David Copperfield. Charles Dickens

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David Copperfield - Charles Dickens

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war von ihnen genommen, und ich hatte sie nie auch nur halb so elend wie an jenem Abend gesehen. Als die Glocke läutete und Mr. Micawber mich bis zum Türschließer begleitete und dort mit einem Segensspruch von mir Abschied nahm, bangte mir fast, ihn allein zu lassen, so unglücklich sah er aus.

      Aber trotz all der Verwirrung und Bedrücktheit, die sich unserer Gemüter so unerwartet bemächtigt hatte, fühlte ich deutlich, daß mir ein Abschied von den Micawbers bevorstand. Auf meinem Nachhauseweg in jener Nacht und den schlaflosen Stunden, die darauf folgten, kam mir zuerst der Gedanke, der später zu einem festen Entschluß werden sollte.

      Ich hatte mich so an die Micawbers gewöhnt und war mit ihren Bedrängnissen so vertraut geworden und stand so ohne jeden Freund da, wenn sie mir fehlten, daß mir die Aussicht, abermals unter fremde Leute gehen zu müssen, unerträglich schien. Der Gedanke an all die Scham und das Elend, das in meiner Brust lebte, wurde mir bei dem Gedanken daran noch peinigender, und ich sah keine Hoffnung an Entrinnen, wenn ich nicht aus eignem Entschluß einen Versuch wagte.

      Ich hatte selten von Miß Murdstone gehört und niemals mehr von ihrem Bruder, außer, daß hie und da ein Paket neuer oder ausgebesserter Kleider für mich an Mr. Quinion gekommen war, immer mit einem Zettel dabei, auf dem J.M. hoffte, daß D.C. in seinem neuen Beruf fleißig und gehorsam sei. Nie die geringste Andeutung, daß ich auf eine Änderung in meinem Schicksal hoffen dürfte und je etwas anderes als ein gewöhnlicher Taglöhner werden würde, zu welcher Stufe ich immer mehr herabsank.

      Schon der nächste Tag zeigte mir, daß Mrs. Micawber nicht ohne guten Grund von ihrem Weggehen gesprochen hatte. Die Familie mietete sich in dem Hause, wo ich wohnte, für eine Woche ein, um sich nach Ablauf dieser Zeit nach Plymouth zu begeben. Mr. Micawber kam nachmittags aufs Kontor, um Mr. Quinion zu sagen, daß er mich vom Tage seiner Abreise an verlassen müsse, und zollte mir ein hohes Lob, das ich gewiß auch verdiente. Mr. Quinion rief Tipp, den Kärner, der verheiratet war und ein Zimmer zu vermieten hatte, herein, und quartierte mich im voraus bei ihm ein. Aber mein Entschluß stand fest.

      Ich verlebte meine Abende mit Mr. und Mrs. Micawber, so lange wir noch unter einem Dache wohnten, und wir gewannen einander noch lieber, je mehr die Zeit verging.

      Am letzten Sonntag luden sie mich zum Mittagessen ein und wir bekamen Schweinsbraten, Apfelmus und Pudding. Ich hatte den Abend vorher ein geschecktes Holzpferd als Abschiedsgeschenk für den kleinen Wilkins Micawber und eine kleine Puppe für die kleine Emma gekauft.

      Ich schenkte auch einen Schilling dem Waisling, der jetzt entlassen werden sollte.

      Wir verlebten einen recht vergnügten Tag, wenn wir auch wegen unserer nahe bevorstehenden Trennung sehr weich gestimmt waren.

      »Ich werde nie an die Zeit von Mr. Micawbers Bedrängnis zurückdenken, Master Copperfield,« sagte Mrs. Micawber, »ohne mich Ihrer zu erinnern. Ihr Benehmen war immer von der zartfühlendsten und verbindlichsten Art. Sie sind uns nie ein Mieter gewesen, sondern immer ein Freund.«

      »Meine Liebe,« sagte Mr. Micawber, »Copperfield – so nannte er mich in der letzten Zeit – hat ein Herz für die Leiden seiner Mitmenschen, das mitfühlt, wenn die Wolken des Unheils über ihnen hängen, einen Kopf, der fühlt – eine Hand, die – – – kurz, er versteht es, alles verfügbare Eigentum, wenn es nötig ist, zu Geld zu machen.«

      Ich drückte meine Erkenntlichkeit für dieses Lob aus und sagte, wie leid es mir täte, daß wir uns trennen müßten.

      »Mein lieber, junger Freund, ich bin ein Mann von gewisser Lebenskenntnis und – kurz und gut, ich bin in der Not erfahren. Gegenwärtig und bis die glückliche Wendung eintritt, die ich jetzt stündlich erwarte, kann ich Ihnen leider nichts als einen guten Rat geben. Doch ist er insofern wert, befolgt zu werden, als – – – kurz, ich habe ihn selbst nie befolgt und bin der elende Wicht, den Sie vor sich sehen.« Mr. Micawber, der bis zu den letzten Worten mit strahlendem Gesicht dagesessen hatte, machte eine Pause und nahm eine sehr düstere Miene an.

      »Lieber Micawber,« flehte seine Gattin.

      »Ich sage also,« fuhr Mr. Micawber fort, vergaß sich ganz und lächelte wieder, »der elende Wicht, den Sie vor sich sehen. Mein Rat ist: verschieben Sie nie auf morgen, was Sie heute tun können. Aufschub ist der Dieb der Zeit. Fassen Sie ihn beim Kragen.«

      »Meines armen Papas Grundsatz,« bemerkte Mrs. Micawber.

      »Mein Herz,« sagte Mr. Micawber, »dein Papa war vortrefflich in seiner Art, und Gott sei vor, daß ich ihn je herabsetzen sollte. Aber nehmen wir ihn alles in allem – – kurz, wohl niemand hatte in seinem Alter so stattliche Waden für Gamaschen und konnte ohne Brille die kleinste Schrift lesen wie er. Leider wandte er seinen Grundsatz auch auf unsere Hochzeit an, meine Liebe, und wir schlossen sie demzufolge so vorzeitig und schnell, daß ich mich bis heute noch nicht von den Unkosten erholt habe.«

      Er sah seine Gattin von der Seite an und fügte hinzu: »Nicht daß es mich etwa gereute! Ganz im Gegenteil, meine Liebe!«

      Hierauf beobachtete er ein paar Minuten tiefstes Stillschweigen.

      »Meinen zweiten Rat,« fuhr er fort, »kennen Sie bereits, Copperfield. Jährliches Einkommen: zwanzig Pfund. Jährliche Ausgaben: neunzehn Pfund, neunzehn Schilling sechs Pence. Resultat: Wohlergehen. Jährliches Einkommen: zwanzig Pfund, jährliche Ausgaben: zwanzig Pfund sechs Pence. Resultat: Elend. Die Blüte ist dahin, das Laub verwelkt, der Gott des Tages geht unter über einem traurigen Schauspiel und – – – kurz, Sie sind im Saft. Wie ich.«

      Um das Bild noch eindrucksvoller zu machen, trank Mr. Micawber mit einer Miene großer Befriedigung ein Glas Punsch aus und pfiff den »lustigen Kupferschmied«.

      Ich unterließ nicht, ihm mit Worten zu versichern, daß ich mir seine Vorschriften sehr zu Herzen nehmen wollte, – unnötigerweise – denn ich war sichtlich gerührt.

      Am nächsten Morgen traf ich die ganze Familie in der Landkutsche und sah sie mit trostlosem Herzen ihre Plätze einnehmen.

      »Master Copperfield,« sagte Mrs. Micawber, »Gott segne Sie! Ich kann es nie vergessen, glauben Sie mir, und möchte es nicht, selbst wenn ich könnte.«

      »Copperfield,« sagte Mr. Micawber, »leben Sie wohl! Glück und Wohlergehen! Wenn ich mich im Lauf der dahinrollenden Jahre überzeugen könnte, daß mein verlornes Leben eine Warnung für Sie gewesen ist, würde ich fühlen, daß ich nicht vergebens meinen Platz auf Erden ausgefüllt habe. Falls eine glückliche Wendung eintritt, wovon ich fest überzeugt bin, werde ich mich außerordentlich glücklich schätzen, wenn es in meiner Macht steht, Ihre Aussichten zu verbessern.«

      Ich glaube, wie Mrs. Micawber mit den Kindern hinten auf dem Wagen saß und ich so klein auf der Straße stand und sehnsüchtig zu ihnen aufsah, da fiel der Schleier von ihren Augen und sie sah, was für ein winziges Geschöpf ich in Wirklichkeit war. Ich glaube es, weil sie mich plötzlich mit einem ganz veränderten Gesicht und mit mütterlichem Ausdruck in den Zügen heraufsteigen hieß und mich umarmte und mich küßte, wie ihr eignes Kind. Ich hatte kaum Zeit, wieder herunterzukommen, da fuhr die Kutsche fort. Ich konnte die Familie vor lauter Taschentücherschwenken kaum mehr sehen. In einer Minute waren sie verschwunden. Der Waisling und ich standen in der Mitte der Straße und sahen einander mit leeren Blicken an, dann schüttelten wir uns die Hand und nahmen Abschied von einander; sie ging ins St. Lukas-Armenhaus zurück, wahrscheinlich, und ich an mein trauriges Tagewerk bei Murdstone & Grinby.

      Aber ich hatte die Absicht, nicht mehr lange dort auszuhalten. Nein. Ich hatte mir vorgenommen, wegzulaufen, – so oder so, – um auf irgend eine Weise die einzige Verwandte, die ich noch auf der Welt besaß, meine Tante,

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