Die erfundene Armut. Alex Bergstedt
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Arm oder reich – das ist hier die Frage. Immer häufiger erschrecken uns Zahlen, die von wachsender Armut berichten. So gab der Spiegel online am 22.8.2018 bekannt, dass 4,4 Millionen Kinder in Deutschland arm seien. Auf der anderen Seite gibt es viele Bürger, die Geld übrighaben und froh wären, einmal einem armen Kind zu helfen, ihm Klavierstunden zu ermöglichen, ihm einen Aufenthalt am Strand oder einen anderen Ausflug zu ermöglichen oder ihm mit Büchern zu helfen, aber sie finden keine hilfsbedürftigen Kinder. Was ist also los?
„Immer mehr arme Menschen in Deutschland“ titelten Medien in den vergangenen Jahren. Es gibt immer mehr arme Menschen in Deutschland - aber auch immer mehr Reiche. Die Schere zwischen arm und reich wird in der Gesellschaft immer größer. Parteien vom rechten und linken Rand hauen in diese Kerbe und prangern die Regierung an, die sie für die „grassierende Armut“ verantwortlich machen. Aber während sonst die Medien besonders zu den Parteien des rechten Rands Distanz halten, ziehen sie in diesem Punkt meistens am selben Strang und informieren ihre Leser darüber, dass sie zu einem großen Teil arm sind. Selbst gemeinnützige Organisationen und Kirchen verbreiten diese Propaganda, ungeachtet des einstmals propagierten Armutsideals, dessen zufolge die Armut dann ja eigentlich nicht verteufelt werden dürfte.
Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung informiert, wie viel die Menschen in Deutschland verdienen. Demnach leben 5,4 % der Befragten dauerhaft unter der Armutsgrenze, das bedeutet seit mehr als fünf Jahren. Als Armutsgrenze für eine alleinstehende Person wurde für diese Studie ein Einkommen von 12.192 Euro im Jahr angenommen, das sind rund 1016,00 Euro im Monat zum Leben. Als reich zählt man hingegen, wenn man allein 40.639 Euro im Jahr verdient (das sind im Schnitt 3.364 Euro im Monat). Dauerhaft reich sind rund 3,4 % der Bevölkerung. Es gibt also mehr arme als reiche Menschen - und die Zahl der Armen nimmt schneller zu. Das Problem ist, so schreibt die Studie, dass sich auch die Lebenswelten der Armen und Reichen immer mehr entfremden: Kinder werden auf unterschiedliche Schulen geschickt, die Häuser oder Wohnungen liegen in verschiedenen Vierteln, die Freizeitgestaltung und die Einkaufsmöglichkeiten sind andere.
Angeblich war früher alles besser. In den Jahren nach dem Krieg waren fast alle arm, die Löhne waren sehr gering, aber man hat gemeinsam das Land wieder aufgebaut. Lehrer, Pastoren, Richter oder andere Beamte waren genauso zu einfachem Leben gezwungen wie Arbeiter und Angestellte. Somit hat es mehr Gerechtigkeit gegeben. Seit den 70ger Jahren ist die Schere zwischen arm und reich dann immer weiter auseinander gegangen. Der zunehmende Wohlstand machte Unternehmer, aber auch viele kleine Selbständige wohlhabend und der Staat erhöhte die Besoldung der Beamten und Angestellten stetig. Wer in den 70ger Jahren aus Deutschland ausgewandert ist und jetzt zurückkommt, wird es nicht mehr wiedererkennen. Alle Leute besitzen unheimlich viele Dinge. Die Anzahl der Autos ist unermesslich. Viele Familien besitzen mehrere Autos, teure Fernseher oder ganze Anlagen (Heimkino oder Home Cinema o.a.) in raumfüllender Größe, Handys für alle Familienmitglieder, kaufen Fertiggerichte, fahren überallhin mit Autos oder anderen kostenerzeugenden Verkehrsmitteln und leisten sich kostenpflichtige Dienste wie Netflix, Pay-TV, Streamingdienste und vieles mehr. Auf der anderen Seite sieht man Obstbäume und Sträucher, die niemand aberntet, und in der Landwirtschaft (z.B. auf den Erdbeerplantagen) verdienen sich nicht mehr Kinder, Hausfrauen oder Arbeitslose ein Taschengeld, sondern die Landwirte müssen sich ihre Arbeitskräfte aus dem Ausland holen.
Als ich in den 70ger Jahren selbst auf einem Erdbeerfeld pflückte, war ich 14 oder 15 und damit bei weitem nicht der Jüngste. Auch andere Kinder verdienten sich dort ein Taschengeld, und manchmal pflückten dort Mütter, oft auch türkische Gastarbeiterfrauen, und alle ihre Kinder bis zu den kleinsten halfen mit.
Als ich jedoch 2019 auf ein Feld zum Selbstpflücken fuhr, war ich mit 57 Jahren der Jüngste.
Die Hans-Böckler-Stiftung hat eine Grenze von rund 1000 Euro als Grenze definiert, unter welcher ein Mensch in Deutschland als arm gelten soll. Nun könnte die Regierung einfach allen Menschen, die weniger als 1000 Euro haben, etwas dazugeben, dann wäre die Armut ausgelöscht.
Organisationen, die daran ein Interesse haben, dass es so wirke, dass das Land von Armut gebeutelt sei und dass die Menschen glauben, dass sie arm sind, haben daher eine andere Definition erfunden. Danach gilt als arm, wer weniger als 60% des Durchschnittseinkommens zur Verfügung hat. Mit dieser Definition ist die Existenz der Armut für immer garantiert, denn es ist praktisch unmöglich, sie auszurotten.
Denken wir zum Beispiel an eine exklusive Insel, auf der sich nur Schickeria tummelt, rund hundert Leute, von denen der ärmste 7 Millionen besitzt, der reichste 37 Milliarden. Der durchschnittliche Verdienst liegt wegen der hohen Einnahmen der Milliardäre bei 5 Millionen pro Monat. 60% davon sind 3 Millionen. Die meisten Millionäre kommen bei weitem nicht auf diese Armutsgrenze, so dass 70% dieser Multimillionäre als arm gelten müssen.
Der Investor, der die gesamte Bevölkerung in bittere Armut stieß
Ein anderes Beispiel: Auf einer Insel in der Südsee wohnten 20 Eingeborene ein primitives, aber glückliches Leben. Sie ernteten Kokosnüsse und andere Früchte, aber bauten auch ein wenig an, fischten und jagten. Alle verdienten für europäische Verhältnisse sehr wenig, so um die 100 Euro, wenn sie mal etwas an gelegentlich in Yachten vor der Insel ankernde Touristen verkauften, aber da sie für Nahrung kein Geld auszugeben brauchen, ihre Hütten selbst bauen und bei dem gleichmäßig warmen Klima kaum Kleidung brauchen und diese zudem oft selbst herstellen, brauchen sie im täglichen Leben gar kein Geld, so dass viele mehrere Tausend Euro in ihren Hütten angesammelt haben und sich sehr reich fühlen.
Eine Untersuchung einer gemeinnützigen Einrichtung kam sogar zu dem Ergebnis, dass es sich um eine der Regionen mit der geringsten Armut weltweit handelte. Als arm gilt dieser Einrichtung ein Mensch, der weniger als 60% des Durchschnitts verdient. Niemand verdiente weniger als 60% des Durchschnitts, da alle etwa gleich arm waren, und so war für die Statistiker alles auf der Insel im sozialen Sinne in Ordnung, denn laut ihrer Statistik war ja niemand arm.
Eines Tages hatte ein Tourist, der mit seiner Yacht die Insel kennengelernt hatte, eine Idee. Er verhandelte mit den Bewohnern, mietete ein Grundstück an und baute ein kleines Hotel für Touristen, die ein unberührtes Eiland zum Ausspannen suchen. Als Grundstücksmiete zahlte er jedem Bewohner 100 Euro pro Monat, außerdem nahmen auch fünf oder sechs Bewohner das Angebot an und arbeiteten für monatlich 200 € in dem Hotel, so dass fast jede Familie auch davon profitierte, und bald besaßen etliche Familien Fernseher, Handys, neue Kleidung und andere Artikel. (200 € waren nicht nur auf der Insel, sondern in der ganzen Gegend eine sehr gute Bezahlung, vor allem für einen ungelernten Job.)
Als die gemeinnützige Organisation im nächsten Jahr wiederkam, um die Statistik zu aktualisieren, kam sie allerdings zu einem schrecklichen Ergebnis. Der Investor war inzwischen auf die Insel gezogen. Er war reich, verdiente gut an seinem Hotel, vermietete seine Yacht und hatte sein zuvor bewohntes schönes Haus in Europa und sein dortiges Sommerhaus verkauft und sein gesamtes Vermögen gut angelegt, so dass er auf ein monatliches Einkommen von rund 100.000 € kam. Die auf der Insel wohnhaften Hotelangestellten verdienten mit Nebeneinnahmen so 400 €, die anderen kamen durch den stärkeren Touristenzustrom nun auf 200 € im Monat. Das verheerende Ergebnis ergab, dass das Durchschnittseinkommen der nunmehr 21 Bewohner nunmehr 5000 € betrug, aber 95% der Bevölkerung verdienten noch nicht einmal 10% des Durchschnittseinkommens, waren also jämmerlich arm. Da sieht man mal wieder, dass die Investition eines bösen Kapitalisten der Bevölkerung keinen Wohlstand bringt, sondern Elend! Karl Marx hat wohl doch recht, oder?
Die Inselbewohner selbst hatten allerdings weder von Marx noch von der Theorie, dass alle arm seien, die weniger als 60% des Durchschnitts verdienten, gehört und sagten in der Befragung, es gehe ihnen wesentlich