Wohl in meiner Haut. Gisela Enders

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Wohl in meiner Haut - Gisela Enders

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es wohl positiv gemeint, aber er hat mir damit auch gesagt, dass mein restlicher Körper nicht schön ist, weil er nämlich zu dick ist. Meine Mutter ist manchmal deutlicher. Sie geht zum Beispiel häufig mit mir Kleidung einkaufen. Sie begründet es damit, dass ich dann in den Umkleidekabinen sehen müsste, wie ich aussehe und dass mir viele schöne Sachen eben nicht passen, weil ich zu dick bin. Solche Aussagen machen mich immer wütend und traurig. Aber vielleicht hat sie Recht?“

      Susanne ist durch die eigenen Eltern schwer verunsichert und sie wird lange brauchen, bis sie (hoffentlich) ihren Körper akzeptieren lernen wird. Wir wissen nicht, welches Leid sie noch ertragen wird, und ob sie aus der Pubertät Essstörungen oder „nur“ ein völlig unterentwickeltes Selbstbewusstsein mitnimmt. Dabei ist es gerade in der Pubertät so wichtig, von den eigenen Eltern und dem Umfeld Akzeptanz und Liebe entgegengebracht zu bekommen. Viele Jugendliche erleben auch zum ersten Mal das eigene hilflose Versagen bei Diäten. Zeitschriften, Lehrerinnen, Ärzte und die Eltern versprechen munter drauf los, dass bei reduzierter Ernährung und entsprechender Bewegung die Pfunde nur so purzeln werden. Tun sie zunächst auch. Aber spätestens bei der zweiten Diät greift der Jo-Jo-Effekt, die Jugendlichen nehmen einfach wieder zu. Natürlich sagt ihnen keiner, dass dies ein ganz normaler biologischer Vorgang ist. Nein, das Umfeld ist enttäuscht, schweigt oder macht Vorwürfe. Zurück bleiben eigene Gefühle des Versagens und der Machtlosigkeit. Negative Gefühle gegen den eigenen Körper, der eigentlich nur das Beste für einen will.

      Dicke Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene erleben auch zum ersten Mal die Verknüpfung unterschiedlicher Assoziationen mit ihrem dicken Körper. Sie ist dick und überdurchschnittlich intelligent, er ist dick und sehr musisch, sie ist dick und ein ausgesprochen hübsches Mädchen... Alles Assoziationen, die uns eher fremd erscheinen. Das Gegenteil ist in der Regel der Fall. Dick und doof, dick und faul, dick und träge. Wenn dicke Jugendliche Pech haben, wird ihnen entsprechend wenig zugetraut und sie werden längst nicht so positiv gefördert, wie andere junge Menschen. In der Kombination mit dem eigenen Schuldgefühl und der Energie, die es kostet, die nächste Diät zu planen und durchzuhalten, ist dies ein Mix, welcher nicht besonders förderlich für die Bildung und einen optimalen, selbstbewussten Start ins Erwachsenenleben ist.

      Nach dem Schulabschluss steht die spannende Frage der beruflichen Laufbahn auf der Tagesordnung. Wieviel traue ich mir zu, welchen Beruf kann ich mir vorstellen und wo schränke ich mich ein? Stewardess, Sportler und Schauspielerin fallen so gut wie gleich weg. Bei vielen anderen Berufen fehlt zu diesem Zeitpunkt das eigene Selbstvertrauen und die Förderung durch andere Personen, die dem jungen Menschen zureden, dass er oder sie auch nach den Sternen greifen darf. Natürlich ist dies auch bei anderen jungen Menschen nicht zwangsläufig der Fall – dennoch ist zu vermuten, dass viele dicke junge Menschen bis zu diesem Zeitpunkt nicht das ausreichende Selbstbewusstsein aufgebaut haben, um sich große berufliche Ziele zu stecken und den entsprechenden Ausbildungsweg einzuschlagen.

       Dicke Menschen im Berufsleben

      Die Suche nach einer passenden Stelle – egal mit welcher Ausbildung – ist eine oft langwierige und schwierige Aufgabe, denn bei Einstellungen kommt es zu erheblichen Nachteilen für dicke Menschen. Selbst wenn eine dicke Person noch so qualifiziert ist, beim Blick auf das Bewerbungsfoto wird sie allzu schnell aussortiert. Oder spätestens beim Bewerbungsgespräch ist schon nach der ersten „Ganzkörperbetrachtung“ klar, dass das Gespräch eigentlich gelaufen ist.

      Marianne, eine gut ausgebildete aber sehr dicke Sekretärin, berichtet zu ihrer Jobsuche folgendes: „Nachdem ich wochenlang nur Absagen auf meine schriftlichen Bewerbungen erhalten habe, habe ich irgendwann angefangen, mich erst telefonisch zu bewerben. Es war spannend, wie lange die potentiellen Arbeitgeber sehr interessiert an mir waren. Ich habe gute Qualifikationen und eine angenehme Stimme. Entsprechend wurde ich dann auf diesem Weg auch mehrmals zu Gesprächen eingeladen. Aber wenn ich dann dort mit meiner Figur sitze, sehe ich richtig, wie die Gesichtszüge runterfallen und es klar ist, dass ich wieder verloren habe.“

      Besonders frustrierend wird es, wenn die Diskriminierung auf einen festen Arbeitsplatz mit gesundheitlichen Risiken angeblich wissenschaftlich begründet wird. Dass dies in vielerlei Hinsicht nicht haltbar ist, wurde mittlerweile durch zahlreiche Studien bewiesen. Dennoch hält sich das Vorurteil hartnäckig.

       Unser eigener Staat diskriminiert dicke Menschen erheblich.

      Dicke Menschen werden in der Regel nicht in den Beamtenstatus übernommen. Die Begründung des Amtsarztes lautet in solchen Fällen: „Gesundheitliches Risiko“. Anstatt gegen diese Diagnose zu klagen, reagieren die meisten dicken Menschen, die verbeamtet werden wollen, mit einer sehr radikalen Diät. Kurzfristig lässt sich das Gewicht ja in der Regel schon reduzieren, wenn auch mit vielen gesundheitlichen Risiken. Mit dem kurzfristigen geringeren Gewicht wird eine Verbeamtung durchgeführt – wissentlich, dass die Person durch diese Crashdiät der eigenen Gesundheit geschadet hat und der Gewichtsverlust nicht von Dauer ist.

      Im Job selber haben es viele dicke Menschen – analog zu den Ausbildungs- und Einstiegsschwierigkeiten – mit vielen Vorurteilen und Einschränkungen zu tun. Sybille – im medizinischen Bereich in führender Position in einem Krankenhaus tätig, versehen mit einer stattlichen Kleidergröße von 64, berichtet dazu: „Ich bin für wirklich viele Bereiche in unserem Krankenhaus zuständig und erledige die Aufgaben mehr als zuverlässig. Und dennoch habe ich oft den Eindruck, dass es zahlreiche Menschen gibt, denen ich erst vermitteln muss, dass ich überhaupt in der Lage bin, zwei gerade Sätze zu sprechen und einen klaren Gedankengang zu Ende zu denken. Ich habe im vergangenen Jahr eine wichtige Weiterbildung für mich gemacht und war in dieser Gruppe eine von zweien, die mit einem „sehr gut“ den Kurs abgeschlossen hat. Für mein Selbstbewusstsein war das Gold wert, denn diese ständige Infragestellung meiner Person ist schon sehr zermürbend.“

      Ob über Bemerkungen zur Figur, Diskussionen zu den neusten Diäten, Absprache der eigenen Arbeitsfähigkeit bis hin zum schweren Mobbing – dicke Personen sind eine geeignete Angriffsfläche für Vorurteile und Hass. Aber das Traurigste daran scheint zu sein, dass die meisten sich nicht wehren und über nicht genügend Selbstwertgefühl verfügen, um sich das Recht des Widerstandes zuzugestehen.

      Stress bei der medizinischen Versorgung

      Im Leben eines dicken Menschen wird es besonders schwer, wenn Erkrankungen ins Haus stehen. Denn Ärzte und die gesamte Gesundheitsbranche stehen dicken Menschen nicht vorurteilsfrei gegenüber. Jahrelang wurde im medizinischen Studium gelehrt, dass dicke Menschen ungesund leben würden und man sie drängen sollte, abzunehmen. Untermauert von einer Pharmaindustrie, die an dieser Politik sehr gut verdient. So werden dicke Menschen, selbst wenn sie mit einer Grippe zum Arzt kommen, häufig auf ihr Gewicht hingewiesen und zum Abnehmen aufgefordert. Die Sorge, in einer ohnehin schwachen, kranken Situation Gefahr zu laufen, ungefragt auf die Figur hingewiesen zu werden, führt bei vielen dicken Menschen dazu, dass sie nur sehr ungern und nur in absoluten Notfällen einen Arzt aufsuchen. Nicht ohne Grund.

       Dicken Menschen wird selten die benötigte Empathie entgegengebracht, stattdessen unbewusst oder bewusst die Schuld an ihren Krankheiten zugeschrieben.

      Dabei begegnen wir unter der Ärzteschaft vielen Vorurteilen. In einer schwedischen Untersuchung wurden Ärzte und Pfleger befragt, welche Gedanken sie hätten, wenn sie dicke Menschen behandeln müssten. Die Ergebnisse sind ernüchternd:

       48 % fühlen sich bei der Behandlung dicker Menschen nicht gut

       24 % ekeln sich vor dicken Menschen und

       12 % wollen möglichst mit dicken Menschen nichts zu tun haben.

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