Das Dunkle Bild. Tristan Fiedler
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Читать онлайн книгу Das Dunkle Bild - Tristan Fiedler страница 4
„Könnten Sie sich das hier mal ansehen?“ fragte ich. Dabei hielt ich dem Mann das eingehüllte Bild hin.
Der Antiquar nahm mir das Bündel wenig behutsam ab. „Was ist das?“ fragte er unwirsch.
„Ein Laken“, erwiderte ich.
Der Gesichtsausdruck des Antiquars ähnelte nun erschreckend dem des Keramik-Engels. Ich besann mich schnell. Es war keine gute Idee, den Mann zu verärgern. Immerhin wollte ich etwas von ihm. Und ich war von seiner ehrlichen Meinung abhängig, was den möglichen Wert des Gemäldes anging. Ich würde mir noch weitere Meinungen einholen, aber es war klüger, mir nicht mehr Arbeit als nötig zu machen.
„Es ist ein Bild“, sagte ich. „Ein Gemälde. Es hat meinem Vater gehört, jetzt ist er tot, und ich möchte es verkaufen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mal einen Blick darauf werfen könnten, um zu sehen, wie viel es wert ist.“
„Mhm“, machte der Dicke und sah mich noch einen Moment prüfend an. Ich versuchte, ein charmantes Lächeln aufzusetzen. Anscheinend funktionierte es. Der Dicke wirkte auf einmal weniger verdrießlich. „Na, dann wollen wir mal sehen“, sagte er und enthüllte das Bild.
Ich stellte mich neben ihn, um im selben Moment wie er den Blick auf das Gemälde werfen zu können. Als die Leinwand frei war, erkannte ich, dass das Fenster leer war. Erleichterung machte sich in mir breit. Ich hatte mich am Vorabend wirklich geirrt.
Der Antiquar ließ seinen Blick eine Weile auf dem Bild verweilen. Ich versuchte, seinen Gesichtsausdruck zu deuten, aber er blieb während seiner Prüfung völlig neutral.
„Was meinen Sie, wie alt ist es?“ fragte ich schließlich.
„Na ja, der Leinwand nach zu urteilen ist es nicht sehr alt“, sagte er.
Meine Enttäuschung blieb ihm nicht verborgen. Er sah mich fast hämisch an und besah dann das Bild noch einmal. Diesmal wendete er es etwas, als suchte er nach etwas Bestimmtem, und drehte es dann um.
„Hm“, machte er.
„Was, hm?“ fragte ich.
Wir sahen uns an. Der Blick des Antiquars war herausfordernd. Er erwiderte aber nichts. Stattdessen wandte er sich erneut der Rückseite des Gemäldes zu. Schließlich fragte er: „Wissen Sie, von wem das ist?“
„Ich weiß gar nichts über das Bild.“
„Es scheint keine Signatur drauf zu sein.“
Der Antiquar sah eine Weile ratlos auf das Bild, dann wandte er sich wieder mir zu. „Kann ich es aus dem Rahmen nehmen? Vielleicht finden wir auf der Rückseite der Leinwand etwas.“
Ich nickte nur, und der Antiquar nahm die Leinwand vorsichtig aus dem Rahmen. Die Rückseite war allerdings vollkommen leer. Nirgendwo ließ sich auch nur der geringste Hinweis auf den Maler finden.
„Tja, tut mir leid“, sagte der Mann, während er das Bild zurück in den Rahmen steckte. „Ich fürchte, sonderlich viel kann ich Ihnen nicht dafür nicht geben. Hübsch ist es auch nicht, wissen Sie...“
Ich sah den Antiquar verblüfft an. „Sie meinen, im Gegensatz zu...“ Anstatt weiterzusprechen, breitete ich die Arme zu einer allumfassenden Geste aus, in die ich besonders den dicken Engel hinter mir mit einschloss.
Mit einer energischen Bewegung hielt der Antiquar mir das Bild hin. „Verkaufen Sie es oder gehen Sie einfach wieder. 50 Euro.“
Ich überlegte kurz. Sollte ich es an ihn verkaufen? Ein unbestimmtes Gefühl deutete mir, dass es falsch wäre, dieses Bild so einfach loszuwerden. Es war immerhin von meinem Vater an diesem eigenartigen Ort aufbewahrt worden, unzugänglich für jeden, von dem er nicht wollte, dass er es fand.
Also entschied ich mich dazu, das Bild erstmal nicht wegzugeben.
„Ich denke, ich werde mir noch eine weitere Meinung einholen“, sagte ich.
„Tja, ich glaube, niemand wird Ihnen mehr dafür bieten“, erwiderte der Antiquar. „Aber falls Sie einen Experten zu Rate ziehen wollen, dann gehen Sie am besten zu der Pinakothek. Vormittags können Sie da das Bild vorlegen und es wird dann von einem Gutachter geprüft.“
Ich nickte nur dankend und verabschiedete mich.
Zu Hause stellte ich das Bild zurück auf die Staffelei und deckte es wieder zu, wie aus einer alten Gewohnheit heraus. So hatte ich es gefunden und so schien es mir auch zu gehören.
~
Am späten Abend befanden sich nur noch die Staffelei und mehrere Kartons mit übrig gebliebenen Unterlagen meines Vaters im Flur. Ich hatte diesen Moment lange mit Qual vor mir hergeschoben, aber jetzt schien es mir auf einmal angebracht, doch wieder einen Blick unter das Leintuch zu werfen. Aus welcher Eingebung heraus ich auch den Abend abgewartet hatte, ich musste einfach einen weiteren Blick auf das Fenster werfen. Mir war klar, wie lächerlich das war. Aber es war wie ein Zwang, der mich nicht mehr losließ. Und jetzt war es für mich soweit. Draußen war es schon dunkel und das Bild wurde nur noch durch das Deckenlicht meines Flurs erhellt, als ich das Leintuch abnahm und wie erstarrt auf diese eine Stelle auf dem Gemälde sah.
Das Fenster war nicht mehr leer. Wie am vorangegangenen Abend war schwach die Form einer Gestalt im Fensterrahmen zu erkennen. Während ich spürte, wie mich ein tiefes Frösteln befiel, ließ ich das Laken fallen. Ehe ich mich versah, hatte ich das verfluchte Bild gepackt und mit weit ausgestreckten Armen hinunter zum Müllcontainer getragen, in dem es krachend verschwand.
Ich blieb noch einen Moment lang so stehen, dann stieg ich die Treppe des Hauses wieder rauf in meine Wohnung. Eine Weile starrte ich aus dem Fenster hinunter auf den Container, in dem das Gemälde lag. Dann drehte ich mich auf dem Absatz um, verließ meine Wohnung und fischte das Bild wieder aus dem Müllcontainer. Mit hastigen Schritten trug ich es runter in den Keller, in dem es diese Nacht bleiben sollte. Ich konnte es nicht wegwerfen. Irgendetwas an diesem Gemälde ließ mir keine Ruhe. Ich hatte keine Ahnung, was es für eine Bedeutung hatte. Aber ich spürte, dass es mich ab jetzt verfolgen würde, egal, was ich tat. Ich würde es nicht mehr loswerden. Es sei denn, ich kam seinem Geheimnis auf die Spur.
Am nächsten Tag, so beschloss ich, würde ich tatsächlich in die Pinakothek gehen, um es dort einem Experten vorzulegen.
Kapitel 3
Soweit ich das auf den ersten Blick beurteilen kann, ist das Bild keine hundert Jahre alt.“ Der ältere Mann rückte seine Brille auf der Nase zurecht. Dann hob er wieder die Lupe und musterte das Bild erneut. „Wahrscheinlich weitaus weniger.“
„Das hab ich mir schon gedacht“, sagte ich.
„Ein Urteil über den finanziellen Wert kann ich Ihnen leider nicht geben“, sagte der Alte und wischte sich mit der Hand die Haare zurecht. Eine absurde Geste, denn sie bestanden aus gerade mal fünf weißen Strähnen, die er von seiner linken Schläfe über die Kopfplatte zur rechten gelegt hatte.