Das Veteranentreffen. Peter Schmidt

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das Veteranentreffen - Peter Schmidt страница 7

Автор:
Серия:
Издательство:
Das Veteranentreffen - Peter Schmidt

Скачать книгу

sollte man rechtzeitig für Vorrat sorgen? ‘ne kleine Spritztour in die Stadt?“

      „Im Vertrauen gesagt …“ Green schob mich noch ein wenig weiter in den Schatten der Säule. „Asch zahlt unsere Rechnungen. Er sagt:

      ‚Macht euch hier ein paar schöne Tage auf meine Kosten. Freu mich riesig, die ganze alte Garde wiederzusehen.’ Und das allein, Sander …“ – Green hielt krampfhaft seine Hand vor den Mund, aber die Explosion blieb aus – „ist für mich schon ein Grund dafür, anzunehmen, dass mehr dahintersteckt als bloß dieses läppische Veteranentreffen. Wann haben wir Asch jemals so spendabel erlebt?“

      „Hat er denn gar nichts weiter verlauten lassen?“, fragte ich.

      „Doch. Er will beim Abendessen eine kleine Ansprache halten. Denke, dann wird er endlich mit der Sprache herausrücken.“

      „Na also“, sagte ich. „Dann warten wir’s doch einfach ab.“

       3

      Einige von ihnen waren zweifellos Heilige – beseelt von ihrer Mission. Und darunter verstanden sie wie in alten Zeiten: den freien Westen zu stärken, das liberale Lager in Schuss zu halten. Es gegen verknöcherte orthodoxe Marxisten und Leninisten zu verteidigen, die es auch nach den Reformen in der DDR immer noch gab … selbst wenn sich der Sozialismus jetzt so überaus jung und reformwillig gebärdete wie unter Gorbatschow.

      Ich sah Falkner in seinem chromglänzenden Rollstuhl um die Hallensäulen fahren, in der Mulde zwischen seinen Knien, die eine dünne beigefarbene Wolldecke bildete, zwei in Fettpapier eingeschlagene Bücher, und durch das durchsichtige Papier konnte man unschwer erkennen, dass er sich noch immer mit denselben Themen herumschlug wie ehedem:

      „Ist der Marxismus ein Humanismus?“ – Oder: „Lenin – Der gegenwärtige Stand der Dinge in der russischen Sozialdemokratie.“

      Er legte seinen ganzen Ehrgeiz darein, all die volltönenden Versprechungen und Prognosen mit alten Geheimdienstanalysen abzugleichen.

      Und Kuben war ein wandelndes Konversationslexikon der ehemaligen ostdeutschen Innenpolitik unter Honecker.

      Er wurde langsam wunderlich, seine Beine und Augen versagten den Dienst. Seine Stimme erinnerte frappierend an die Geräusche aus einer verstopften Wasserspülung. Aber ein Zitat wie:

      „Von großer Bedeutung waren auch die Beratungen des XII. Bauernkongresses, dem in allen landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, sowie volkseigenen Gütern (VEG) Jahreshauptversammlungen und Rechenschaftsablegungen sowie Kreisbauernkonferenzen vorausgegangen waren“ ging ihm noch immer leichter von den Lippen als die Antwort auf die harmlose Frage, wo er sein gestreiftes Jackett gekauft hatte (bei Spandam’s, London, wie alle seine Jacketts).

      Er trug keine blauen Wollsocken mehr, sondern feine englische Strümpfe. Alles Englische war ihm ein Synonym für Gediegenheit, Lebenskultur, vor allem aber für Fairness. Natürlich zitierte er nur so glänzend, um sich anschließend hämisch darüber zu verbreiten, wie nichtssagend das alles war.

      Seitdem ihn ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss ziemlich unsanft aus dem Dienst befördert hatte, trauerte er voller nie versiegendem Trotz den alten Zeiten nach. Seine Belesenheit diente ihm als Rechtfertigung, damit bewies er sich jeden Tag aufs Neue, dass er noch auf der Höhe war.

      Sein kleiner grüner Melonenkopf, viel zu unscheinbar für seine massige Gestalt, sann immer auf ein Comeback – sogar ganz ernsthaft, nach meinem Gefühl.

      Aber um ihn mit einer wichtigen Aufgabe zu betrauen, war er schon zu alt. Und man würde niemals vergessen, wie dreist und eigenmächtig er das politische Klima vergiftet hatte.

      Durch meine Arbeit als Arzt kannte ich seine Vergangenheit genauer als jeder andere, ich war mit der Untersuchung seines Falls beauftragt gewesen. Kuben hatte – ohne Auftrag und Rückendeckung – über seinen Hamburger Agentenring ein medizinisches Präparat in den Osten schmuggeln lassen – mit verheerenden Folgen in Moskauer Kliniken.

      Eigentlich hatte es nur jene Medikamente neutralisieren sollen, die Dissidenten und Andersdenkenden in den psychiatrischen Abteilungen der Sowjetunion unter dem wohlfeilen Signum ‚geisteskrank’ verabreicht wurden. Bis sich herausstellte, dass die Biochemiker wieder einmal zu früh grünes Licht gegeben hatten – dass es das Immunsystem schädigte.

      Kuben hatte versucht, den Teufel durch Beelzebub auszutreiben.

      „Sander …“, sagte eine Stimme hinter mir, die mich sofort an den Hindu erinnerte. Ich nannte ihn ‚den Hindu’, weil er sich von Müsli und Körnern ernährte und um jede Ameise am Boden einen weiten Bogen machte. Nichts Lebendes durfte zertreten werden.

      Die albern-freundschaftliche Art, wie er mir auf den Rücken zu klopfen pflegte, stand in krassem Gegensatz zu seinen rüden Methoden. Er trug einen Zwicker wie ein ostpreußischer Gutsbesitzer (sicher, um damit besser die Kleinstlebewesen auf dem Fußboden durchmustern zu können), dazu Knickerbocker und hohe Wollstrümpfe. Seine Wanderschuhe waren voller gelber Erdklumpen vom Murellenberg.

      Ich wandte mich zögernd nach ihm um.

      „Kommen Sie. Das Spektakel soll gleich beginnen – im Speisesaal.“

      „Spektakel, wieso?“

      „Wir werden mit Aperitifs abgefüllt, gefüttert und dann seelisch weich geklopft.“

      „Anscheinend wissen Sie mehr darüber als ich, Laflöhr?“

      „Ach was, Sie waren doch schon immer der am besten informierte Mann auf dem Planeten, Sander.“

      Wir versuchten im Gedränge all der Klapprigen und Zittrigen und von knurrenden Mägen Geplagten einen Stuhl zu ergattern. Aber das schien ein fast aussichtsloses Unterfangen zu sein. Wie die Liegen auf einem Musikdampfer bei Sonnenaufgang, und jedenfalls lange vor dem Frühstück, waren bereits alle Stühle mit irgendwelchen Utensilien belegt: Handtüchern, Hüten, Brillenetuis …

      Von der Decke des Saals hing ein zerbrechlich wirkendes Gebilde aus Draht und blau gefärbtem Papier. Man musste schon genau hinsehen, um zu erkennen, dass es sich um die stilisierte Nachbildung einer Friedenstaube handelte. Irgendetwas in ihrer Haltung – vielleicht die komisch verkrampfte Art, wie sie ihre Flügel hielt – suggerierte einem unwillkürlich, dass sie an chronischen Blähungen litt. Der Appetit der Versammlung schien auf mehr als eine halbe Tonne taxiert worden zu sein, den aufgebauten Tellern nach zu urteilen. Unsere Tischanordnung hatte die Form eines großen U, und an der offenen Seite ballte sich der Verkehr sofort wie minderwertiger Baumwollfaden in einem Nadelöhr.

      Einige alte Kerle – vor allem jene, die an Stöcken gingen – sahen ihre Behinderung offenbar als Freibrief an. Es brauchte keine scharfe Beobachtungsgabe, um zu erkennen, dass sie die größten Rüpel waren und ihre Prothesen ohne Skrupel als Waffe einsetzten:

      Mitleid, das als soziale Pflichtübung gilt, ist im Gedränge ein mindestens ebenso bewährtes Mittel wie ein unbeabsichtigt wirkender Tritt ans Schienbein.

      Als ich schließlich doch noch einen freien Stuhl gefunden hatte, war ich nicht böse darum, dass mir Laflöhr bedauernd vom anderen Ende der Tischreihen aus zuwinkte.

      Er machte eine fragende Gebärde und fuhr sich mit gespreizten Fingern die hohlen Wangen entlang; wahrscheinlich wirkte ich leicht erschöpft und zerstreut. Dann gab es noch

Скачать книгу