Das Veteranentreffen. Peter Schmidt

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Das Veteranentreffen - Peter Schmidt

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Ein Haufen verbogener Knochen. Mit Gelenken, die lauter quietschen als mein Garagentor. Ich kenne Ihre Krankengeschichte. Bewahr sie schließlich in meinen Karteikästen auf.“

      „Und Sie sind ein Ungeheuer, Frank.“

      „Nur wahrheitsliebend, Bertrand.“

      „Ein Zyniker.“

      „Wir sind alle Zyniker. Unverbesserliche, neunmalkluge, gelangweilte Zyniker“, sagte ich und warf mich aufs Bett; Geruch von Matratzengras und verwaschenem, zerfallendem Leinen stieg als Wolke um mich her auf. Ich schob mir eines der eingebeulten Kissen unter den Nacken, die so hart und fest wie Sandsäcke beim Boxtraining waren. „Das ist nun mal unsere liebste Beschäftigung, ehe wir gehen müssen. Können’s nicht lassen, wenigstens mit Worten Katze jagt die Kirchenmaus zu spielen, obwohl unsere Krallen längst stumpf geworden sind. Und unsere Mägen nur noch Dosenkost vertragen. Sehen immer noch jeden abweichenden Ideologen als leicht zu erlegendes Wild an, Bertrand, als Jagdbeute.

      Dabei brauchte man nur noch ein paar Jährchen abzuwarten – ruhig dazusitzen und Tee zu trinken –, bis der Osten wie der Westen und der Westen wie der Osten geworden ist. Alles gleicht sich einander immer mehr an.“

      „In hundert Jahren nicht.“

      „Dann werden Renegaten wie Sie ganz einfach zu Friedensrichtern ernannt.“

      „Zyniker, Sie gottverdammter alter Zyniker“, sagte Bertrand und warf laut die Tür hinter sich ins Schloss.

      Oh, er hasste mich wirklich. Er würde eine Nacht voller wilder Verwünschungen zubringen. Die Augen starr zur Decke gerichtet, das Gebiss auf der Nachtkonsole.

      Wahrscheinlich hatte Asch den ganzen Hotelkomplex samt Nebengebäuden und Personal für einen Spottpreis angemietet. Weil die Bruchbude sonst keiner haben wollte. Aus meinem Fenster sah ich in die dunklen Tannenwipfel. Aber ein paar Meter tiefer war die Natur abrupt zu Ende:

      Dort gähnte ein schwarzes Loch, in dem der Hausmüll verschwand.

      Bertrand hätte mich leichten Herzens ebenfalls darin verschwinden lassen (die Rubrik ‚Müll’ fand er sicher ganz passend für mich), das wusste ich aus unserer langen Bekanntschaft. Bloß hatte es ihm dazu schon immer an Kräften gemangelt.

      Während ich noch die Baumwipfel musterte, sah ich Green, den Engländer, über einen schmalen Fußpfad vom Murellenberg kommen. Er trug einen dünnen, durchsichtigen Regenmantel mit Kapuze gegen den Nieselregen und nickte mir unmerklich zu.

      „Kommen Sie runter in die Halle, Sander. Hab mit Ihnen zu sprechen“, rief er in akzentfreiem Deutsch hinauf.

      Ich erinnerte mich gut an ihn, weil er einmal der Schrecken der Londoner Population gewesen war. Nicht so katastrophal erfolglos wie Bertrand; aber dafür einer von der Sorte, die ihre politischen Ambitionen offen zur Schau trugen.

      Keine Woche, die verging, ohne dass er irgendeine Eingabe an Downing Street Nr. 10 gesandt hatte, um sich mit klugen Kommentaren zur Weltpolitik zu Worte zu melden.

      Ich glaube, er hatte es glänzend verstanden, den Laden vom untersten Regierungsmitarbeiter bis hinauf zum Außenminister und zur Regierungschefin in Atem zu halten.

      Seine Eingaben waren etwa von der Sorte:

       Denken Sie nicht, gnädige Frau, dass uns ein schnelles Zuschlagen bezüglich der Falklands – ich meine, ein Faustpfand gegen die Übergriffe der Argentinier kann unmöglich schaden – in eine günstigere Verhandlungsposition versetzen würde? Mein Vorschlag:

       Mit drei Kanonenbooten Ihrer Majestät die Nordspitze des Hafens von Buenos Aires besetzen (leicht zu verteidigen wegen des unwegsamen Flussdeltas). Angesichts der dauernden Übergriffe der Argentinier nur legitim. Und dann lassen wir uns die besetzte Zone in monatelangen Verhandlungen gegen politische Zugeständnisse oder Abtretungserklärungen für die Falklands abkaufen.

       Was halten Sie davon? Bitte lassen Sie mich recht bald Ihre Meinung dazu wissen, gnädige Frau!

       Ihr sehr ergebener Mitarbeiter von M15, Abteilung ostasiatische Schecküberweisungen

       gez. Albert Green

      Ein prächtiger Abenteurer alten Schlages, hätte man meinen können (und so nahe dran am Schauplatz seiner machtpolitischen Fieberphantasien! – Bereich Ostasien, Schecküberweisungen … genauer gesagt: Taiwan und die Kurilen – das sind nur mal eben zehntausend Seemeilen). Wenn auch ein wenig närrisch, was sein politisches Urteilsvermögen anbelangte. Und von diesem Schlage war – eher knapp gerechnet – wohl mehr als die Hälfte in Aschs illustrem Agentenpanoptikum.

      Green kam gerade aus der Toilette, leicht hüstelnd und mit bebenden schneeweißen Nasenflügeln von der Feuchtigkeit draußen. Ich hörte förmlich schon seine krachenden Nieser.

      Aber noch unerträglicher waren jene Explosionen seiner Atmungsorgane, die er mit aller Gewalt und verrenkten Händen und Armen zu unterdrücken versuchte.

      Als er mich entdeckte, nahm er mich hinter die Säule an der Rezeption beiseite.

      „Also, Sander, ich denke, wir verplempern hier bloß unsere Zeit. Dieser Asch hat mich wahrhaftig gefragt, ob ich bereit sei, alles auszupacken, was ich über M15 weiß.“

      „Tatsache? Nein – Sie machen Scherze?“

      „Ein streng vertrauliches Gespräch unter vier Augen“, beteuerte er.

      „Und? Was haben Sie ihm geantwortet?“

      „Na, ob wir hier ‘n Veteranentreffen veranstalten würden oder eine neue Art von Fragestunde.“

      „Darauf er …?“, fragte ich.

      „Scheint mächtig viel Langeweile zu haben, der gute alte Asch. Er sagte, einzeln seien wir vielleicht bloß ‘n Haufen altes Eisen. Aber wenn wir unser Wissen in einen Topf würfen, könnte daraus …“

      „Ja?“

      „Tja … dann ließe sich daraus noch manches politische Süppchen kochen.“

      „Er führt also irgendwas im Schilde?“, fragte ich.

      „Na, Sie waren doch immer einer seiner engsten Vertrauten, Sander. So was wie ‘n guter Freund, wenn ich das richtig sehe. Sie müssten doch am ehesten wissen, was Asch mit uns vorhat?“

      „Nein, keinen Schimmer. Ich dachte, wir würden hier ‘n bisschen Ringelpiez mit Anfassen veranstalten. Aber bis jetzt hab ich außer den beiden Zimmermädchen noch nichts Weibliches zu Gesicht bekommen. Und die gehen auch schon locker auf die Fünfundsechzig zu.“

      „Arbeiten halbtags …“

      Er nickte wehmütig und strich sich resignierend durch die Mundwinkel. Der Gedanke an junges Gebein (Hotelfachschule und so weiter), das ihn umhegte und pflegte und ihm die Zigarettenasche vom Hosenbein klopfte, schien ihn für einen Augenblick seiner Fassung zu berauben.

      Die eine passt nachmittags auf ihre Enkelkinder auf, bei der andern machen’s die Gelenke nicht mehr. Wenn Sie sich abends eine Flasche aufs Zimmer kommen lassen wollen, müssen Sie dem Portier schon ‘n hübsches Scheinchen

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