Der singende Physiklehrer. Helmut Wolters
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Helmut Wolters
Der singende Physiklehrer
Eine Rückmeldung aus der Schule
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Inhaltsverzeichnis
Einstieg: Vom Forscher zum Lehrer
Der singende Physiklehrer: Gib der Welt dein Bestes
Physik so lehren, dass sie dem Menschen dient
Ausstieg: Einsichten eines Physiklehrers
Epilog: Der Pfirsich, der vom Baum fällt
Leitspruch
„Jede Lektion, die du lehrst, lernst du.“
Aus „A Course in Miracles“
Einstieg: Vom Forscher zum Lehrer
Die Chemie stimmt
Ich gehe auf einen grauen Betonbau mit orangefarbigen Fensterrahmen zu. Es ist ein sonniger Spätsommertag. Ich bin als Referendar mit dem Schulleiter meiner zukünftigen Ausbildungsschule verabredet. Viele Gedanken und Fragen schießen durch meinen Kopf, während ich über den Schulhof gehe.
Mir fallen die schlaflosen Nächte vor der Entscheidung, bei Dornier zu kündigen ein. Und musste mein Vater tatsächlich sterben, um diese Entscheidung treffen zu können?
War es klug bei Dornier zu kündigen und in den Referendardienst einzutreten? Ist Physiklehren wirklich meine Sache, der ich mein Leben widmen will? Fragen über Fragen.
Das Schulgebäude rückt näher, meine Gedanken kreisen weiter:Was ist, wenn ich für die Schule wirklich zu weichherzig bin? Wenn die Schüler mich „in die Pfanne hauen“. Mein großer innerer Konflikt - Strenge versus Sanftheit - wie wird er aus gehen? Setze ich mich durch? Gelingt es mir zu kämpfen, oder werde ich untergebuttert? Anders ausgedrückt: Reicht mein Selbstvertrauen, um den Lehrerberuf auszufüllen oder werden meine Ängste mich aus dem Tritt bringen.
Beide Grundmelodien meines Lebens – hier die Angst, dort das Selbstvertrauen – klingen an.
Welche Melodie führt, welche begleitet?
Während ich auf den Verwaltungseingang zugehe, führt mein Selbstvertrauen. Ich gehe los, auf das Gespräch mit dem Schulleiter zu. Ich vertraue, dass mein Start gelingen wird.
Ich schaue auf und blicke nach vorne. Wäre mein ästhetisches Empfinden stärker ausgeprägt, würde ich beim Anblick des Schulgebäudes – 70-er Jahre Betonbau - sofort kehrtmachen. Doch meine Neugier auf das, was mich an dieser Schule erwartet, treibt mich vorwärts und lässt meine Angst in den Hintergrund treten.
Unbefangen betrete ich das Gebäude durch den schmalen Verwaltungseingang. Ich spüre eine leichte Anspannung in mir, halte kurz inne und klopfe am Sekretariat. Die Sekretärin bittet mich herein und führt mich ins Schulleiterzimmer. Ein ca. 45-jähriger Mann schaut mich mit klaren Augen an, steht auf und streckt mir seine Hand entgegen.
Nach dem üblichen Vorgeplänkel kommt er zügig zur Sache. Er hat meine Akte offensichtlich gelesen und fragt mich: “Warum wollen sie Lehrer werden. Warum sind sie nicht als Forscher bei Dornier geblieben?“
Ich beginne zu erzählen, und er hört mir wirklich zu, er will wissen, mit wem er es an seiner Schule zu tun bekommt. „Ich habe schon an der RWTH Aachen gerne die Übungen für theoretische Physik gehalten und meine Leidenschaft und mein Talent für das Lehren entdeckt“, erzähle ich ihm.
Ich fühle, wie meine Anspannung nachlässt. Die Frage des Schulleiters zeigt mir, dass er an meinen Motiven interessiert ist. Schwungvoll fahre ich fort: „Ich habe die Firma Dornier und die Forschertätigkeit im Dienste eines Flugzeugunternehmens hinter mir gelassen, weil ich mich lösen wollte von der geheimen Militärforschung – wie tötet man Schweine und später eventuell auch Menschen am Besten mit Infraschall. Für solche Forschung wollte ich meine Arbeitskraft, Energie und mein Können nicht weiter zur Verfügung stellen.“
Meine Ansichten zur Verantwortung eines Wissenschaftlers lassen den Schulleiter aufhorchen. Er findet das Thema Verantwortung und die Frage, wie weit man als Wissenschaftler für sein Handeln verantwortlich ist, für seine Schule bedeutsam. Er meint, dass man diesen Aspekt im fächerübergreifenden Unterricht von Physik und Philosophie in der Oberstufe seines Gymnasiums mit den Schülern diskutieren sollte und könnte.
Diese Idee gefällt mir. „Kreativ, der Schulleiter“, denke ich bei mir.
Eine kurze Gesprächspause entsteht, wir schauen uns an. Der Schulleiter fährt fort: „Welche Vision von Schule haben Sie? Ich habe das bisher alle Lehrer gefragt, die hier anfangen wollten.“
Ich hole tief Luft, mit einer solchen Frage habe ich nicht gerechnet. Ich komme aus einer Branche – der theoretischen Physik -, in der Visionen nicht so im Gespräch waren.
Dennoch fällt mir die Antwort, die spontan aus mir heraus kommt, nicht schwer: „Ich will weg von der autoritären Schule mit Zwang und Schlägen, wie ich sie erlebt habe. Hin zu einem demokratischen Miteinander, in dem Konflikte nicht mit Gewalt gelöst werden, sondern durch Gespräche, die durch Aufeinander - Hören, Toleranz und Kompromissbereitschaft geprägt sind. Auch will ich weg von dem Elitären meiner Schule. Ich will mein Wissen mit den Schülern teilen und sie befähigen, dieses Wissen zu verstehen. Ich will mich für eine Demokratisierung von Wissen einsetzen. Ich glaube daran, dass Schüler Raum zur Selbstentfaltung und zum Lernen brauchen, und ich will helfen, diesen Raum in Schule zu erschaffen“
Der Schulleiter nickt. „Gefällt mir und liegt auf meiner Linie“, antwortet er.
Ich spüre Sympathie und habe das Gefühl, dass wir uns auf gleicher Augenhöhe begegnen. Hier kann und will ich bleiben und mein Lehren der Physik beginnen.
Wie als Dreingabe, um meine innere Entscheidung zu bestärken, kamen wir im weiteren Gespräch darauf, dass wir an der gleichen Schule in Uerdingen Abitur gemacht haben. Zufällig war es auch dieselbe Schule, an der mein Vater seinen mittleren Schulabschluss absolviert hatte. Kann es solche Zufälle geben?
Die Chemie stimmte, wie es so schön heißt, obwohl ich Physiklehrer war, und er die Fächer Geschichte