David Copperfield. Charles Dickens
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Die bei Mr. und Mrs. Micawber erworbne Erfahrung sagte mir, daß sich mir hier ein Mittel bieten könnte, um den Hungertod noch ein wenig hinauszuschieben. Ich ging in das nächste Seitengäßchen, zog meine Weste aus, nahm sie sauber zusammengerollt unter den Arm und kehrte wieder zu der Ladentür zurück.
»Sir,« sagte ich, »ich soll dies um einen anständigen Preis verkaufen.«
Mr. Dolloby – diesen Namen führte das Firmaschild – nahm die Weste, lehnte die Pfeife an den Türpfosten, trat vor mir in den Laden, schneuzte die beiden Lichter mit den Fingern, breitete die Weste auf dem Ladentisch aus und betrachtete sie, hielt sie gegen das Licht und sagte endlich:
»Was nenne Sie denn einen Preis für das kleine Westchen?«
»O, das wissen Sie wohl am besten,« erwiderte ich bescheiden.
»Ich kann nicht Käufer und Verkäufer zugleich sein,« sagte Mr. Dolloby. »Nennen Sie einen Preis.«
»Würden achtzehn Pence – –?« sagte ich nach einigem Zögern.
Mr. Dolloby rollte die Weste wieder zusammen und gab sie mir zurück. »Ich würde meine Familie berauben,« sagte er, »wenn ich neun Pence dafür böte.«
Das war eine unangenehme Art, zu handeln, weil sie mich – einen ganz Fremden – in die unangenehme Lage versetzte, von Mr. Dolloby zu verlangen, daß er meinetwegen seine Familie berauben sollte.
Da meine Not so groß war, sagte ich, ich wollte neun Pence nehmen.
Nicht ohne Gebrumm gab Mr. Dolloby die neun Pence. Ich wünschte ihm gute Nacht und verließ den Laden reicher um diese Summe und ärmer um eine Weste; aber wenn ich die Jacke zuknöpfte, fühlte ich es nicht sehr.
Ich sah mit ziemlicher Bestimmtheit kommen, daß meine Jacke demnächst würde denselben Weg gehen müssen, und daß ich wohl gezwungen sein würde, den größten Teil meines Wegs nach Dover in Hemd und Hosen zurückzulegen, und mich noch glücklich schätzen dürfte, wenn es mir gelänge, noch in solchem Aufzug hinzukommen. Trotzdem machte ich mir nicht allzuviel daraus.
Es war mir ein Plan eingefallen, wie ich die Nacht verbringen könnte, und ich machte mich daran, ihn zur Ausführung zu bringen. Ich wollte mich hinter die Rückmauer meiner alten Schule in eine Ecke, wo früher ein Heuschober stand, legen. Ich bildete mir ein, es wäre eine Art Gesellschaft, wenn ich die Schüler und das Schlafzimmer, in dem ich immer soviel Geschichten erzählt, in der Nähe wüßte, wenn auch niemand drin etwas von meiner Anwesenheit ahnte.
Ich hatte einen langen Marsch hinter mir und war ganz abgehetzt, als ich endlich auf die Ebene von Blackheath hinauskam. Ich fand nach langer Mühe Salemhaus, fand auch den Heuschober in der Ecke und legte mich nieder, nachdem ich vorher um die Mauer herumgegangen, nach den Fenstern gesehen und alles finster und still gefunden hatte. Nie werde ich das Gefühl von Verlassenheit vergessen, das ich empfand, als ich mich das erstemal ohne ein Dach über meinem Haupt, nur den Himmel über mir, niederlegte.
Aber der Schlaf kam zu mir, wie er zu den Verstoßenen kommt, denen die Haustüren verschlossen sind, und die von den Hunden angebellt werden. Ich träumte, ich läge in meinem alten Schulbett und fand mich einmal aufrecht sitzend mit Steerforths Namen auf der Zunge und wild nach den Sternen starrend, die über mir schimmerten. Als mir dann klar geworden, wo ich mich zu dieser ungewöhnlichen Stunde befand, überlief mich ein merkwürdiges Gefühl, das mich bewog, aufzustehen und herumzugehen. Der mattere Schimmer der Sterne und das Dämmern im Osten beruhigten mich. Da ich noch sehr schläfrig war, legte ich mich wieder hin und schlummerte ein und fühlte im Schlaf, wie kalt es war, bis mich die warmen Strahlen der Sonne und die Frühglocke von Salemhaus weckten. Ich wußte, daß Steerforth fort sein mußte, sonst hätte ich vielleicht auf ihn gewartet. Möglicherweise war Traddles noch da, doch ich hatte nicht genug Vertrauen auf seine Verschwiegenheit, um ihm meine Lage anvertrauen zu können, so sehr ich mich auf sein gutes Herz hätte verlassen dürfen. So schlich ich mich fort von der Mauer, als Mr. Creakles Jungen aufstanden, und schlug die staubige Straße nach Dover ein.
Wie verschieden war dieser Sonntagmorgen von jenem damals in Yarmouth. Ich hörte die Kirchenglocken läuten, als ich mich langsam hinschleppte, begegnete den sonntäglich gekleideten Leuten, kam an eine oder zwei Kirchen vorbei, in denen der Gottesdienst abgehalten wurde, während der Büttel im kühlen Schatten des Eingangs saß oder unter dem Eibenbaum stand und mir mißtrauisch nachsah. Friede und Ruhe des Sonntagmorgens überall, nur nicht in mir. Ich kam mir so verkommen vor in meinem Schmutz, so bestaubt und mit wirrem Haar. Ohne das stille Bild meiner Mutter in Jugend und Schönheit, wie sie weinend beim Feuer sitzt und meine Tante weich wird ihr gegenüber, im Herzen, hätte ich kaum den Mut gehabt, noch bis zum nächsten Tag auszuhalten. Aber es schwebte immer vor mir her, und ich ging hinter ihm drein.
Ich legte an diesem Sonntag dreiundzwanzig englische Meilen auf der Landstraße zurück und es fiel mir nicht leicht, denn ich war das Wandern nicht gewöhnt. Ich sehe mich bei hereinbrechendem Abend über die Brücke von Rochester gehen, müde, mit wunden Füßen und das Brot verzehrend, das ich mir zum Abendessen gekauft. Ein oder zwei kleine Häuser mit der Aufschrift »Nachtquartier für Reisende« hatten mich wohl gelockt, doch ich fürchtete, die paar Pence, die ich noch besaß, auszugeben, und empfand noch mehr Angst vor den verdächtigen Blicken der Strolche, denen ich unterwegs begegnet. Ich suchte mir daher kein anderes Dach als den Himmel, und als ich Chatham erreichte, das bei Nacht aussieht, wie ein Traum voll Mauern, Zugbrücken und mastlosen Schiffen mit Verdecken, wie Archen, kroch ich auf eine alte grasbewachsene Schanze, vor der eine Schildwache auf und ab ging. Hier legte ich mich neben eine Kanone und schlief gesund bis zum Morgen, glücklich, von weitem die Schritte der Schildwache zu hören.
Am nächsten Morgen war ich ganz steif, und das Trommelwirbeln und der Schritt der marschierenden Truppen, die mich ringsum einzuschließen schienen, als ich nach der langen schmalen Straße hinabging, betäubten mich förmlich. Ich fühlte, daß ich diesen Tag nur eine kurze Strecke würde zurücklegen können, wenn ich mir noch etwas Kraft für den letzten Teil meiner Reise aufsparen wollte. Ich beschloß daher vor allem den Verkauf meiner Jacke ins Auge zu fassen. Ich zog also meine Jacke aus, um mich daran zu gewöhnen, ohne sie auszukommen, nahm sie unter den Arm und sah mich nach Trödlerläden um.
Es war ein sehr geeigneter Ort für den Verkauf einer Jacke, denn die »Händler in alten Kleidern« waren sehr zahlreich und schauten in ihren Ladentüren nach Kunden aus. Aber da bei den meisten ein oder zwei Offiziersuniformen mit Epauletten im Ladenfenster hingen, schreckte mich der vornehme Charakter dieser Geschäfte ab, und ich lief lange Zeit herum, ohne jemand meine Ware anzubieten.
Meine Aufmerksamkeit lenkte sich vornehmlich auf die Seemannsläden und solche, wie Mr. Dollobys, und endlich fand ich einen, der mir vielversprechend aussah, an der Ecke eines schmutzigen Gäßchens, das an einen eingezäunten grünen Fleck voller Brennesseln stieß. An dem Zaune hingen ein paar alte Matrosenanzüge, einige Hängematten, rostige Flinten und Südwester und vor dem Laden standen mehrere Mulden mit soviel verrosteten Schlüsseln in allen Größen, daß man sämtliche Türen der Welt hätte damit aufsperren können.
In diesen Laden, der niedrig und klein und eher verdunkelt als erhellt durch ein mit Kleidern verhangenes Fensterchen war, stieg ich mit klopfendem Herzen einige Stufen hinab. Meine Bangigkeit wuchs noch, als ein grauenhafter alter Mann, dessen untere Gesichtshälfte