Deutsches Märchenbuch + Neues Deutsches Märchenbuch. Ludwig Bechstein
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Herr über Land und Leute. Denn also hatte der
König, ihr Vater, verkündigen lassen. – Schleunig
kehrte er nach Haus und vergaß seine Schulden und
Kunden über der neuen Mär, die er eilig seiner Frau
hinterbrachte. Des andern Morgens schon sprach er
zum Helmerich, daß er ihn mit Roß und Wehr ausrüsten
wolle zu der Fahrt, und wie schnell machte der
sich auf die Reise! Als er Abschied nahm, versprach
er seinen Eltern, er wolle sie samt dem dummen Bruder
Hans gleich holen lassen in einem sechsspännigen
Wagen; denn er meinte schon, er wäre König. Übermütig
wie er dahinzog, ließ er seinen Mutwillen aus
an allem, was ihm in den Weg kam. Die Vögel, die
auf den Zweigen saßen und den Herrgott lobten mit
Gesang wie sie es verstanden, scheuchte er mit der
Gerte von den Ästen und kein Getier kam ihm in den
Weg, daran er nicht seinen Schabernack ausgelassen
hätte.Und zum ersten begegnete er einem Ameisenhaufen;
den ließ er sein Roß zertreten, und die Ameisen,
die erzürnt an sein Roß und an ihn selbst krochen
und Pferd und Mann bissen, erschlug und erdrückte er
alle. Weiter kam er an einen klaren Teich, in dem
schwammen zwölf Enten. Helmerich lockte sie ans
Ufer und tötete deren elf, nur die zwölfte entkam.
Endlich traf er auch einen schönen Bienenstock; da
machte er es den Bienen wie er es den Ameisen gemacht.
Und so war seine Freude die unschuldige
Kreatur nicht sich zum Nutzen, sondern aus bloßer
Tücke zu plagen und zu zerstören.
Als Helmerich nun bei sinkender Sonne das prächtige
Schloß erreicht hatte, darin die Prinzessin verzaubert
war, klopfte er gewaltig an die geschlossene Pforte.
Alles war still; immer heftiger pochte der Reiter.
Endlich tat sich ein Schiebefenster auf und hervor sah
ein altes Mütterlein mit spinnewebfarbigem Gesichte,
die fragte verdrießlich, was er begehre. »Die Prinzeß
will ich erlösen«, rief Helmerich, »geschwind macht
mir auf.« »Eile mit Weile, mein Sohn«, sprach die
Alte; »morgen ist auch ein Tag, um neun Uhr werde
ich dich hier erwarten.« Damit schloß sie den Schalter.
Am andern Morgen um neun Uhr, als Helmerich
wieder erschien, stand das Mütterchen schon seiner
gewärtig mit einem Fäßchen voll Leinsamen, den sie
ausstreute auf eine schöne Wiese. »Lies die Körner
zusammen«, sprach sie zu dem Reiter, »in einer Stunde
komme ich wieder, da muß die Arbeit getan
sein.« – Helmerich aber dachte, das sei ein alberner
Spaß und lohne es nicht sich darum zu bücken; er
ging derweil spazieren und als die Alte wiederkam,
war das Fäßchen so leer wie vorher. »Das ist nicht
gut«, sagte sie. Darauf nahm sie zwölf goldene
Schlüsselchen aus der Tasche und warf sie einzeln in
den tiefen dunklen Schloßteich. »Hole die Schlüssel
herauf«, sprach sie, »in einer Stunde komme ich wieder,
da muß die Arbeit getan sein.« Helmerich lachte
und tat wie vorher. – Als die Alte wiederkam und
auch diese Aufgabe nicht gelöst war, da rief sie zweimal:
»Nicht gut! nicht gut!« Doch nahm sie ihn bei
der Hand und führte ihn die Treppe hinauf in den großen
Saal des Schlosses; da saßen drei Frauenbilder,
alle drei in dichte Schleier verhüllt. »Wähle, mein
Sohn«, sprach die Alte, »aber sieh dich vor, daß du
recht wählst. In einer Stunde komme ich wieder.«
Helmerich war nicht klüger, da sie wiederkam als da
sie wegging; übermütig aber rief er aufs Geratewohle:
»Die zur Rechten wähl ich.« – Da warfen alle drei die
Schleier zurück; in der Mitte saß die holdselige Prinzeß,
rechts und links zwei scheußliche Drachen, und
der zur Rechten packte den Helmerich in seine Kral-
len und warf ihn durch das Fenster in den tiefen Abgrund.
Ein Jahr war verflossen seit Helmerich ausgezogen
die Prinzeß zu erlösen und noch immer war bei den
Eltern kein sechsspänniger Wagen angelangt. »Ach!«
sprach der Vater, »wäre nur der ungeschickte Hans
ausgezogen statt unsres besten Buben, da wäre das
Unglück doch geringer.« – »Vater«, sagte Hans, »laß
mich hinziehn, ich will's auch probieren.« Aber der
Vater wollte nicht, denn was dem Klugen mißlingt,
wie führte das der Ungeschickte zu Ende? Da der
Vater ihm Roß und Wehr versagte, machte Hans sich
heimlich auf und wanderte wohl drei Tage denselben
Weg zu Fuß, den der Bruder an einem geritten war.