Jahren, der jedoch kaum zehn alt zu sein schien, war schief gewachsen und dürr wie ein Skelett. Das rechte Bein war infolge von Blutarmut zu einem Nichts zusammengeschrumpft, was ihn zwang, an einer Krücke zu gehen. Er hatte ein kleines, feines, etwas schiefes Gesicht, von dem man eigentlich nichts weiter als die Augen sah, aber Augen, aus denen ein klarer Verstand blitzte, die durch die Schmerzen geschärft waren und bis auf den Grund der Seele zu blicken schienen. Eine alte Dame mit gepudertem Gesicht, die die Beine mühsam nachschleppte, folgte, und Herr Vigneron, der sich daran erinnerte, daß er sie vergessen hatte, trat wieder an Pierre heran und holte die Vorstellung nach.

      »Frau Chaise, die ältere Schwester meiner Frau, die ebenfalls unsern Gustave, den sie sehr liebhat, begleiten wollte.«

      Und sich nahe zu Pierre hinbeugend, fügte er mit leiser Stimme in vertraulichem Tone hinzu:

      »Das ist Frau Chaise, die Witwe des Seidenhändlers, ungeheuer reich. Sie hat ein Herzleiden, das ihr viel Sorge und Unruhe verursacht.«

      Dann sah die ganze Familie, in eine Gruppe zusammengedrängt, mit lebhafter Neugierde zu, was im Wagen vor sich ging. Immer mehr Zuschauer sammelten sich an, der Vater hob seinen Sohn, damit er alles gut sehen konnte, eine Zeitlang auf seinen Armen in die Höhe, während die Tante die Krücke hielt und die Mutter sich auf die Fußspitzen stellte.

      In dem Wagen bot sich noch immer der nämliche Anblick: der Mann saß starr und leblos auf seinem Platze in der Ecke und lehnte den Kopf an die harte Holzwand. Er war ganz bleich, die Augenlider fest geschlossen, der Mund im Todeskampfe verzerrt und das Gesicht von kaltem Schweiße bedeckt, den Schwester Hyacinthe von Zeit zu Zeit mit einem Linnentuche abtrocknete. Sie hatte ihre Ruhe wiedergefunden und rechnete auf den Himmel. Zuweilen warf sie einen Blick auf den Bahnsteig, um zu sehen, ob der Pater Massias immer noch nicht käme.

      »Sieh genau hin, Gustave«, sagte Vigneron zu seinem Sohne, »das soll ein Schwindsüchtiger sein.«

      Das Kind schien sich leidenschaftlich für diesen Todeskampf zu interessieren. Er hatte keine Furcht, nur ein unendlich trauriges Lächeln flog über sein Gesicht.

      »Oh, das ist entsetzlich!« murmelte Frau Chaise, die aus Angst vor dem Tode ganz bleich war.

      »Donnerwetter!« sagte Vigneron philosophisch, »jeder zu seiner Zeit, wir sind alle sterblich!«

      »Laß ihn wieder herunter«, sagte Frau Vigneron zu ihrem Gatten. »Du ermüdest ihn, wenn du ihn so lange an den Beinen hältst.«

      Sie war ebenso wie Frau Chaise eifrig darauf bedacht, das Kind vor jedem Stoß zu bewahren. Der arme Liebling hatte es nötig, sorgfältig behütet und gepflegt zu werden. Jede Minute fürchtete man ihn zu verlieren. Auch der Vater war der Meinung, daß es besser wäre, wenn man ihn wieder in den Wagen

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