Lourdes. Emile Zola
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Vor dem Wagen traf Berthaud mit Gérard zusammen, als dieser mit Hilfe zweier anderen Kameraden sich abmühte, Herrn Sabathier aus dem Wagen zu helfen. Das war ein hartes Geschäft. Denn er war sehr dick, sehr schwer, und man glaubte, er würde kaum durch die Tür zu bringen sein. Zwei Träger mußten bei der andern Tür einsteigen und nachhelfen. So gelang es endlich, ihn auf den Bahnsteig zu bringen. Die ohnmächtig gewordene Grivotte lag schon auf einer Matratze. Man wartete für sie auf eine Tragbahre, während man die von einem heftigen Anfall ergriffene Frau Vêtu an einer Gaslaterne hatte niedersetzen müssen. Sie litt derart, daß man sie kaum zu berühren wagte. Pfleger mit Handschuhen an den Händen rollten unter allerlei Schwierigkeiten ihre kleinen Wagen weg. Wieder andere konnten mit ihren Tragbahren, auf denen starre Leiber sich streckten, kaum von der Stelle kommen, sich kaum einen Weg bahnen, indessen einige Kranke es versuchten, sich durchzuwinden, so ein junger, hinkender Priester und ein kleiner Knabe mit Krücken, buckelig und mit einem amputierten Bein, der sich, einem Gnom ähnlich, hinschleppte. Um einen Mann herum hatte sich eine Gruppe gebildet. Eine Lähmung hatte ihn derart verkrüppelt, daß man ihn, die Füße und den Kopf nach unten, auf einem umgekehrten Tragsessel transportieren mußte.
Der Wirrwarr erreichte seinen Höhepunkt, als der Bahnvorstand herbeistürzte und rief:
»Der Expreßzug von Bayonne ist angemeldet. Beeilen wir uns! Beeilen wir uns! Ihr habt nur noch drei Minuten Zeit!«
Der Pater Fourcade blieb am Arm des Doktors Bonamy im Gewühl und sprach den Kranken mit freundlicher Miene Mut zu. Mit einer Gebärde rief er Berthaud heran und sagte zu ihm:
»Lasset sie zuerst alle aussteigen. Ihr könnt sie hernach forttragen.«
Der Rat war voll Klugheit. Man brachte die Ausladung auf den Bahnsteig zu Ende. Im Wagen befand sich nur noch Marie, die geduldig wartete. Endlich erschienen Herr von Guersaint und Pierre mit den Rädern. Pierre half dem jungen Mädchen, von Gérard unterstützt, in Eile heraus. Sie hatte die Leichtigkeit eines armen frierenden Vogels. Die Männer legten ihre Trage auf die Räderpaare und befestigten diese mit Bolzen. Pierre hätte sodann Marie wegführen, sie augenblicklich fortrollen können, wenn ihn nicht die Menge, die den Weg versperrte, daran gehindert hätte.
»Beeilen wir uns! Beeilen wir uns!« wiederholte der Bahnhofsvorstand.
Er half selbst mit, hielt dort die Füße eines Kranken, damit man ihn schneller aus der Wagenabteilung zöge. Er stieß die kleinen Wagen fort und räumte den Rand des Bahnsteigs von Menschen. Allein in einem Wagen der zweiten Klasse wurde eine Frau von einer heftigen Nervenkrise befallen. Sie heulte, schlug mit Händen und Füßen um sich. Man durfte nicht daran denken, sie anzufassen. Dabei war jeden Augenblick die Ankunft des Expreßzuges zu erwarten. Man mußte die Tür wieder schließen und den Zug auf ein Nebengeleise führen, wo er stehenbleiben und drei Tage lang warten sollte, bis er seine Ladung von Pilgern und Kranken wieder aufnahm. Während sich der Zug entfernte, hörte man die Schreie der Unglücklichen, die mit einer Ordensschwester hatten drin bleiben müssen, Schreie, die immer schwächer wurden, wie die Schreie eines kraftlosen Kindes, das man endlich beschwichtigt!
»Guter Gott!« murmelte der Stationsvorstand, »das war höchste Zeit!«
In der Tat lief der Expreßzug von Bayonne ein und fuhr mit Blitzesschnelle an diesem jammervollen Bahnsteig vorüber, auf dem das Elend eines in allgemeiner Verwirrung begriffenen Spitals sich ausbreitete.
Nach und nach wurde es heller, ein lichtes Morgenrot färbte den Himmel, dessen Widerschein die dunkle Erde erleuchtete. Man fing an, die Leute und Dinge zu unterscheiden.
»Nein, nicht jetzt!« sagte Marie zu Pierre. »Wir wollen warten, bis die Flut sich ein wenig verlaufen hat.«
Ein ungefähr sechzig Jahre alter Mann von militärischem Aussehen, der unter den Kranken herumschlenderte, fesselte seine Aufmerksamkeit. Mit seinem viereckigen Kopf und den weißen, bürstenähnlich geschnittenen Haaren würde er noch rüstig ausgesehen haben, wenn er nicht den linken Fuß nachgezogen hätte. Mit der Hand stützte er sich fest auf einen dicken Rohrstock.
Herr Sabathier, der seit sechs Jahren hierherkam, bemerkte ihn und rief lebhaft:
»Ah! Sie sind es, Herr Hauptmann!«
Vielleicht hieß er Hauptmann. Vielleicht hatte er auch nur diesen Titel wegen seiner Ordensauszeichnung. Er war dekoriert und trug ein breites rotes Band. Niemand kannte seine Geschichte. Er befand sich schon seit drei Jahren auf dem Bahnhof, mit der Überwachung der Warenräume beauftragt. Es war eine einfache Beschäftigung, die man ihm aus Mitleid gegeben hatte und die ihm erlaubte, vollständig glücklich zu leben. Mit fünfundfünfzig Jahren traf ihn zum erstenmal ein Schlagfluß, der ihm eine kleine Lähmung der linken Seite zurückgelassen hatte. Ganz Lourdes kannte ihn wegen seiner fixen Idee, mit schleppendem Fuß und auf sein Rohr sich stützend, zu jedem einfahrenden Zug zu gehen, sich dort zu verwundern und den Kranken Vorwürfe zu machen wegen des Verlangens, das sie erfüllte, geheilt zu werden.
Seit drei Jahren sah er Herrn Sabathier. Auf diesen fiel sein Zorn.
»Wie! Sie sind schon wieder da? Sie halten also viel darauf, dieses abscheuliche Leben weiter zu leben? Aber, zum Teufel! Sterben Sie doch ruhig daheim, in Ihrem Bett! Ist das nicht das Beste auf der Welt?«
Herr Sabathier lachte, ohne ungehalten zu werden.
»Nein, nein«, sagte er, »ich will lieber gesund werden!«
»Gesund werden – gesund werden, das verlangen alle! Hunderte von Meilen zurücklegen, heulend vor Schmerz ankommen, und das, um zu genesen, um alle Pein, alle Leiden von vorne wieder durchzumachen und dann weiter zu tragen ... Ach, mein Herr! Sie in Ihrem Alter, mit Ihrem verwüsteten Körper, Sie wären schön angeführt, wenn Ihre Heilige Jungfrau Ihnen die Beine wiedergäbe! Mein Gott, was wollten Sie denn damit machen? Welche Freude hätten Sie denn daran, die Abscheulichkeit des Greisenalters um ein paar Jahre zu verlängern? Wohlan! Sterben Sie doch sofort, da Sie einmal so weit sind. Das ist das einzige Glück!«
Während Herr Sabathier gutwillig die Achseln zuckte, gleichsam als hätte er's mit einem Kinde zu tun gehabt, blieb der Abbé Judaine auf dem Bahnsteig stehen, um den Hauptmann, den auch er gut kannte, freundschaftlich auszuschelten.
»Lästern Sie nicht, mein lieber Freund«, sagte er; »auf das Leben verzichten und die Gesundheit nicht lieben, heißt Gott beleidigen. Sie selbst, wenn Sie auf mich gehört hätten, würden die Heilige Jungfrau schon um die Heilung Ihres Beines gebeten haben.«
Darüber ungehalten, antwortete sodann der Hauptmann:
»Mein Bein! An dem kann sie nichts machen, darüber bin ich ruhig! Der Tod mag nur kommen, es soll zu Ende gehen für immer ... Wenn man sterben muß, dreht man sich gegen die Wand und stirbt. Damit basta!«
Aber der alte Priester unterbrach ihn. Er zeigte ihm Marie, die, in ihrer Kiste ausgestreckt, ihnen zuhorchte.
»Sie würden alle unsere Kranken zurückschicken«, sagte er, »damit