Von alten und neuen Bürowelten. Maik Marten

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Von alten und neuen Bürowelten - Maik Marten

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oder gemeinsames Grübeln über ein neues Problem zu geraten: „Walking down that impossibly long tiled corridor, a scientist on his way to lunch in the Murray Hill cafeteria was like a magnet rolling past iron filings.“3 Dieses Gestaltungsprinzip war im Grunde genommen das, was man später im Interieur Design unter nudging, oder serendipity encounters verstand.

      Der erste Gebäudekomplex von Murray Hill wurde 1942 offiziell eingeweiht. Die Fassade bestand aus Kalkstein und Ziegel. Das kupferfarbene Dach nahm über die Jahre eine grüne Patina an und verschmolz so mit dem Grün der umgrenzenden, großzügig gestalteten Gartenanlage, in die die Mitarbeiter sich zum Entspannen zurückziehen konnten. Da sich die Laborsituation und Konstellation der Teams ständig änderte, verzichtete man im Inneren weitestgehend auf feste Wände. Stattdessen verwendete man schalldämpfende Trennwände, die man je nach Bedarf in einem Raster von zwei Metern umsetzen konnte. Vorinstallierte Rohre an der Decke versorgten jeden Raum nicht nur mit Strom und Wärme, sondern auch mit Druckluft, destilliertem Wasser; wenn nötig sogar mit Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff und Vakuum. Über 900 Wissenschaftler und technische Mitarbeiter wurden in dem vierstöckigen Gebäude untergebracht.

      Bereits kurz nach Inbetriebnahme der Einrichtung begannen Vertreter anderer Unternehmen, Universitäten und Forschungseinrichtungen den Bell Labs einen Besuch abzustatten. Man wollte sich einen Eindruck von der besonderen Architektur und der Zusammenarbeit der Wissenschaftler verschaffen. Die Bell Labs wurden zu einem Referenzmodell moderner Zusammenarbeit. Manche Unternehmen versuchten, eigene Industrielabore nach dem Vorbild der Bell Labs nachzuahmen.

      Mervin Kelly, einer der bedeutendsten Mitarbeiter und Manager der Bell Labs wurde zu jener Zeit der neue Executive Vice President. Noch mehr als Jewett, war Kelly die interprofessionelle Zusammenarbeit seiner Mitarbeiter wichtig. Er suchte überall auf der Welt nach den fähigsten Physikern, Chemikern, Metallurgen und Ingenieuren und stellte unterschiedlich zusammengesetzte Teams zusammen. Darüber hinaus kombinierte er Mitarbeiter, die theoretisch, experimentell oder angewandt arbeiteten, um einen maximalen Wissenstransfer zu gewährleisten. Mindestens einmal die Woche trafen sich die Teams, um gemeinsam Ergebnisse, Ideen und Gedanken auszutauschen. Man stellte sich gegenseitig Experimente vor, die erfolgreich verliefen, oder missglückten, und beriet sich anschließend. In besonders wichtigen Projektphasen konnten die Treffen täglich stattfinden und von morgens bis tief in den Nachmittag gehen. Selbst in der Mittagspause führte man die Gespräche in der Cafeteria fort. Manchmal stieg man auch ins Auto und fuhr zu einem Hamburger-Restaurant namens Snuffy’s, um dort während der anhaltenden Debatte ein erfrischendes Bier zu genießen; etwas, was in den Augen der Mitarbeiter in der Cafeteria von Murray Hill noch zu ihrem perfekten Glück fehlte.4

      In den Bell Labs herrschte eine besondere Unternehmenskultur. Einige Verhaltensweisen, die in anderen Unternehmen für eine Abmahnung oder sogar für einen Rauswurf gesorgt hätten, wurden großzügig übersehen, während andere Dinge unverzichtbar waren. Mit exzentrischem Verhalten der Mitarbeiter konnte man leben, auch mit dem weniger strikten Dresscode arrangierten sich die Manager. An heißen Tagen sah man den ein oder anderen Kollegen barfuß durch die Räume gehen. Viele Mitarbeiter tüftelten an Apparaten, Spielzeugen, irgendwelchen Gadgets, selbst wenn diese offensichtlich wenig mit dem Telefongeschäft zu tun hatten. Man duldete es, solange die Mitarbeiter auch ihren eigentlichen Projekten treu blieben und Ergebnisse lieferten.

      Von anderen Dingen hielt man dagegen deutlich weniger: von verschlossenen Türen zu den Büros oder der Abweisung Hilfe suchender Kollegen. Wenn jemand nicht weiter wusste, oder den Rat eines anderen Fachmanns benötigte, konnte er damit rechnen, dass ihm ohne Widerwillen Unterstützung angeboten wurde. Jemanden abzuweisen, selbst wenn er in der Hierarchie unter einem stand, galt als Affront. Teamgeist stand über den Befindlichkeiten des Einzelnen. Die Rolle eines Vorgesetzten war die eines Mentors, anstatt eines Aufsehers, der über die Arbeit seiner Schützlinge wacht und einseitig entscheidet: „to use the lightest touch and absolutely never to compete with underlings.“5, war die gebotene Verhaltensregel. Teamarbeit, interprofessionelle Zusammenarbeit und Networking waren die Grundzutaten für die Kreativität und den Erfindungsgeist bei den Bell Labs. John Pierce, einer der renommiertesten Physiker der Bell Labs und Begründer der Informationstheorie, brachte es viele Jahre später, am Ende seiner Karriere, die er als Dozent am California Institute of Technology ausklingen ließ, einmal auf den Punkt: „I didn’t adapt well to Cal Tech“. Nach jahrelanger Prägung der Zusammenarbeit in den Bell Labs, fremdelte er mit dem beschaulichen Universitätsleben. „No one can tell a professor what to do, on the one hand. But in any deep sense nobody cares what he’s doing, either.“ Es war der fehlende Netzwerk-Gedanke, das ständige Austauschen mit seinen Kollegen, was er vermisste. „People cared about everything.“6, äußerste er, in Gedanken an seine Zeit in den Bell Labs.

      Die Frage, welche Rolle Teamarbeit bei der Entstehung von Innovationen spielte, wurde bei den Bell Labs oft diskutiert. Beruhten bahnbrechende Innovationen auf individuellem Genie oder waren sie das Ergebnis enger Kooperation? Sollte man eher Einzel- oder Gruppenarbeit fördern? Viele Entdeckungen und Erfindungen wie etwa der erste Transistor oder die Informationstheorie basierten ohne Zweifel auf den zündenden Ideen einzelner Köpfe. Andererseits gab es andere große Entwicklungen, so z.B. das Telefonnetz, das Radar oder die ersten Satelliten, die ohne intensive Zusammenarbeit undenkbar gewesen wären. Was sich in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts als offensichtlich heraus kristallisierte, war eine starke Tendenz zur interprofessionellen Zusammenarbeit: „Things are much more complex than they were, when Mendel was breeding peas, in which case you would put them in a pot and collect the fruits, and then cover up the blossoms and have that suffice“7, erklärte William Shockley, ein weiterer Mitarbeiter der Bell Labs, der für seine Arbeiten am Transistor viele Jahre später mit dem Nobelpreis geehrt werden sollte. Wer zukünftig weiter innovativ bleiben wollte, musste auf Teamarbeit setzen und dafür die entsprechenden Voraussetzungen schaffen. Nicht ohne jedoch auch dem einzelnen Individuum ausreichend Freiheit und Entfaltungsmöglichkeit einzuräumen, denn oft kam von ihm die zündende Idee, die erst anschließend vom Team aufgegriffen und zur Reife gebracht wurde: „It is the mind of a single person, that creative ideas and concepts are born.“, resümierte der damalige Chef der Bell Labs.8

      Mervin Kelly beschrieb seine Bell Labs oft als living organism. Eine kritische Masse von Wissensarbeitern wäre ein essentieller Bestandteil hoher Innovationsfähigkeit, aber erst der permanente Austausch aller Mitarbeiter vor Ort mache den Unterschied aus: „It’s the interaction between fundamental science and applied science, and the interface between many disciplines, that creates new ideas.“ Man befragte Kelly oft nach dem Erfolgsrezept seiner Bell Labs. Die zentrale Frage lautete: Was befähigt ein Forschungs- und Entwicklungsinstitut dazu, so unablässig viele Innovationen hervorzubringen? Kelly war davon überzeugt, dass es mehr als nur bloßer Zufall war oder einfach an günstigen Ausgangsbedingungen liegen sollte. Vielmehr ließen sich Innovationen überall systematisch hervorrufen, solange das Management für bestimmte Faktoren sorgte. Dann könnte jede Entwicklungsabteilung auf der Welt vergleichbar viel erreichen. Er fasste die Kriterien einmal im Rahmen eines Vortrages zusammen:9 Zuerst bedarf es (1) einer ausreichend großen Menge talentierter Mitarbeiter. Diese müssten sich (2) permanent weiterbilden. Ein Wissensarbeiter bräuchte ständig geistige Nahrung und Herausforderungen. Es dürfe ihm auch nicht an Arbeitsmitteln und Werkzeugen fehlen, um seine Ziele erreichen zu können. Ebenso wichtig wäre (3) die räumliche Nähe der Mitarbeiter und der freie Austausch von Gedanken und Erkenntnissen. Das Institut müsse (4) einen stetigen Zufluss finanzieller Mittel erhalten, um auch längere Phasen der Ergebnislosigkeit überstehen zu können. Natürlich braucht es auch (5) Märkte für die neu entwickelten Produkte. Entweder wären diese bereits vorhanden oder müssten durch die neue Innovation geschaffen werden. Dafür braucht es auch eine gewisse Weitsicht und ein gesundes Bauchgefühl. Jede größere Innovation (6) führt zu weiteren Innovationen, die schließlich ebenso verfolgt und angegangen werden müssten.

      Fast über die gesamte erste Hälfte des 20. Jahrhunderts produzierten die Bell Labs eine Innovation nach der nächsten. Als Ende der 1970er Jahre dann

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