Wohl in meiner Haut. Gisela Enders

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und im Zweifel auch Fressanfälle, die bis zu einer Esssucht führen können. Die Erkenntnisse über diese Probleme sind an sich nicht neu. Ein Feldversuch gab darüber schon 1944 Auskunft. Am Ende des zweiten Weltkrieges wollte man in den USA genauer wissen, welche Folgen das Hungern hat. 1944 nahmen 36 junge, gesunde Männer in Minnesota (USA) an einem Experiment teil. Für drei Monate erhielten sie eine normale, sättigende Kost. Dann folgte eine sechsmonatige Hungerphase, in der ihre Ration halbiert wurde. Anschließend gab es noch einmal drei Monate lang ausreichend zu essen. Diese Studie ließ damals schon erahnen, welche Probleme später durch die Diäten auf uns zukommen würden. Denn sie zeigte, dass Kalorienrechnen keinen Sinn hat, da der Körper versucht, dem drohenden Gewichtsverlust entgegenzuwirken. So kam es, dass die Versuchspersonen im Durchschnitt nur etwa halb soviel abnahmen, wie rein rechnerisch aufgrund der „Kalorieneinsparung” zu erwarten gewesen wäre. Es lag daran, dass ihr Grundumsatz bis zu 40 Prozent reduziert war, und dass sie ihre körperlichen Aktivitäten verringert hatten. Aber auch die Essgewohnheiten der Teilnehmer veränderten sich: Sie sprachen ständig übers Essen und litten unter Konzentrationsstörungen, ihr sexuelles Interesse sank, Depressionen und Stimmungsschwankungen peinigten sie – alles Dinge, die wir heute von Diätgeschädigten kennen. Die Sättigungsregulation der „Testhungerer” war gestört, zum Teil so nachhaltig, dass die Probleme auch nach Versuchsende nicht verschwanden: Es kam zu Heißhungeranfällen, es fiel ihnen schwer, mit dem Essen aufzuhören, das Sättigungsempfinden war geschwächt und trat nur zögernd ein.

      Obwohl mit diesem Experiment schon früh erkannt wurde, dass sich das Gewicht eben nicht einfach durch Kalorienzählen regulieren lässt, hat sich diese Erkenntnis leider nicht durchgesetzt, sondern wurde fast komplett verschwiegen.

       Was kontrolliert das Gewicht?

      Unser natürliches Gewicht wird überwiegend durch unsere Gene bestimmt. Zahlreiche Studien haben versucht nachzuweisen, dass dicke Menschen mehr und anders als dünne Menschen essen. Alle sind sie gescheitert. Einige wiesen stattdessen nach, dass dicke Menschen weniger essen als Dünne.

      Eines der größten Probleme mit Diäten ist die Annahme, dass das Gewicht im Magen bestimmt wird. Unsere Verdauung wird aber, wie die meisten Körperfunktionen, durch unser Gehirn gesteuert, durch den Hypothalamus. Im Gehirn wird der sogenannte Gewichts-Setpoint reguliert. Wie ein Thermostat variiert unser Gewicht leicht, je nach äußeren Einflüssen, wie Temperatur, Nahrungsmenge und -qualität sowie Bewegung. Dennoch gilt dies höchstens für 10 – 15 Prozent des Gewichtes eines Menschen. So kann das Gewicht zwischen fünf und zehn Kilo pendeln, wenn das Essverhalten nicht kontrolliert wird. Dabei kommt es auch bei dieser Gewichtsregulation bereits zu Unterschieden. Das Gehirn will in jedem Fall versorgt werden. Egal, wie sehr Mangel herrschen mag, zunächst achtet das Gehirn darauf, mit Energie – konkret Glykose – versorgt zu sein. Steht dieses nicht zur Verfügung oder kann auf die entsprechenden Speicher nicht zugegriffen werden, kommt es zu Heißhungerattacken. Und alles, was dann doch nicht benötigt wird, wird gelagert. Aber auch hier gibt es Unterschiede, die Achim Peters erforscht hat.

      Ob Prüfungen, konzentrierte Bildschirmarbeit oder Spannendes im Kino, das Gehirn braucht Energie und startet sein Programm, genauso wie es dies bereits in der Steinzeit getan hat. Adrenalin und Kortisol fluten ins Blut, wie Jäger und Sammler dies für überwiegend körperliche Aktivitäten benötigen und verbrauchen würden. Doch in der Moderne wird die wieder und wieder bereitgestellte Energie so nicht benötigt – das System gerät aus dem Gleichgewicht.

      Unsere archaische Neurobiologie lässt auf Dauer nur wenige Menschen ungeschoren davonkommen. Die überwiegende Mehrheit, etwa 80 Prozent, leidet darunter. Sie lässt sich laut Peters aus noch ungeklärten Gründen in zwei etwa gleich große Gruppen aufteilen: Typ A läuft unter Stress innerlich hochtourig und wirkt zielstrebig. Sein Hirn ist dank effizienter Zuckerpeitsche reichlich mit Energie versorgt. Deshalb isst er eher zu wenig und nimmt ab. Typ B hingegen lässt es ruhiger angehen, wirkt eher hartnäckig. Dennoch haben die häufigen Stress-Signale Auswirkungen. Körpereigene Beruhigungsstoffe (Cannabinoide) beginnen die steten Stress-Signale zu dämpfen, und als Folge wird Insulin nicht mehr effizient ausgebremst. Daher fühlt sich das Hirn unterversorgt, die körpereigenen Zuckerreserven liefern ihm zu wenig Treibstoff. Als Konsequenz daraus zwingt das Hirn den Körper zu verstärkter Nahrungsaufnahme. So erhöht es den Blutzuckerspiegel weiter – und von dieser Energieeskalation profitiert auch das Fettgewebe. Das Körpergewicht steigt.

      Gesellschaftlich könnte man nun sagen, dass die Menschen vom Typ A das bessere Los gezogen haben. Denn sie bleiben trotz Stress schlank. Dafür ist ihr Risiko größer, an Depressionen und Burn-out zu erkranken. (Artikel aus der Zeit vom 13.3.2011 – „Despot im Kopf“)

      Und – wir haben nicht die Wahl nach welchem Programm unser Gehirn aktiv wird. Von daher ist es gut, um diesen Mechanismus zu wissen und es ist gut zu wissen, dass sich mit gezielter Entstressung des Lebens ein Mehrwert für das Gehirn und dessen Steuerung erreichen lässt. Aber die Wahl, welches Steinzeitprogramm unser Gehirn wählt, die haben wir nicht. Bleibt der Trost, dass beide ihre Nachteile mit sich bringen.

      Je mehr man die Biologie der Gewichtsregulation versteht, desto mehr sieht man, ungeachtet des Gewichtes, wie Diäthaltende gegen den natürlichen Widerstand ihres Körpers ankämpfen.

       Gewichtsverlust zu erreichen, ist kurzfristig relativ leicht, aber diesen Verlust aufrecht zu erhalten, ist sehr schwierig.

      In den meisten Fällen gehen wir anti-biologisch vor. Körpergewicht wird durch das Gehirn und den Stoffwechsel reguliert, ebenso wie viele andere biologische Prozesse (z. B. Körpertemperatur, Herzrhythmus und Blutdruck). Innerhalb einer gewissen Grenze geht der Körper bemerkenswert weit, um ein Gleichgewicht oder einen Ausgleich zu erhalten. In Bezug auf das Gewicht gilt für dieses Gleichgewicht eben der Set-Point des Körpers. Wenn das Körpergewicht sich reduziert, wird der Stoffwechsel verlangsamt, so dass weniger Kalorien verbraucht werden, um das niedrigere Gewicht zu halten und nicht noch mehr zu verlieren. Zusätzlich zu diesen körperlichen Veränderungen, mit denen der Körper versucht, das Ungleichgewicht, das durch den Gewichtsverlust ausgelöst wurde, zu verbessern, verstärkt sich auf natürliche Art die vorrangige gedankliche Beschäftigung des Diäthaltenden mit Nahrung und Hunger. Dies ist ebenfalls ein Teil der Bemühungen des Systems, das Gleichgewicht zu erhalten.

      Für Tausende von Jahren der menschlichen Evolution wurden die Gene jener selektiert, die dazu bestimmt waren, dick zu sein (das heißt, die, die ihre Kalorien wirkungsvoller nutzten), da diese Menschen fähig waren, während Nahrungsknappheit zu überleben. Von Natur aus dünne Menschen starben einfach öfter angesichts der existierenden Hungersnöte. Jene, die ihr Gewicht auch mit weniger Nahrung beibehielten, überlebten. In der heutigen Gesellschaft, die es gern immer schlanker hätte, wird dieser genetische Vorteil plötzlich zum Vorwurf. Obwohl die Faktoren vielfältig und komplex sind, gilt generell, dass es natürliche Unterschiede im Körpergewicht bei den Menschen gibt, genauso wie es auch Unterschiede in anderen körperlichen Eigenschaften gibt.

      Wir akzeptieren natürliche Abweichungen vom Durchschnitt bei anderen körperlichen Attributen (z. B. Größe und Intelligenz), sogar wenn sie mit sozialen Nachteilen verbunden sind. Ich bin 1,65 Meter groß, und obwohl Größe bevorzugt wird und Kleinsein alle Arten von sozialen Nachteilen verleiht, wäre ich überrascht, wenn mich jemand anflehen würde, wegen der sozialen Vorteile zu wachsen. Genauso wenige Beweise gibt es, dass man sein Körpergewicht auf Dauer ändern kann. Aber in allen Zeitschriften und selbst durch Mediziner wird uns weisgemacht, dass die Manipulation des Körpers bei dicken Menschen möglich sei. Wie absurd würde es uns anmuten, wenn wir in einer Modezeitschrift lesen könnten: „Die wirklich hübschen Models sind 1,80 Meter, mit unseren Tipps zur Ernährung wachsen sie täglich mindestens einen Zentimeter!” Natürlich gibt es hier einen Unterschied: Kurzfristiger Gewichtsverlust ist relativ einfach. Das geringere Gewicht dann zu halten, ist statistisch eine unwahrscheinliche Begebenheit. Eine Freundin fasste den Zustand gut zusammen. Sie meinte: „Ich kann

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