David Copperfield. Charles Dickens
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Ich sagte ihm, ich hätte sieben Schillinge.
»Es ist besser, du gibst sie mir zum Aufheben. Übrigens kannst du das tun, wenn du willst. Du brauchst es auch nicht zu tun, wenn du nicht willst.«
Ich beeilte mich, seinem freundlichen Wink zu folgen, öffnete Peggottys Börse und schüttete sie in seine Hand aus.
»Willst du jetzt etwas davon ausgeben?« fragte er mich.
»Nein, ich danke,« entgegnete ich.
»Du kannst, wenn du Lust hast. Du brauchst es nur zu sagen.«
»Nein, ich danke,« wiederholte ich.
»Vielleicht möchtest du ein paar Schillinge an eine Flasche Johannisbeerwein wenden,« meinte Steerforth. »Du gehörst doch zu meinem Schlafraum, nicht?«
Es war mir vorher nichts dergleichen eingefallen, aber ich sagte: »Ja, das möchte ich.«
»Sehr gut,« sagte Steerforth. »Und einen Schilling vielleicht in Mandelkuchen.«
»Ja, auch das.«
»Und einen Schilling für Biskuits und einen für Obst, nicht wahr?« sagte Steerforth. »Copperfield, du machst dich.«
Ich lächelte, weil er lachte. Aber innerlich fühlte ich mich doch ein wenig beunruhigt.
»Gut,« sagte Steerforth, »wir müssen sehen, daß es recht lang reicht, nur darauf kommts an. Ich will alles tun, was in meiner Macht steht. Übrigens kann ich ausgehen, wann ich will, und werde den Plunder schon hereinschmuggeln.«
Mit diesen Worten steckte er das Geld in die Tasche und sagte mir gütig, ich solle mich nicht grämen, er werde schon alles in die Hand nehmen.
Er hielt Wort; innerlich kam es mir wie ein Unrecht vor, daß ich meiner Mutter beide halbe Kronen so unnütz verschwendete. Das Stück Papier aber, in dem das Geld eingewickelt gewesen, bewahrte ich auf wie einen kostbaren Schatz. Als wir zu Bette gingen, wickelte er aus, was er für die ganzen sieben Schillinge gekauft hatte und legte es im Mondschein auf das Bett und sagte:
»So, kleiner Copperfield, ein königliches Mahl hast du bekommen.«
So lang er anwesend war, konnte ich bei meinem Alter nicht daran denken, die Honneurs des Festes zu machen. Bei dem bloßen Gedanken daran zitterte mir die Hand. Ich bat ihn, den Vorsitz zu übernehmen, und da die andern Schüler im Schlafzimmer meinen Wunsch unterstützten, gab er nach und nahm auf meinem Kopfkissen Platz. Er teilte die Lebensmittel aus; ich muß sagen, vollkommen unparteiisch, und ließ den Johannisbeerwein in einem kleinen Glase ohne Fuß, das ihm gehörte, herumgehen. Ich saß zu seiner Linken, und die übrigen hatten sich auf die nächsten Betten und auf dem Fußboden um uns herum gruppiert.
Wir saßen da zusammen und sprachen flüsternd miteinander. Oder besser gesagt, die andern sprachen, und ich hörte ehrerbietig zu. Das Mondlicht fiel ins Zimmer und malte ein bleiches Fenster auf den Fußboden; die meisten von uns saßen im Dunkeln, nur Steerforth tauchte zuweilen ein Zündhölzchen in die Phosphorbüchse, wenn er etwas auf dem Tische suchen wollte, was jedesmal einen blauen Schein über uns ergoß, der gleich wieder erlosch. Ein Gefühl des Geheimnisvollen, hervorgerufen durch die Dunkelheit, die Heimlichkeit des Gelages und den flüsternden Ton, in dem sich alle unterhielten, beschleicht mich wieder, und ich höre allen zu mit einem dunklen Gefühl der Ehrfurcht und des Grauens, das mich froh sein läßt, daß sie alle so nahe sind. Und wenn ich auch tue, als lache ich, so klopft mir doch das Herz, wenn Traddles ein Gespenst in der Ecke zu sehen behauptet. Ich höre allerlei Geschichten über die Schule und was mit ihr zusammenhängt, höre, daß Mr. Creakle nicht ohne Grund ein Eisenschädel zu sein behauptet, daß er der strengste aller Lehrer sei und jeden Tag schonungslos und unbarmherzig über die Knaben herfalle und um sich schlüge; – daß er weiter nichts könne, als die Kunst des Prügelns und, wie J. Steerforth sagte, unwissender sei, als der letzte in der Schule und vor vielen, vielen Jahren ein kleiner Hopfenhändler in einem Marktflecken gewesen sei und das Schullehrergeschäft erst angefangen habe, als er in Hopfen Bankrott gemacht und Mrs. Creakles Vermögen verbraucht habe. Ich erfuhr noch vielerlei der Art und staunte, daß sie so viel wußten.
Ich hörte, daß der Mann mit dem Stelzfuß, der Tongay hieß, ein hartherziger Barbar, früher auch im Hopfengeschäft gewesen und mit Mr. Creakle zum Schulfach übergegangen sei, weil er das Bein in Mr. Creakles Dienst gebrochen und mancherlei schmutzige Geschäfte für ihn verrichtet hatte und um alle seine Geheimnisse wüßte, hörte, daß Tongay mit Ausnahme Mr. Creakles die ganze Anstalt, Schullehrer und Knaben, als seine natürlichen Feinde betrachte, und daß es die einzige Freude seines Lebens sei, mürrisch und boshaft zu sein. Ich hörte, daß Mrs. Creakle einen Sohn habe, den Tongay nicht hatte ausstehen können, und der einmal als Unterlehrer in der Schule seinem Vater Vorstellungen über die zu grausame Züchtigung eines Knaben gemacht und gegen die Art, wie Creakle seine Gattin behandelte, protestiert hätte. Ich hörte, daß Mr. Creakle ihn deswegen verstoßen hätte, und daß Mrs. und Miß Creakle darüber sehr bekümmert seien.
Das Wunderbarste aber war, daß ein Knabe in der Schule sei, an den Mr. Creakle niemals wagte, die Hand anzulegen, nämlich J. Steerforth. Steerforth selbst bestätigte das und sagte, er möchte es gern einmal sehen, wenn Creakle so was probieren wollte. Als ein kleiner schüchterner Junge fragte, was er in so einem Fall denn tun würde, brannte er ein Zündholz an, wie um einen hellen Schein über seine Antwort zu verbreiten, und sagte, er würde ihn zuerst einmal mit der schweren Tintenflasche, die immer auf dem Kamin stand, zu Boden schlagen. Eine Zeitlang saßen wir dann atemlos im Dunkeln da.
Ich vernahm, daß Mr. Sharp und Mr. Mell vermutlich beide sehr schlecht bezahlt würden, und daß, wenn warmes und kaltes Fleisch auf Mr. Creakles Tafel stünde, man beim Mittagessen von Mr. Sharp stets erwarte, er werde kaltes vorziehen, was wiederum von Steerforth, der allein an der Tafel des Vorstehers aß, bestätigt wurde. Ich vernahm, daß Mr. Sharp seine Perücke nicht genau passe, und daß er damit gar nicht so groß zu tun – aufzudrehen – wie es einer nannte – brauchte, da man ganz deutlich sehen könnte, wie sein rotes Haar darunter hervorschaue. Ich hörte ferner, daß ein Schüler, der Sohn eines Kohlenhändlers, da wäre in Gegenrechnung für bezogene Kohlen, und daß man ihn deshalb Wechsel- oder Tauschgeschäft, welche Bezeichnung aus dem Arithmetikbuch stammte, benannte. Ich hörte, daß das Tischbier eine an den Eltern verübte Räuberei und der Pudding eine Unverschämtheit wäre. Ich hörte, daß man in der Schule allgemein annehme, Miß Creakle sei verliebt in Steerforth, und wenn ich im Dunkeln saß und an seine gewinnende Stimme, sein feines Gesicht, die ungezwungenen Manieren und sein lockiges Haar dachte, hielt ich es für sehr wahrscheinlich.
Ich erfuhr, daß Mr. Mell kein übler Mensch wäre, aber keinen Sixpence besäße, um sich etwas leisten zu können, und daß die alte Mrs. Mell, seine Mutter, so arm sei wie Hiob. Ich mußte an mein damaliges Frühstück denken und an das, das wie »Mein Charley« geklungen hatte, aber ich schwieg darüber mäuschenstill.
Die Erzählung dieser und vieler anderer Sachen dauerte viel länger als das Festmahl. Der größere Teil der Gäste ging schlafen, als das Essen und Trinken vorbei war, und wir, die wir halb entkleidet in flüsterndem Gespräch noch aufgeblieben, verfügten uns endlich auch ins Bett..
»Gute Nacht, kleiner Copperfield,« sagte Steerforth. »Ich werde dich unter meinen Schutz nehmen.«
»Sie sind sehr freundlich,« erwiderte ich dankbar. »Ich bin Ihnen außerordentlich verpflichtet.«
»Du