Von alten und neuen Bürowelten. Maik Marten

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Von alten und neuen Bürowelten - Maik Marten

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      Abb. 4: Frederick Winslow Taylor (1856-1915); Quelle: wikipedia.org

      Er begann damit ein kleines Team aufzustellen, das ihn dabei unterstützen sollte, die unzähligen Arbeitsprozesse der gesamten Belegschaft zu beobachten und aufzuzeichnen. Gemeinsam erstellten sie einen großen Lageplan, in dem sie sämtliche Vorgänge der Arbeiter festhielten und wie die Figuren auf einem Schachfeld bewegen konnten.5 Roheisenträger, Schaufler und Maurer dienten ihnen als erste Versuchspersonen. Taylors Mitarbeiter notierten peinlichst genau sämtliche Handgriffe, Tätigkeiten und Pausen, die von den Arbeitern eingelegt wurden. Ebenso ermittelten sie die Wege, die während der Arbeit zurückgelegt und Gewichtsmengen, die mit der eigenen Körperkraft gestemmt wurden. Danach begann die eigentliche Analysearbeit: das Zerlegen der Arbeitsprozesse in möglichst kleine Teilstücke. Jedes Element wurde anschließend bewertet, unterschiedlich gewichtet und mit einem Punktebewertungssystem verknüpft. Die Herausforderung bestand darin, für jeden Arbeitsvorgang den optimalen Weg, das richtige Werkzeug und den minimalsten Ressourceneinsatz zu wählen. Alles was überflüssig war, jede Handlung, jeder Anschein von Zeitverschwendung, wurde weggelassen. Hatte man dies erreicht, setzte man die Teilstücke wieder zu festgelegten Arbeitsfolgen zusammen. Übrig blieb der one best way6, der optimale Weg, um eine Arbeit effizient ausführen zu können. Taylor stellte dabei fest, dass es viel effizienter war, die zerlegten Arbeitsschritte in anderer Form wieder zusammenzulegen. Anstatt Arbeiter eine Vielzahl unterschiedlicher Tätigkeiten ausführen zu lassen, bündelte man gleiche oder ähnliche Arbeiten zusammen und ließ sie fortan von Spezialisten ausführen. Dabei wurde es aber nötig, die einzelnen Arbeiter und deren Funktionen aufeinander abzustimmen. Genaue, minutiöse Zeitvorgaben mussten gemacht werden, um einen reibungslosen Ablauf aller Teilprozesse zu gewährleisten. Nur dann konnte das neue Regime reibungslos funktionieren. Hatte man erst mal jeden einzelnen Arbeitsprozess auseinandergenommen, analysiert, optimiert und wieder neu zusammengesetzt, löste man das Wissen wie ein Produkt hergestellt wurde aus dem Erfahrungsschatz der Arbeiter heraus. Nach dem bisherigen Produktionssystem hatte die Leitung des Unternehmens kaum Zugriff auf das Wissen und die Erfahrung der einzelnen Arbeiter. Taylor schrieb: „Die Leiter der besten Betriebe nach althergebrachter Form erkennen freimütig an, dass ihre 500 bis 1000 Arbeiter, die auf 20 bis 30 Handwerksarbeiten verteilt sind, diese Menge von ererbten Kenntnissen ihr eigen nennen, während sie der Leitung selbst fremd sind.“7 Taylor wollte diesen Umstand unbedingt ändern: „Den Leitern fällt es z.B. zu, all die überlieferten Kenntnisse zusammenzutragen, die früher Alleinbesitz der einzelnen Arbeiter waren, sie zu klassifizieren und in Tabellen zu bringen, aus diesen Kenntnissen Regeln, Gesetze und Formeln zu bilden, zur Hilfe und zum Besten des Arbeiters bei seiner täglichen Arbeit.“8 Das neue System extrahierte das Wissen und hielt es in den Betriebsplänen und Büchern fest. Implizites Wissen wurde so zu explizitem Wissen gemacht. Damit konnten die Tätigkeiten jetzt auch ohne Weiteres jedem beliebigen Arbeiter vermittelt werden. Fiel ein Arbeiter aus, ließ er sich wesentlich einfacher als bisher ersetzen.

      Taylor nannte seine Methodik Scientific Management. Bekannt wurde sie auch unter seinen Namen: Taylorismus. Seine Arbeiten wiesen den Weg in die fortschreitende Arbeitsteilung und steigende Produktivität. Den Preis, den die Arbeiter zu zahlen hatten, waren Entmündigung, Monotonie, Langeweile aus Unterforderung, Austauschbarkeit und die sklavische Unterordnung unter den Takt der Maschinen. Man darf sich den Wissenstransfer vom Ausführenden zum Denkenden als eine regelrechte Entmachtung vorstellen. Ließ man die erfahrenen Arbeiter bisher weitestgehend selbst entscheiden, wie sie zum Ergebnis kamen, wurde ihnen jetzt jeder einzelne Handgriff vorgegeben. Zogen sie ihr Selbstwertgefühl bisher auch daraus, selbst zu beurteilen, wie sie ihre Arbeit am besten ausübten, wurde ihnen dieses Recht nun vollständig entrissen. Man machte sie zu unmündigen Menschen.

Scientific Management bei der Tabor Co. um 1905

      Abb. 5: Scientific Management bei der Tabor Co. um 1905; Quelle: wikipedia.org

      Weil Taylors Methodik aber so bestechend einfach und erfolgreich war, verbreitete sie sich rasch auch in anderen Unternehmen. Unternehmer und Manager auf der ganzen Welt folgten seinem Vorbild und sorgten für eine beispiellose Rationalisierungswelle. Die Industrielle Revolution brachte der Welt die Maschinen und das moderne Transport- und Telekommunikationswesen. Aber es war Taylor, der Mensch und Maschine in Einklang brachte, er setzte die menschliche Arbeitsweise den Maschinen gleich. Die Maschine gab das Tempo und den Rhythmus vor. Man sprach von der gut geölten Maschine.9 Nicht der Mensch schien die Maschine zu beherrschen, sondern die Maschine den Menschen; fortan war er zum kleinen Rädchen im großen Getriebe verdammt.

      Die Verbreitung des Scientific Managements führte zur Trennung von Kopf- und Handarbeit. Menschen mit geringem Bildungsniveau und fehlender beruflicher Ausbildung hatten es schwerer als jemals zuvor, sich Fertigkeiten anzueignen und hochzuarbeiten, denn sie waren jetzt gezwungen, die immer wieder gleichen Arbeitsschritte vorzunehmen, ohne Gelegenheit zu bekommen, an ihren Aufgaben zu wachsen. Wer dagegen über eine entsprechende Ausbildung oder einen höheren Abschluss verfügte, schaffte es von vornherein in die Planungs- und Führungsinstanzen. Aufstiegsmöglichkeiten ergaben sich entlang der neu eingerichteten Karriereleitern. Es war Taylors Scientific Management zu verdanken, dass der Beruf des Managers entstand. Die etablierten Universitäten richteten Studiengänge der Betriebswirtschaftslehre ein. Neue Akademien und Fachhochschulen wurden überall in der westlichen Welt gegründet und erfreuten sich eines immer stärkeren Zulaufs in den Fächern der Wirtschaftswissenschaften.

      Die Büroarbeit wird taylorisiert

      Die Rationalisierung machte auch vor den Türen der Büros keinen Halt. Ausgerüstet mit Stoppuhr, Stift und Papier wanderten Analysten die langen Korridore zwischen den Tischreihen auf und ab, beobachteten und protokollierten jeden einzelnen Arbeitsschritt: Wie lange brauchten etwa die Mitarbeiter für die Beantwortung einer Kundenanfrage? Für die Ausstellung einer Rechnung? Für die richtige Bearbeitung einer Beschwerde oder für die Archivierung von Kundendaten? Welche Handgriffe erschienen sinnvoll? Welche nicht? Wie verlief die Kommunikation mit Kunden und Kollegen? Wenn Mitarbeiter andere Kollegen aufsuchten: Gab es da Wege, die unnötig waren, die man vermeiden konnte? Wie konnte man einen kompletten Arbeitsvorgang, zum Beispiel eine Kundenbestellung, optimal abarbeiten? Und welchen Einfluss hatten die physischen Eigenschaften des Raumes? Das Licht, die Luft, die Anordnung der Arbeitsplätze? All diesen Fragen ging man nach.

      "Es gibt Millionen von unnötigen Bewegungen, und hat man erst einmal angefangen, sich der Büroarbeit zu widmen, wird einem unweigerlich bewusst, wie viele sich von ihnen im Büro ereignen“1, formulierte William Henry Leffingwell, ein Schüler von Frederick Taylor und Mitglied der Taylor Society, den Nachholbedarf der Rationalisierung im Büro. Bevor man sich jedoch den einzelnen Bewegungsabläufen der Arbeiter und Arbeiterinnen widmete, konzentrierte man sich zunächst auf die räumlichen Bedingungen: So untersuchte man beispielsweise die Auswirkungen von künstlichem Licht auf die Effizienz der Arbeitsleistung.2

      Dass schlechtes Licht die Augen ermüdete, wusste man auch schon 1912, aber welches Licht war bei allen damals zur Verfügung stehenden Möglichkeiten am geeignetsten, die Arbeitsfähigkeit der Arbeiter möglichst weit zu steigern? Direktes Licht, indirektes Licht oder eine Kombination aus beidem? Studien wurden durchgeführt, die die Vorteile von indirektem Licht bewiesen.3 Leider war diese Art der Lichtlösung auch die teuerste. Man überließ es den Arbeitgebern zwischen Stromrechnung, Produktivität und Gesundheit der Angestellten abzuwägen.

      Auch die Luft in den Großraumbüros war ein Problem. Besonders während der Erkältungsperioden steckten sich die dicht aneinander gereihten Mitarbeiter gegenseitig an. Krankheitsbedingte Ausfälle von über einem Viertel der Belegschaft waren keine Seltenheit. Kosten-Nutzen-Rechnungen sollten aufzeigen, dass sich teure Lüftungsanlagen schnell amortisieren

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