Der andere Jesus. Christine Kolbe

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Wasserkrug und ein Stück Käse mit Brot, das sie in ihrer Tasche bei sich trug. Zu gern wäre sie selbst über den Markt gezogen, um all die Auslagen zu bewundern. Besonders die Goldschmiede erregten ihre Aufmerksamkeit. Der Schmuck, der in kleinen Holzkästchen angeboten wurde, war nach arabischer Art reich mit filigranen Mustern und Emblemen verziert.

      Miriam wusste, dass sich heute Abend viele Gäste im Haus ihres Onkels versammeln würden. Ihr Bruder hatte ihr von der geheimen Zusammenkunft erzählt, die sich im Kreis einer besonderen Bruderschaft abspielte und zu der nur Mitglieder zugegen waren. Sie wusste, dass ihr Onkel seit Jahren Führer dieser Bruderschaft war, doch war ihr niemals zu Ohren gekommen, worum sich ihre regelmäßigen Versammlungen eigentlich drehten. Sie hatte sich niemals Gedanken darüber gemacht, bis eines Tages ein besonderer Gast erwartet wurde, der bei Anbruch der Dunkelheit ungesehen ins Haus geführt wurde und ebenso unbemerkt wieder verschwand. Dieser fremde Gast musste von besonderer Bedeutung sein, und Miriam war neugierig, ob sie ihn wohl heute zu Gesicht bekam. Sie war dazu eingeteilt, beim Austeilen der Speisen zu helfen, und somit würde sie die Versammelten in Augenschein nehmen können.

      „Miriam, träumst du?“, rief die Bäuerin, die neben ihr einen Stand mit wohlriechenden Kräutern aufgebaut hatte. Einige Käuferinnen standen vor ihren Tonkrügen, um über ihren Inhalt zu beratschlagen. Doch Miriam hatte nur in Gedanken versunken vor sich hingestarrt. Nun fuhr sie auf, um die Käuferinnen zu beraten. Verwirrt zog sie ihr Kleid glatt und begann die verschiedenen Öle zu beschreiben.

      Im Amtszimmer des Statthalters hatte sich eine Gruppe hoher Vertreter des jüdischen Rates versammelt. Sie waren abgesandt, um die Feierlichkeiten der kommenden Tage mit dem Statthalter zu besprechen und seine Soldaten um Rücksicht auf ihre religiösen Stätten zu bitten. Immer wieder verletzten römische Soldaten die Verbotszone am großen Platz vor der Synagoge und betraten heiligen Boden, der nur den jüdischen Priestern und Gläubigen vorbehalten war. Dieses Sakrileg wurde von der Gemeinde sehr beklagt, und so war auch heute die Gesandtschaft der Priester hier erschienen, um ihn zu bitten, seinen Soldaten Zurückhaltung aufzuerlegen.

      In diesen Tagen kamen viele Menschen aus weit entfernten Regionen in die Stadt, um das große Fest zu feiern. Doch gab es immer auch allerlei Unruhen und Tumulte, wenn die hitzigen Diskussionen um religiöse Auslegungen und die allgemeinen Anfeindungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu hohe Wellen schlugen. In diesem Fall war es den jüdischen Aufsichtsbeamten verwehrt, einzuschreiten, und römische Soldaten griffen oft allzu brutal ein, um die Streitenden zur Ruhe zu bringen. Daher waren in diesen Tagen die Gefängnisse überfüllt, und die bekanntermaßen immer wieder aufgegriffenen Streithähne wurden erst nach dem Fest wieder freigelassen.

      Der Statthalter hörte sich die Klagen und Bitten der Priester ruhig an. Er war es leid, immer wieder schlichtend einzugreifen, aber wenn entscheidende Urteile gefällt werden sollten, wurde er gezwungen, in der einen oder anderen Weise zu entscheiden. Er fühlte sich wie ein Spielball zwischen rivalisierenden Gruppierungen, die ihn nach Belieben hinzuzogen oder ausschlossen. Und all dies tat er nur, um Ruhe in der Region zu bewahren, deren historische und traditionelle Feindseligkeiten für ihn nie genau zu durchblicken waren.

      Auch heute wieder sollte er Soldaten dort postieren, wo die Priesterschaft es wollte, nicht jedoch da, wo ihre eigenen Wachtposten aufgestellt wurden. Manchmal wurde es ihm zuviel mit all den Regeln und den Sondergenehmigungen, die sie von ihm forderten.

      Er kehrte in Gedanken in seine Heimat zurück, wo die religiösen Bräuche so viel einfacher und klarer waren. Es gab die einzelnen Feste, die den Göttern geweiht waren, und alle Welt konnte daran teilnehmen oder fortbleiben, ohne dass dies Züchtigungen und Sanktionen nach sich gezogen hätte. Er sehnte sich nach der Ruhe und Klarheit im Palast seines Vaters, wo alle Zeit das Leben nach eindeutigen Regeln ablief und alles seinen Platz hatte. Er verglich die Stadt hier mit einem Hexenkessel, einem Schlangennest im Vergleich mit seinem eigenen Zuhause.

      Die Delegation verabschiedete sich, und er notierte einige Besonderheiten für den Dienstplan seiner Soldaten, die oftmals nur unwillig ihren Dienst versahen und von aller Welt nur verachtet und gehasst wurden. Das war kein Wunder nach der langen Belagerungszeit, die es jedoch niemals geschafft hatte, Ruhe und Ordnung in dieser Stadt zu schaffen. Was mochte das Passahfest dieses Mal wieder bringen? Schweiß rann ihm von der Stirn.

      Der nächste Besucher war einer der wenigen Freunde, die er unter den Juden hatte. Er hatte ihn einst als Schlichter in den Auseinandersetzungen mit der Priesterschaft kennengelernt. Er war ein weiser und besonnener Mann, der immer wieder weitblickend und klug zu raten verstand. An diesem Morgen begrüßte er ihn besonders herzlich, war ihm dieser Gast doch immer willkommen.

      Josef von Arimathäa war ein stattlicher Mann. Er überragte den Statthalter um Haupteslänge. Ein dichter dunkler Bart rahmte sein Gesicht ein, und seine hellen Augen blickten freundlich und weise in diese Welt.

      Solche ermüdenden Streitigkeiten kamen allenthalben auf seinen Tisch und wurden dann an untergebene Mitarbeiter weitergegeben. Die sorgenvolle Miene bezog sich nun nicht auf derartige Nichtigkeiten, sondern auf ein Dokument, in dem ein bevorstehender Prozess bereits in seinem Ausgang vorweggenommen wurde. Eine Vielzahl solcher Prozesse und Verurteilungen hatte er schon vorgenommen, doch dieses Mal, das spürte er deutlich, überschritt er seine Befugnisse.

      Josef hatte still und mit ernstem Gesicht zugehört, als der Prokurator ihm seine Sorge mitgeteilt hatte. Er wusste, er würde ihm vertrauen können. Oft schon hatte er weitblickend Rat gewusst, besonders in Angelegenheiten, die religiöser Natur waren.

      Josef fuhr sich mit der Hand über die Augen. Er hatte befürchtet, dass man das Passahfest dazu benutzen würde, um seiner habhaft zu werden und vor aller Welt ein Exempel zu statuieren.

      Die ganzen letzten Monate hatte er diese latente Bedrohung gespürt, unwirklich und doch real. Viele Male hatten sie im engsten Kreis darüber diskutiert, welchen Ausweg es geben könnte. Nach monatelangen Diskussionen waren sie übereingekommen, einen Ausweg zu wählen. Dies war der Anlass seines Besuches gewesen. Dass nun der Prokurator selbst auf diesen Prozess zu sprechen kam, überraschte ihn. Er hatte nicht geglaubt, dass es so schnell gehen würde und der Hohe Rat die Verurteilung würde fordern können. Eine Weile saßen sie schweigend da.

      „Nun, mein Freund, was wirst du mir raten in dieser schweren Stunde? Schon zum siebten Mal ist er mir im Traum erschienen, gottgleich mit strahlendem Gesicht. Sag mir, bist du ihm je begegnet, und stimmt es, was sie über ihn sagen?“

      Josef antwortete nicht gleich. Er war sich darüber im Klaren, dass, wenn er die ganze Wahrheit zur Sprache brächte, er vielleicht das Vertrauen des Freundes verlöre. Er wollte ihn aber auch nicht hintergehen oder Unwahres antworten.

      „Nun“, sprach er, „ich bin ihm begegnet. Und ich bin von seiner Lehre und von seinen Reden auf das Tiefste beeindruckt. Wenn er spricht, verwandelt sich die Welt, und es kehrt eine solche Stille und Ehrfurcht ein, dass niemand auch nur wagt, ihn zu stören oder das Wort zu erheben. Ich bin viele Male Zeuge dieser Kundgebungen geworden, bevor er im Geheimen zu lehren begann, und ich versichere dir, er ist der, auf den wir gewartet haben.“

      Der Statthalter hatte

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