Die Baumeisterin. Barbara Goldstein
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Zum ersten Mal war ich in einer Stadt.
Ich war überwältigt von Mempi, das von Horizont zu Horizont zu reichen schien. Manch vornehme Residenz mit ihren ummauerten Gärten mit blühenden Oleanderbüschen und Granatapfelbäumen war größer als Dedes Gemüsefeld, ja sogar größer als unser Dorf. Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich Häuser mit zwei und drei Stockwerken. Stundenlang liefen wir die gepflasterten Straßen entlang, lauschten auf das Geräusch der vielen Menschen in dieser Stadt, das wie das Raunen eines Baches inmitten des grünen Fruchtlandes klang, sogen gierig den Duft von Lotusblüten, Zitronen, frischem Gerstenbrot und gebratener Gans ein und staunten über die vielen Brunnen mit kühlem, fließendem Wasser, die Gärten mit Sykomoren, blühenden Oleanderbüschen und Granatapfelbäumen und die weiß verputzten Mauern der Villen.
Mempi war eine Stadt voller Wunder! Und doch: In jenem Jahr war Mempi nur die Alte Hauptstadt von Kemet, denn der König residierte in der Residenz von Pihuni, der Neuen Hauptstadt.
Ein verführerischer Duft von geröstetem Lotussamen stieg mir in die Nase. Ich hatte Hunger – unsere Vorräte waren von der langen Reise den Fluss hinab aufgebraucht –, und so führte mich mein Vater zum Markt in der Nähe des Hafens.
Feldbauern und Obsthändler hatten ihre Früchte auf bunten Tüchern ausgebreitet: Melonen, Granatäpfel, Guaven und Nüsse, aber auch Bohnen, Erbsen, Zwiebeln und Spinat. Ein paar Schritte weiter wurden geschlachtete Enten, Pelikane und ausgenommene Wachteln verkauft.
Ich zog meinen Vater hinter mir her zum Stand eines Fischverkäufers: »Sieh mal, Dede: Hier werden sogar die Fische einbalsamiert!«, rief ich vergnügt.
Mein Vater lachte und kaufte mir den Tonfisch. Für den Kupfer-Deben, den der Händler auf die Waage legte, erhielt er einen Fisch und drei kleinere Barren.
Der Tonfisch war eine Hülle aus getrocknetem, hartem Flussschlamm, in der ein gesalzener Fisch steckte. Ich zerbrach das obere Ende und erschrak, als mir ein Fisch entgegenblickte.
Mein Vater zog den Kopf mitsamt den Gräten heraus.
Der Fisch schmeckte herrlich – noch nie zuvor hatte ich so etwas gegessen. Ich aß ihn auf und beachtete gar nicht, dass mein Vater sich kein Stück davon nahm.
Der Duft von frischem Gerstenbrot lockte uns zu den Bäckern. Sie buken ihre Brote in flachen Tonschalen hinter gemauerten Lehmziegeltischen in der Asche ihrer Feuer. Wie ich später erfahren sollte, nannte man Kemet in den Fremdländern das Land der Brotesser.
Vor jedem der Lehmziegelstände blieb ich stehen und betrachtete die Formen der Laibe: Manche waren als Ankh-Zeichen gebacken, als Zeichen des ewigen Lebens. Andere hatten die Form von Fischen, Nilpferden oder Vögeln. Am nächsten Backstand gab es heißes, frisches Fladenbrot mit Ziegenquark und frischen Kräutern. Mein Vater kaufte für jeden von uns einen Fladen, den wir noch heiß verspeisten. Wie köstlich es schmeckte!
Auf der anderen Seite des Marktes sahen wir Händler, die duftige Leinenkleider und große weiße Tücher für Lendenschurze verkauften. Noch nie hatte ich so zarten, durchscheinenden Stoff gesehen, weißer als die Wolken am Sommerhimmel.
Der Händler sprach uns an: »Ihr wollt doch zur Krönung des Netjer, des Göttlichen, sicherlich nicht diese Fetzen tragen …« Er deutete auf unsere durch die lange Reise nicht mehr weiße Kleidung.
»Wann wird der König den Thron besteigen?«, fragte mein Vater.
»Seneferu wird morgen im Tempel des Ptah gekrönt. Denn morgen ist Neumond.« Er deutete zum Himmel empor: Der Mondgott Chons war nur noch eine schmale Sichel über dem Horizont. »Und seit dem Aufbruch seines Vaters Huni in den Schönen Westen sind siebzig Tage vergangen ...«
Mein Vater zog mich weiter zu den Zuckerbäckern, die aus Mehl, Milch und Honig süße Kuchen herstellten. Als ich von dem Gebäck probieren wollte, nahm er meine Hand. »Es ist genug jetzt! Wir müssen sparsam sein, denn wir haben nicht viel Kupfer.«
Ich kannte den Wert des Metalls noch nicht, das er bei sich trug, aber er gab mir zu verstehen, dass durch die Schiffsreise von unserem Dorf bei der Stadt Tis nach Mempi mehr als die Hälfte unserer Ersparnisse aufgebraucht worden seien. Und wenn wir nicht in einigen Tagen hungern wollten, müssten wir uns auf das Notwendige beschränken. Er war traurig, dass er mir meinen Wunsch abschlagen musste.
Aber wenn bereits über die Hälfte des Kupfers ausgegeben war, dann blieb nicht mehr genug, um mit dem Schiff nach Hause zurückzufahren!
Schweigend gingen wir über den Markt und betrachteten die Verkaufsstände der Handwerker. Kinderspielzeug wurde angeboten, kleine Puppen mit beweglichen Köpfen, geschnitzte Tiere, Bauklötze aus getrocknetem Schlamm, mit denen kleine Bauwerke errichtet werden konnten, Kreisel aus Holz und Bälle aus genähtem Leder. Fasziniert blieb ich an jedem Stand stehen und besah mir alles genau: Dinge, die ich nie besessen hatte und niemals besitzen würde.
Wir waren arm! Diese Erkenntnis schmerzte: Ich würde mir all diese schönen Dinge niemals leisten können. In unserem Dorf war mein Vater ein angesehener Bewohner. Er besaß ein Gemüsefeld mit Zwiebeln, Bohnen und Spinat. Doch hier, in der Stadt, hatte ich das Gefühl, nichts wert zu sein.
»Was bedeutet es, arm zu sein?«, fragte ich ihn.
»Es bedeutet nichts.«
Die Mehrdeutigkeit seiner Worte entging mir nicht.
»Heute beginnt eine neue Zeitrechnung!«, erklärte mir mein Vater am nächsten Morgen. »Wir schreiben nun nicht mehr das Jahr vierundzwanzig nach Hunis Thronbesteigung, sondern das erste Regierungsjahr Seneferus.«
Der Ptah-Tempel war leicht zu finden: Wir wurden dorthin geschoben. Tausende Menschen drängten zur Krönung des neuen Königs.
Vor dem großen Pylon des Tempels ließen wir uns im Staub der Straße nieder und aßen unsere Morgenmahlzeit: Brot, Käse und Zwiebeln.
Auf der Fassade des Tempels sah ich das Relief eines Mannes in einem bis zum Hals reichenden Wickelgewand, die Arme über der Brust gekreuzt, in den Händen ein langes Zepter, auf dem Kopf eine eng anliegende blaue Kappe. Ihm gegenüber stand ein Mann mit Löwenschurz und blauer Krone, Opferschalen in den Händen. Ich fragte meinen Vater, wer dort dargestellt war.
»Der Gott Ptah, der in diesem Tempel wohnt, und Netjer.«
»Welcher Netjer?«, fragte ich.
»Im Tempel steht jeder Lebendige Gott Ptah gegenüber und opfert ihm.«
Unruhe wehte über den Platz. Bewaffnete marschierten in zwei Reihen bis zum Tempeltor und bildeten eine Gasse. Sie trugen Rüstungen aus Metall über ihren Lendenschurzen und Helme mit Straußenfederbüschen. Bewaffnet waren sie mit kurzen Schwertern, Speeren und Schilden aus bemaltem Leder.
Die Spannung in der Menge stieg.
Dann öffneten sich die riesigen Bronzetore des Tempels und gaben den Blick in den großen Sonnenhof frei. Die Tempelpriester hatten die glühenden Kohlen in den großen Bronzebecken im Tempelhof geschürt. Weihrauchschwaden raubten mir den Atem.
»Die Priester des Ptah bringen einen geschlachteten Stier als Brandopfer«, erklärte mein Vater, als ich von fern Musik hören konnte.
Pauken, Sistren und Flöten! Der König nahte!
Die