Von alten und neuen Bürowelten. Maik Marten
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Trotz alledem erfreuten sich Bürojobs großer Beliebtheit, vor allem beim Nachwuchs. So findet sich beispielsweise in einem damaligen Fragebogen der Berufsberatungsstellen des Zentralverbandes der Angestellten, aus dem Kracauer zitiert, folgendes Frage-, Antwortspiel wieder: „Warum wollen Sie kaufmännischer Angestellter werden?“ – „Weil mir dieses Fach gefällt.“ „Welche Branche?“ – „Dekorateur“
„Warum gerade diese?“ –
„Weil es eine leichte und saubere Arbeit für mich ist.“
Ein anderer antwortete auf dieselbe Frage: „Weil ich gerne Kopfarbeit mache“ und ein weiterer: „Ich möchte gerne verkaufen.“ –
„Warum wählen Sie kein Handwerk?“ –
„Ich möchte gerne in Fabriken arbeiten.“
Im Zuge seiner Recherche besichtigte Kracauer auch eine Berliner Fabrik und ließ sich vom redseligen Direktor herumführen. Der Betriebsleiter war sehr stolz, behaupten zu können, dass die kaufmännische Verarbeitung des Arbeitsprozesses, „…bis ins letzte Detail durchrationalisiert ist.“
Der Bericht gibt einen wunderbaren Einblick in die damals vorherrschende Arbeitsweise der Angestellten. Startpunkt seines Besuches war das Büro des Direktors. Dort stand Kracauer vor zwei merkwürdigen Kästen, die ihn an „Rechentafeln für Kinder“ erinnerten. Auf dicht nebeneinander gespannten Schnüren hingen bunte Kügelchen, deren genaue Position dem Direktor signalisierten, welche Prozesse sich gerade in seinem Betrieb abspielten. Eine Art Statusbericht in Echtzeit. Der Direktor führte Kracauer als Erstes in einen Raum, der gefüllt war mit hohen Regalen, in denen unzählige Heftchen fein säuberlich sortiert auslagen. Sie enthielten die Informationen jedes einzelnen genau festgelegten Arbeitsvorgangs in der Fabrik; beginnend mit dem Auslösen eines Auftrages, über die spezifische Fertigungsfolge bis zum finalen Versand der fertigen Ware. Jeder erdenkliche Arbeitsprozess ließ sich hier aufrufen und nachvollziehen. Aber die Seele des Betriebes befand sich in einem anderen Raum: eine Hollerith-Lochkartenmaschine der Tabulating Machine Company (aus dem Unternehmen wurde später IBM). Die Maschine wertete Informationen aus, die zuvor auf Lochkarten aus Pappe oder Blech binär codiert wurden. Die Frauen, die sie bedienten, verbrachten fast ihren gesamten Arbeitstag damit, die Lochkarten anzulegen, die Maschine nach einer bestimmten Reihenfolge zu füttern und die Karten wieder sorgfältig abzulegen. Auf Kracauers Frage, ob die Tätigkeit nicht zu eintönig wäre, erklärte der Betriebsdirektor beruhigend: „Die Mädchen lochen nur sechs Stunden und sind während der übrigen zwei Stunden als Kontoristinnen beschäftigt. So wird Überanspruchung vermieden. Das vollzieht sich in einem bestimmten Turnus, so dass jede Angestellte an alle Arbeiten kommt. Aus hygienischen Gründen schalten wir überdies von Zeit zu Zeit kurze Lüftungspausen ein.“10
Der Takt der Maschinen forderte die permanente Aufmerksamkeit von den Angestellten. Diese „untersteht der Kontrolle des Apparats, den sie kontrolliert, und muß, im Verein mit dem Geräusch in den Maschinensälen, die Nerven umso mehr beanspruchen, je weniger der Gegenstand lockt, dem sie zu gelten hat.“11
Um der wachsenden Monotonie entgegenzuwirken, leitete man einige Gegenmaßnahmen ein, etwa die zeitliche Begrenzung besonders ermüdender Tätigkeiten und mehr Abwechslung durch andere Arbeiten. Im engen Korsett des Scientific Managements war dies aber nur sehr begrenzt möglich. Manchmal redete man das Problem der Monotonie auch einfach klein. So zitierte Kracauer aus einer aktuellen Abhandlung zur Monotonieforschung: „Manche Menschen leiden sehr unter der monotonen Arbeit, andere dagegen fühlen sich ganz wohl dabei. Man darf nämlich nicht verkennen, dass durch die Monotonie einer immer gleichen Tätigkeit die Gedanken für andere Gegenstände frei werden. Der Arbeiter denkt dann an seine Klassenideale, rechnet vielleicht im stillen mit allen seinen Gegnern ab oder sorgt sich um Frau und Kinder. Die Arbeit aber geht ihm inzwischen weiter von der Hand. Die Arbeiterin, besonders soweit sie noch als junges Mädchen glaubt, die Berufstätigkeit sei für sie nur eine vorübergehende Erscheinung, träumt während der monotonen Arbeit von Backfischromanen, Kinodramen oder vom Brautstand; sie ist fast noch weniger monotonieempfindlich als der Mann.“12
Bessere Bildung, bessere Manieren, bessere Kleidung. Die Angestellten entwickelten so langsam ein eigenes Klassenbewusstsein. Und sie suchten die soziale Distanz zu den Fabrikarbeitern. Dabei war der Unterschied zum Proletariat oft geringer, als sie ahnten. Zwar bezogen die meisten von ihnen im Gegensatz zu den auf Stunden- oder Tagesbasis bezahlten Fabrikarbeitern ein regelmäßiges Gehalt und mit etwas Glück auch gewisse Sozialleistungen, aber es war kaum genug, um auf Dauer etwas Erspartes beiseitezulegen. Im Grunde genommen war man genauso abhängig vom Job und dem Wohlwollen der Chefs wie die Fabrikarbeiter. Eine Kündigung hätte sie nicht weniger schwer getroffen. Erschwerend kam noch hinzu, dass die Angestellten eine größere Neigung zum Prestige- und Statusdenken entwickelten. Waren sich die Fabrikarbeiter ihrer Klasse bewusst und suchten den sozialen Zusammenhalt lieber unter ihren Kollegen, fuhren die Angestellten ihre Ellbogen aus und blickten neidisch auf ihre Vorgesetzten und Chefs. Es war ein Dilemma: Sie wollten mehr sein, als sie tatsächlich waren, und das erzeugte bei ihnen ein ständiges, unterschwelliges Gefühl von Unsicherheit und Abstiegsangst. Es war ein neu zu beobachtendes Phänomen, das man später Statusangst nennen sollte; die Angst von heute auf morgen sozial abzurutschen.
Dass das Gefühl nicht ganz unbegründet war, sollte sich tatsächlich schon bald zeigen. 1926 konstatierte der Arbeitssoziologe Emil Lederer noch: „Eine einheitliche Arbeiterschicht ist in Bildung begriffen. Die Gruppierung der Bevölkerung nach Klassengesichtspunkten hat seit der Zeit vor dem Krieg große Fortschritte gemacht.“13 Hier keimte etwas, dass man Jahre später, zu Zeiten des deutschen Wirtschaftswunders, die Entstehung des deutschen Mittelstandes nennen sollte. Aber vorerst kam es anders. 1929 war das Jahr der Weltwirtschaftskrise. Wirtschaftlicher Abschwung, Inflation und Massenarbeitslosigkeit erstickten, was gerade erst begonnen hatte, zu blühen. Nur drei Jahre nach der Zeichnung eines optimistischen Bildes musste Emil Lederer resignierend feststellen, dass sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen für das Gros der Angestellten wieder verschlechtert hatten. So hieß es in einer Ausgabe der Neuen Rundschau: „… Teilen auch die kapitalistischen Zwischenschichten heute bereits das Schicksal des Proletariats“.14
Die Hawthorne-Experimente
„Mach dich nicht zum Narren“, sagte sie.
„Findest du es denn so schlimm?“
„Nein, und das finde ich schlimm!“
Er ging zur Konversation über.
Darin war er gut.
Er wußte ganz anständig über Psychoanalyse,
Polo auf Long Island, und den Ming-Teller zu plaudern,
den er in Vancouver aufgestöbert hatte.
(aus Sinclair Lewis Babbitt, 1920)
In den 1930er Jahren hatte das Scientific Management seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Von da an rückte man ein Stück weit von der Annahme ab, der Mensch funktioniere am besten, wenn er wie eine Maschine