Die Baumeisterin. Barbara Goldstein

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Die Baumeisterin - Barbara Goldstein

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blickte er auf. »Nefrit, du kannst bereits lesen und schreiben, du kannst exakte Bauzeichnungen anfertigen und die Stabilität einer Pyramide berechnen. Ich beteilige dich an organisatorischen Entscheidungen auf der Baustelle, und du nimmst mittlerweile an den Besprechungen mit den verantwortlichen Bauleitern teil. Was, bei Imhotep, willst du in der Tempelschule?«

      »Ich will die Tempelriten erlernen, Mathematik und Philosophie, Kunst und Geschichte. Ich will Sistrum und Harfe spielen lernen und Tanzen. Ja, ich würde gern Tanzen lernen.«

      »Das brauchst du alles auf der Baustelle nicht, Nefrit.«

      »Ich will nicht mehr auf der Baustelle leben, Vater. Dies ist nicht mein Leben. Ich will ein anderes Leben leben. Mein eigenes Leben.«

      »Dein eigenes Leben?«

      »Vater, ich bin fast zwölf Jahre alt und will nicht mehr der Schatten des Kamose sein. Ich bin Nefrit.«

      »Die Ausbildung kostet Gold.«

      »Ich weiß, wie viel du verdienst, und ich weiß, wie viel wir gespart haben. Der Königliche Bauleiter Kamose zahlt seiner Gehilfin ein bescheidenes Gehalt von einem halben Kupfer-Deben.«

      »Ich kann dich nicht allein nach Mempi lassen.«

      »Das ist kein Argument«, begehrte ich auf.

      »Es ist das beste, das ich habe: Ich verbiete es dir!«

      In jener Nacht schlief ich nicht in meinem Bett. Nach unserem Streit hatte ich das Zelt verlassen und saß stundenlang am Ufer des Hapi.

      Der Mond stand hoch am Himmel, als Satamun sich still neben mich setzte. Ich wartete eine Weile, was sie mir sagen würde, doch sie schwieg.

      »Schickt dich mein Vater, um mich zur Vernunft zu bringen?«

      »Er hat mir von eurer Auseinandersetzung erzählt, und ich habe selbst entschieden zu kommen. Er ist wütend und enttäuscht.«

      »Er ist wütend und enttäuscht?«, fragte ich ungläubig.

      »Ich kann dich verstehen, Nefrit. Ich würde auch gern fortgehen«, gestand sie.

      Ich versuchte, im Mondlicht ihr Gesicht zu sehen. »Warum tust du es nicht?«

      »Weil dein Vater mich hier braucht. Und dich braucht er noch mehr: Er kann und will nicht auf dich verzichten. Du bist seine rechte Hand auf der Baustelle. Ohne dich wäre er nicht Königlicher Bauleiter.«

      »Ein Grund mehr, mir seine Dankbarkeit zu zeigen und mich nach Mempi gehen zu lassen«, konterte ich.

      »Dein Vater glaubt, dass er hier mehr für dich tun kann. Er hat dir verantwortungsvolle Aufgaben übertragen. Kamose ist der unbeschränkte Herr der Pyramidenbaustelle: Seine einzigen Vorgesetzten sind Prinz Nefermaat und der König. Was willst du mehr?«

      Verstand Satamun, warum ich gehen wollte? »Ich will lernen.«

      »Du hast doch schon so viel gelernt, Nefrit.«

      »Ich will Wissen erwerben, das mir die Macht über mein eigenes Schicksal gibt. Ich will meinen eigenen Weg gehen. Und nicht in Kamoses Spuren laufen.»

      Vier Monde später bat die Bäckerin Satamun um ein Gespräch beim Bauleiter Kamose. Sie sah traurig aus.

      »Was ist denn, Satamun?«

      »Ich will es deinem Vater zuerst sagen.«

      »Was willst du ihm sagen?«

      »Dass ich fortgehe.«

      Satamun teilte meinem Vater mit, dass sie sich entschieden habe, fortan ihre Brote für den König zu backen. Sie könnte in der Bäckerei der Residenz in Pihuni arbeiten. Ich konnte nicht hören, ob mein Vater überhaupt etwas dazu sagte. Die Unterredung im Zelt dauerte nicht lange. Schon bald erschien Satamun und ging mit Tränen in den Augen zurück zur Bäckerei.

      Ich betrat das Zelt, in dem mein Vater mit versteinerter Miene in Schreiberposition auf seinem Kissen saß. Mit leerem Blick starrte er auf den Tisch vor sich.

      »Vater, die Abordnung der Steinbrucharbeiter kommt gleich wegen der Erhöhung der Bezahlung. Soll ich ihnen sagen, dass sie später wiederkommen sollen?«

      Er besann sich und sah mich an. »Nein, nein. Ich werde sie empfangen.«

      »Geht es dir gut, Vater?«, fragte ich besorgt.

      »Ich bin ... müde, sehr müde.«

      »Das hat nicht zufällig mit dem Besuch von Satamun eben zu tun?«

      Es dauerte lange, bis mein Vater die richtigen Worte gefunden hatte. »Satamun hat mir erklärt, dass sie … mich verlassen wird.«

      »Dich oder die Baustelle?«, fragte ich.

      »Sie hat Arbeit im Palast gefunden.«

      »Liebst du sie?«

      »Nach dem Tod deiner Mutter … Vielleicht habe ich mich zu sehr an Satamun gewöhnt. Deshalb fällt es mir jetzt so schwer, sie gehen zu lassen.«

      Ich beschloss, ihm noch nicht zu sagen, dass ich ihn in wenigen Monden verlassen würde, um meinen Platz in der Tempelschule in Mempi anzutreten. Ich hatte noch Zeit, um die unvermeidliche Diskussion über meine persönlichen Lebensziele wieder aufzunehmen.

      Obwohl mein Vater erst vierunddreißig Jahre alt war, sah er aus wie ein alter Mann: Tiefe Falten hatten sich in sein Gesicht eingegraben. Satamuns Aufbruch hatte ihn verbittert. In den Monden nach ihrem Weggang gönnte keiner von uns dem anderen ein freundliches Wort oder eine liebevolle Geste.

      Mein Vater nannte mich undankbar. Er war der Meinung, dass er mir als Königlicher Bauleiter das Leben bieten konnte, das für mich erstrebenswert sein musste. Ich wollte selbst entscheiden, was gut für mich war und was nicht. Er konnte nicht verstehen, dass die Verwirklichung seines Lebenszieles – die Vollendung des Grabmals – mir nichts bedeutete.

      Wir sprachen nur noch selten miteinander. Wir hatten uns wenig zu sagen, was über den Bau der Pyramide oder die Organisation der Baustelle hinausging. Die versteinerte Gleichförmigkeit der Tage und seine Verständnislosigkeit ertrug ich mit eiserner Willenskraft.

      Sekhem kannte ich schon einige Jahre. Er war dreiundzwanzig und seit sieben Monden Kommandant der Lagerpolizei. Ich sah ihn oft, weil er dem Königlichen Bauleiter regelmäßig Bericht über die Sicherheit der Baustelle erstattete. In den letzten Wochen war er während seiner Runde durch das Lager oft vorbeigekommen, um sich mit mir zu unterhalten.

      »Ich will mit dem Bauleiter über einige Diebstähle in der letzten Zeit sprechen«, bat er mich.

      »Du kannst heute Nachmittag kommen.«

      »Ich werde da sein.« Sekhem machte noch keine Anstalten zu gehen.

      »Ist noch etwas?«, fragte ich ihn unvorsichtigerweise.

      »Du bist heute sehr hübsch, Nefrit«, sagte er.

      Ich

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