Die Baumeisterin. Barbara Goldstein

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Baumeisterin - Barbara Goldstein страница 23

Автор:
Серия:
Издательство:
Die Baumeisterin - Barbara Goldstein

Скачать книгу

den Riten begann der Schulunterricht im hinteren Teil des Tempelbezirks. Nur die Priester des Amun in Weset, die des Osiris in Abodu, die des Sonnengottes Re von Iunu und die des Ptah in Mempi waren befugt, den höheren Unterricht zu erteilen, der über den der Erzieher hinausging. Der Tempel des Ptah beinhaltete neben den Kulträumen für den Gott auch eine Tempelschule für die jährlich hundertzwanzig Schüler, die sich zum Tempeldiener, zum Priester, und in einem weiterführenden Kurs zum Schreiber ausbilden ließen.

      Der Schulraum war aus Schlammziegeln erbaut und wies keinerlei Verzierungen auf. Die Schüler saßen in Schreiberposition auf Schilfmatten. Vor uns hatten wir einen niedrigen Tisch, den sich jeweils zwei Schüler oder Schülerinnen teilten.

      Acht Gottesdiener, die sich auf verschiedene Unterrichtsfächer spezialisiert hatten, unterrichteten uns. So hatten wir einen Lehrer für Ritenkunde und Liturgie, der uns auch die Göttermythen näherbrachte, einen anderen Lehrer für Lesen und Schreiben, was die meisten meiner Mitschüler noch nicht beherrschten. Ein Priester lehrte uns Mathematik, ein weiterer die Grundzüge der Architektur sowie der bildenden Künste wie Malerei, Reliefkunst, plastische Kunst und noch ein anderer versuchte selbst den Unbegabtesten das Musizieren mit Trompeten, Sistren, Schellen und Trommeln beizubringen. Die Mädchen hatten zusätzlich noch Übungsstunden in Tempeltanz, während die Jungen sich handwerklich als Steinmetze betätigten. Die Unterrichtsstunden bestanden jeweils aus einer Fachrichtung am Vormittag und einer anderen am Nachmittag.

      Während der Mittagszeit, der Zeit des Gebetes im Tempel, saßen wir still in unseren Kammern. Die Lehrtätigkeit der Diener des Ptah ging bis zum frühen Abend, bis die Abendriten durchgeführt wurden.

      Der Priester, der uns Mathematik lehren sollte, hatte an der Tempelschule des Ptah studiert. Er versprach, sich dafür einzusetzen, dass wir an der Welt der Zahlen unser Vergnügen haben würden. In dieser ersten Unterrichtsstunde zwischen Mittagsruhe und den Abendriten versuchte der Gottesdiener, gelangweilten Schülern die Zahlzeichen beizubringen. Die meisten meiner Mitschüler konnten bisher weder lesen noch schreiben, und auch die Zahlen waren ihnen unbekannt.

      Da ich bereits mit dreizehn Jahren Berechnungen an der Pyramide vorgenommen hatte, langweilte ich mich und zeichnete mit meinem Pinsel eine Pyramide auf die Tonscherbe, während die anderen mühsam eine gerade Linie nach der anderen zogen, einen Bogen, eine Schleife.

      Ich war so vertieft in meine Pyramidenzeichnung, dass ich nicht bemerkte, wie der Lehrer hinter mir stehen blieb, um meine Skizze zu betrachten. Dann fuhr sein Stock auf meine Hände nieder. Mehr aus Überraschung als aus Schmerz ließ ich meinen Pinsel zu Boden fallen. Die Tintenschale kippte um, und die schwarze Tinte lief über das Schreibbrett auf meinen Knien.

      »Was tust du da?«

      »Ich zeichne.«

      »Wir haben keine Zeichenstunde, sondern Zahlenkunde. Schreib wie alle anderen auch die Zahlen eins, zehn und hundert auf deine Scherbe.«

      »Ich kann die Zahlen bereits lesen und schreiben. Bis eine Million.« Ich nahm mir eine neue Scherbe aus dem Korb vor mir, tauchte meinen Pinsel in Khais Tintenschale und begann zu malen. Ich konnte nicht sehen, was er hinter mir tat, und so verhielt ich mich still. Dreißig Augenpaare waren auf mich gerichtet.

      In diesem Augenblick schlug er mit seinem Stock zu. Er traf meinen Rücken. »Du bist hochmütig, Nefrit! Du willst im Mittelpunkt stehen. Du bist hier, um zu lernen, und nicht, um mit deinen Kenntnissen vor deinen Mitschülern anzugeben! Du verstößt gegen die achtzehnte Regel!« Seine Stimme klang laut wie der Donner der nächtlichen Gewitter über der Oase von Pihuni.

      Ich hob die Arme und fing die stärksten Schläge seines Stocks ab.

      Die Erziehungsmethode der Tempelschule, die schlechte Leistungen ignorierte, mittelmäßige Leistungen belohnte und gute Leistungen mit dem Rohrstock bestrafte, statt sie weiter zu fördern, machte mich aufsässig.

      Ich wurde oft geschlagen. Weil ich während des Mathematikunterrichts bautechnische Berechnungen vorgenommen hatte. Weil ich während des Schreibunterrichts ein Buch von Neferefre, das ich in der Bibliothek des Tempels entdeckt hatte, gelesen hatte. Weil ich während der endlosen Liturgien die Reliefs an den Tempelwänden skizziert hatte, die nicht den Regeln des Imhotep entsprachen. Der geniale Bauleiter des Djoser hatte genaue Proportionsvorschriften für das Zeichnen von Menschen und Göttern hinterlassen. Ein Quadratnetz, das auf die Wand aufgebracht wurde, diente zur Festlegung der absoluten Proportionen des menschlichen Körpers. Entsprechend dem alten Kanon maß der Mensch achtzehn Quadrate von den Fußsohlen bis zur Stirn, die Quadratgröße entsprach einer Faust oder eineindrittel Handbreiten. Davon liefen sechs Quadrate von den Füßen bis zu den Knien, weitere fünf Quadrate bis zum Gürtel, nochmals fünf Quadrate bis zu den gedrehten Schultern und drei weitere bis zum Scheitel des Dargestellten. Auch die Form der Darstellung war vorgeschrieben: Männer mit vorgestelltem Bein, Frauen im Stand, Männer mit brauner Hautfarbe, Frauen in Ocker. Der Netjer war immer größer als die anderen Dargestellten, es sei denn er stand vor den Göttern.

      Und ich wurde geschlagen, weil ich mich gegen die Schläge wehrte.

      Iya vibrierte vor Anspannung wie ein Schmetterling, der aus seinem Kokon schlüpft. »Wie kannst du nur so ruhig sein, Nefrit!«

      Die fünf dunklen Tage am Jahresende waren ereignislos und ohne Versinken der Welt in der Isfet vergangen. Die Neujahrsprozession erschien mir nach einem Jahr Aufenthalt im Ptah-Tempel wie die Flucht aus einem Gefängnis.

      Ich war alles andere als ruhig! Wie eine Blinde, die zum ersten Mal sieht, badete ich in einem Meer aus Farben: das dunkelblau schimmernde Wasser des Hapi, das satte Grün der Gartenanlagen von Mempi, das Weiß der Lotusblüten. Wie eine Verdurstende trank ich den Duft von frisch gebackenem Brot, von Ziegenkäse, gerösteten Zwiebeln, von gegrilltem Gänsefleisch und süßem Backwerk. Wie eine Gelähmte, die sich erhebt, schritt ich neben Iya durch die Straßen von Mempi.

      Ich achtete auf alles, nur nicht auf meine rituelle Schrittfolge, und Sethis strafender Blick traf mich wie der Stock des Mathematiklehrers. Ich war geblendet von den Eindrücken einer Stadt, die sich zum Neujahrsfest geschmückt hatte.

      Die Prozession bewegte sich durch die Viertel der Reichen und Vornehmen, am Hafen vorbei, durch die Gebiete der Armen. Auf der langen Straße näherten wir uns dem alten Königspalast. Ich freute mich darauf, den Platz wiederzusehen, wo mein Vater und ich vor elf Jahren zwei wundervolle Tage verbracht hatten. In diesem Augenblick war ich traurig, dass mein Vater mich jetzt nicht sehen konnte, inmitten der Prozession als Tempeldienerin des Ptah.

      Als wir uns dem Platz vor dem Palast näherten, nahmen die Wohlgerüche von Weihrauch und Myrrhe zu. Es duftete nach gerösteten Lotussamen, nach in Öl gebackenen Honigkuchen und anderen Leckereien. Und dann hörte ich Geflüster zwischen den Gottesdienern, die vor mir gingen. Die Priester riefen sich etwas zu, was ich nicht verstehen konnte. Worte flogen wie Vögel über mich hinweg. Was sagten sie? In dem Augenblick, als ich verstand, was sie sagten, sah ich ihn.

      Seneferu trug die Sechemti-Doppelkrone, einen mit Lapislazuli und Türkis bestickten Halskragen, darüber ein Amulett in Form eines Goldhorus und einen weißen Leinenschurz, der seine Beine eng umschloss. Seine Füße waren mit goldenen Sandalen bekleidet. Er war nun einunddreißig Jahre alt, aber als Gott war er unsterblich: Wie ein Götterbild saß er unbeweglich auf seinem Thron, die Hände in der traditionellen Haltung mit Heqat und Nekhakha, Krummstab und Wedel. Seine dunklen Augen waren mit Goldstaub geschminkt – sie blickten in die Ferne jenseits des Horizontes. Wie schön er war!

      Neben dem König saß die Große Königliche Gemahlin, Hotephores, eine junge Frau von zierlicher Statur und großer Anmut. Sie trug ein Gewand, das ihre Brüste freiließ, und einen Schmuckkragen, ganz mit

Скачать книгу