David Copperfield. Charles Dickens
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Читать онлайн книгу David Copperfield - Charles Dickens страница 49
Ich weiß, ich übertreibe nicht, auch nicht unabsichtlich, die Dürftigkeit meiner Mittel oder die Bedrängnisse meines Lebens. Ich weiß, daß, wenn Mr. Quinion mir einmal einen Schilling schenkte, ich ihn immer nur für Tee oder ein Mittagessen ausgab. Ich weiß, daß ich als ärmliches Kind mit gewöhnlichen Männern und Knaben von früh bis spät mich abarbeitete. Schlecht und ungenügend genährt, schlenderte ich in meinen freien Stunden durch die Straßen. Wie leicht hätte aus mir ein kleiner Dieb oder Vagabund werden können.
Immerhin nahm ich bei Murdstone & Grinby eine gewisse Stellung ein. Mr. Quinion tat, was ein so viel beschäftigter und im ganzen großen so gedankenloser Mann, der überdies mit einem so außergewöhnlichen Auftrag betraut worden war, tun konnte, um mich anders als die übrigen zu behandeln. Überdies verschwieg ich meinen Gefährten, wie ich an diesen Ort gekommen war und äußerte nie das mindeste, daß ich mich darüber bekümmert fühlte. Daß ich im geheimen litt und auf das tiefste, das wußte nur ich. Und wie sehr ich litt, kann ich gar nicht beschreiben. Aber ich behielt meinen Schmerz für mich und verrichtete meine Arbeit.
Ich fühlte gleich am Anfang, daß ich mich vor Geringschätzung nicht würde schützen können, wenn ich meine Arbeit nicht so gut machte wie die übrigen. Ich wurde bald so geschickt und flink wie die beiden andern Jungen. Obgleich auf bestem Fuß mit ihnen, unterschieden sich doch mein Benehmen und meine ganze Art und Weise von ihresgleichen, und es blieb immer eine Kluft zwischen uns bestehen. Sie und die erwachsenen Arbeiter nannten mich meist den »kleinen Gentleman« oder den »jungen Suffolker.«
Der Vormeister unter den Packern, namens Gregory, und ein andrer, der Kärrner, namens Tipp, der eine rote Jacke anhatte, nannten mich zuweilen David, aber es geschah nur, wenn gerade eine sehr vertrauliche Stimmung herrschte und ich mich bemüht hatte, sie während der Arbeit mit einigen Überresten aus meiner Lesezeit, die immer mehr aus meinem Gedächtnis schwanden, zu unterhalten. Mehlkartoffel lehnte sich einmal dagegen auf, daß ich so ausgezeichnet wurde, aber Mick Walker brachte ihn sofort zum Schweigen.
Die Hoffnung auf eine Erlösung aus diesem Dasein hatte ich ganz aufgegeben. Ich fand mich nie in meiner Stellung zurecht und fühlte mich höchst unglücklich, aber ich ertrug es, und selbst Peggotty entdeckte ich teils aus Liebe, teils aus Scham in keinem Brief, obgleich ich ihr viele schrieb, die Wahrheit.
Mr. Micawbers Bedrängnisse vermehrten noch die Last, die ich innerlich zu tragen hatte. In meiner Verlassenheit war ich der Familie sehr anhänglich geworden und ging immer herum, beschäftigt mit Mr. Micawbers Sorgen und beschwert von der Last seiner Schulden.
Jeden Samstagabend, der immer ein Fest für mich bedeutete, teils, weil es etwas Großes war, mit sechs oder sieben Schillingen nach Hause zu gehen, in die Läden zu blicken und zu denken, was man sich da alles kaufen könnte, teils, weil das Geschäft zeitlicher geschlossen wurde, machte mir Mrs. Micawber die herzzerreißendsten Mitteilungen. Auch Sonntag früh, wo ich die Portion Tee oder Kaffee, die ich mir am Abend zuvor gekauft hatte, in einem kleinen Rasiertopf wärmte und lange beim Frühstück schwelgte.
Durchaus nicht ungewöhnlich war es, daß Mr. Micawber bei Beginn unserer Samstagabend-Unterhaltung noch heftig schluchzte und gegen Ende ein lustiges Matrosenlied sang. Ich habe ihn zum Abendessen nach Hause kommen sehen mit einer Flut von Tränen und der Erklärung, es bliebe nichts mehr übrig als das Schuldgefängnis, und dann schlafen gehen mit einer Berechnung beschäftigt, was es kosten würde, das Haus mit Bogenfenstern zu versehen, im Falle »eine glückliche Wendung eintreten« sollte, wie sein Lieblingsausdruck lautete. Und Mrs. Micawber war genau so.
Ich genoß eine merkwürdige freundschaftliche Gleichstellung, die, wie ich vermute, eine Folge unserer in gewisser Beziehung ähnlichen Verhältnisse war, bei diesen Leuten, trotz unseres lächerlichen Altersunterschiedes, ließ mich aber nie bewegen, eine der vielen Einladungen, mit ihnen zu essen und zu trinken, anzunehmen, denn ich wußte recht gut, wie schlecht sie mit Bäcker und Fleischer standen, und daß sie oft nicht genug für sich selbst hatten, bis Mrs. Micawber mich eines Tags ganz ins Vertrauen zog. Das tat sie in folgender Weise:
»Master Copperfield,« sagte sie, »ich betrachte Sie nicht wie einen Fremden und zögere daher nicht, Ihnen zu gestehen, daß Mr. Micawbers Bedrängnisse sich zu einer Krisis zuspitzen.«
Das betrübte mich sehr, und ich sah Mrs. Micawbers verweinte Augen mit größter Teilnahme an.
»Mit Ausnahme der Kruste von einem Holländer Käse, die den Bedürfnissen einer jungen Familie nicht angemessen ist,« sagte Mrs. Micawber, »ist auch nicht ein Bissen mehr in der Speisekammer. Als ich noch bei Papa und Mama war, hatte ich noch die Gewohnheit von einer Speisekammer zu sprechen. Jetzt gebrauche ich das Wort eigentlich ganz gedankenlos. Was ich sagen will, ist, daß wir nichts mehr zu essen im Hause haben.«
»O Gott!« rief ich sehr beunruhigt.
Ich besaß noch zwei oder drei Schillinge von meinem Wochenlohn, es muß also wohl Mittwoch gewesen sein, und ich zog sie eilfertig aus der Tasche und bat Mrs. Micawber mit aufrichtiger Rührung, sie als ein Darlehen anzunehmen. Aber sie küßte mich nur und sagte, daß daran gar nicht zu denken sei.
»Nein, lieber Master Copperfield! Das sei ferne von mir! Aber Sie sind sehr diskret für Ihre Jahre und können mir einen andern Dienst erweisen, wenn Sie wollen, den ich mit Dank annehmen würde.«
Ich bat Mrs. Micawber, ihn mir zu nennen.
»Das Silberzeug habe ich selbst fortgeschafft,« sagte sie, »sechs Tee-, zwei Salz- und ein paar Zuckerlöffel habe ich nach und nach insgeheim selber versetzt, aber die Zwillinge sind ein großes Hindernis, überdies sind für mich mit meinen Erinnerungen an Papa und Mama derlei Transaktionen sehr schmerzlich. Ich habe noch ein paar Kleinigkeiten da, die wir entbehren können. Mr. Micawber würden seine Gefühle niemals erlauben, so etwas selber zu besorgen, und Clickett – das war das Mädchen aus dem Armenhaus – ist eine ordinäre Person und würde sich Frechheiten herausnehmen, wenn man sie einweihte. Master Copperfield! wenn ich Sie daher bitten dürfte –«
Ich verstand jetzt Mrs. Micawber und bat sie, ganz über mich zu verfügen. Schon am Abend fing ich an, die am leichtesten tragbaren Gegenstände fortzubringen, und machte fast jeden Morgen, bevor ich zu Murdstone & Grinby ging, ähnliche Expeditionen.
Mr. Micawber hatte ein paar Bücher auf seiner kleinen Kommode stehen, die er die Bibliothek nannte; diese kamen zuerst an die Reihe. Ich trug eins nach dem andern zu einem Antiquar in der City Road, die damals zumeist aus Buchläden und Vogelhandlungen bestand, und verkaufte sie um jeden Preis. Der Antiquar, der in einem kleinen Hause unweit seines Standes wohnte, pflegte sich jeden Abend zu betrinken und wurde dann am Morgen von seiner Frau heftig ausgezankt. Mehr als einmal, wenn ich zeitig früh hinging, traf ich ihn noch im Bett mit einer Wunde an der Stirn oder einem blauen Auge, – Erinnerungen an seine nächtlichen Ausschweifungen – und er suchte dann mit zitternder Hand die nötigen Schillinge in den verschiedenen Taschen seiner Kleider, die auf dem Boden herumlagen, während sein Weib in niedergetretenen Schuhen, ein Kind auf dem Arm, ununterbrochen weiterkeifte. Manchmal schien er sein Geld verloren zu haben und dann hieß er mich wiederkommen. Aber seine Frau besaß immer ein paar Schillinge – wahrscheinlich hatte sie sie ihm während der Trunkenheit aus der Tasche genommen – und schloß den Handel heimlich auf der Treppe ab, wenn wir zusammen hinuntergingen.
Beim Pfandleiher wurde ich bald sehr bekannt. Der Hauptschreiber, der hinter dem Ladentisch amtierte, schenkte mir viel Beachtung und ließ mich oft, während sich meine Geschäfte abwickelten, ein lateinisches Substantiv oder Adjektiv deklinieren oder ein Verbum konjugieren. War ein solches Leihgeschäft besorgt, gab Mrs. Micawber meistens ein bescheidenes Abendessen, und solche Feste hatten für mich immer einen ganz besonderen Reiz.
Endlich kam