Der singende Physiklehrer. Helmut Wolters

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Der singende Physiklehrer - Helmut Wolters

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und vor allem meinem Vater zu zeigen, dass ich es schaffen würde, Diplomphysiker zu werden, blieb mein Start hart. Meine schulische Ausbildung konzentrierte sich auf die drei Fremdsprachen (Latein, Englisch, Französisch), jedoch weniger auf Mathematik und Physik. Ich wusste nicht einmal, was Ungleichungen sind und wie man mit ihnen rechnet.

      Die Mathematikprofessoren hauten mir bei ihren Beweisen mit der Epsilontik eine Ungleichung nach der anderen um die Ohren. Ich musste sehen, wie ich zurechtkam. Ich half mir mit hartem Arbeiten und das hieß: Üben, Üben, Üben.

      Ich werde Diplomphysiker und forsche weiter

      Auf der Schule wird dir das Wissen löffelweise serviert – ein Löffelchen für Onkel Päppi … An der Uni kommen sie kübelweise und kippen die Kübel des Wissens gnadenlos über dich aus, nach dem Motto: friss oder stirb. Selektion war das Prinzip. Nach nur einem Semester studierten von ca. 90 Anfängern des Studienganges Diplomphysik noch ca. 30 weiter, und ich zählte zu den Ausgewählten. Denn ich hatte Ausdauer und Disziplin von meinem Vater und in der Schule gelernt.

      Ich biss mich durch und machte 1965 meine Vordiplomprüfung und 1968 mein Diplom in Physik. Das Diplomzeugnis wurde mir 1968 überreicht, was mich mit Stolz erfüllte und mein Selbstvertrauen stärkte. Ich beschloss, in Theoretischer Physik zu promovieren und bekam bald eine Assistentenstelle am Institut für Theoretische Physik der RWTH Aachen. Jetzt verdiente ich mein eigenes Geld und war von meinem Vater finanziell unabhängig.

      Forschung mit Professor Stahl

      Jeden Freitag von 9.00 Uhr bis 13.00 Uhr trafen wir uns in unserem Zimmer mit unserem Betreuer und Doktorvater Stahl und diskutierten über den Fortgang unserer Arbeiten„Wir“, das waren mein tschechischer Kollege J. und ich. J. befasste sich mit der Waldmann-Snider-Gleichung, die auf der Boltzmann-Gleichung aufbaut und den Spin der Teilchen mit berücksichtigt.

      Bei meiner Arbeit ging es um die Frage, wie die elektrischen Felder, die jeder auf einer Temperatur T befindliche Körper in den Raum hinaus ausstrahlt, in den Maxwellschen Gleichungen Berücksichtigung finden können. Es handelte sich also um eine Fragestellung an der Schnittstelle zwischen Elektrodynamik und Thermodynamik bzw. Statistischer Physik.

      Die freitäglichen Treffen waren nur von der Sache bestimmt; wir führten physikalische Diskussionen, wie ich sie in dieser Tiefe und Schärfe vorher noch nicht kennengelernt hatte. Dieses Ringen um die Sache gefiel mir und auch meinem Kollegen außerordentlich. Stahl in seiner strengen und klaren Art war unser Vorbild, und er spornte uns immer wieder zu wissenschaftlichen Höchstleistungen an. Obwohl unsere Arbeiten noch nicht ganz seinem hohen Ideal entsprachen, entließ er uns nach ca. drei Jahren harter und befriedigender Arbeit, damit wir unsere Ergebnisse in einer Doktorarbeit schriftlich darlegen konnten. Meine Arbeit stellte mich zwar ebenfalls nicht ganz zufrieden, erhielt aber mit der Wüllner-Medaille der RWTH Aachen eine äußere Auszeichnung, die zeigt, dass die Qualität okay war.

      Die Perelman Projektion

      2013 las ich beim Griechen einen spannenden Artikel in der SZ. Er handelte von dem russischen Mathematiker Perelman, der die Poincaré-Vermutung bewiesen hat. Beim Lesen kam mir der Gedanke, dass ich damals, als ich promovierte, die Sehnsucht in mir spürte, der Welt physikalische Gleichungen zu liefern, die vor mir noch kein anderer aufgestellt hat. Ich wollte in wissenschaftliches Neuland eindringen, wie Perelman es geschafft hat.

      Dieses unbedingte, idealistische Suchen nach Gleichungen, die noch keiner vorher formuliert hatte oder nach Lösungen von Gleichungen, die noch keiner gefunden oder erfunden hatte, fühlte ich in mir brennen.

      Man kann diese Geisteshaltung Selbstüberschätzung nennen – oder Motivation. Sie hat gewiss einen idealistischen Zug, der typisch für mich war und immer noch ist.

      Leider hatte mein Suchen damals den bitteren Beigeschmack, dass ich an diese erstrebte „Leistung“ meinen Wert als Mensch koppelte. Ich wusste zu der Zeit nicht oder nicht mehr, dass mein Wert unabhängig von allen Leistungen feststeht; in der Sprache des „Course in Miracles“ erhalte ich meinen Wert von Gott. Eine Feststellung, die mir zu Zeiten meiner Rebirthing-Ausbildung in den 90er-Jahren sehr geholfen hat, obwohl ich - inzwischen zum Agnostiker mutiert - nicht mehr an Gott glaubte.

      Sehe ich davon ab, dass ich damals, als ich an der RWTH forschte, meinen Wert an der Leistung festmachte, war es ein schönes Gefühl – diese Sehnsucht nach dem Absoluten, die vorwärts treibt.

      Meine eigene Suchbewegung, die sich auf Neues richtete, etwas Neues erforschen wollte, war eingebettet in die Suchbewegung der Theoretiker des Institutes, an dem ich promovierte. Auch sie gingen neue Wege, sie wollten weg von der Elementarteilchentheorie, in deren Kontext sie vor meiner Zeit geforscht hatten, und hin zur Statistischen Physik, die sie sich als neues Arbeitsgebiet auserkoren hatten.

      Dieses Ungesicherte des Suchenden, das ja auch dem Pubertierenden eigen ist, gefiel mir. Vielleicht erklärt dies auch, dass ich später als Klassenlehrer am Gymnasium nur achte Klassen übernommen habe und sie durch die Pubertätszeit in die Oberstufe geführt habe.

      Dieses Suchen nach dem Unbedingten, nach dem eigenen Weg, diese Sehnsucht nach Leben, nach Werten, die dauern können, nach Raum, nach Grenzen, sehe ich in Perelman. Bei ihm ist dieses Streben jedoch verknüpft mit einem Desinteresse an Ruhm und Geld. Bei mir ist das anders. Mir ging und geht es auch immer um Anerkennung. Geld ist eine bestätigende Zutat, die ich gerne mitnehme; bisher kam ich allerdings nie in die glückliche Lage, wie Perelman einen Preis oder Geld ausschlagen zu können. Ich sehe in Perelmans eigenwilliger Widerborstigkeit auch eine gewisse Rücksichtslosigkeit anderen gegenüber, die mir so gar nicht eigen war.

      Mein Streben nach höchsten wissenschaftlichen Erkenntnissen, wie sie Perelman gelungen waren, wurde durch die Ergebnisse meiner Doktorarbeit zurechtgerückt. Ich musste mir eingestehen, dass ich als theoretischer Physiker Mittelmaß war – fußballerisch gesprochen eben nicht Bundesliga, sondern eher Landesliga. Es fiel mir nicht leicht, von meinen Ansprüchen nach wissenschaftlichen Höchstleistungen abzulassen und mit meinem Mittelmaß Frieden zu schließen. Ein unausrottbarer Rest von „perelmanschem Streben” bleibt in meinem Leben, und das ist gut so.

      Das Lehren gefällt mir

      Die forschende Tätigkeit machte mir viel Freude. Geprägt hat mich jedoch nicht nur die Forschung selbst, sondern auch mein Engagement in der Lehre. Professor Stahl, der meine Dissertation betreute, war ein begeisterter Hochschullehrer, der sich wohltuend von vielen anderen Professoren abhob. Er bereitete sich auf seine Vorlesungen und Seminare gewissenhaft und mit hohem Einsatz vor. Seine Studienveranstaltungen waren dementsprechend gut besucht, so dass wir, die helfenden Assistenten und Hilfsassistenten, mit der Betreuung der Studenten gut zu tun hatten. Ich konnte auf diese Weise mein in der Schulzeit erworbenes Vorurteil – „Lehren ist furchtbar“ – revidieren und begann, Gefallen an der Lehre zu finden.

      Ich sehe mich noch im Hörsaal der RWTH Aachen stehen, ein Saal mit riesigen Tafeln, die man per Drehung an einer langen, silbrig glänzenden Stange nach oben oder unten befördern konnte. Dort rechnete ich für viele Studenten die Übungsaufgaben der theoretischen Mechanik vor. Und ich erinnere mich noch genau an dieses kraftvolle Gefühl von Können und Freude am Lehren, das ich wie eine Initiation empfand und das nicht mehr aus mir wich, auch nicht in meinen dunkelsten Stunden am Gymnasium.

      Ich promoviere

      Ich wurde mit der Arbeit „Begründung einer phänomenologischen Schwankungstheorie für das Lichtfeld in linearen Medien“ promoviert. Am 21.12.1971 fand das Rigorosum statt. Ich war

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