Die Baumeisterin. Barbara Goldstein
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»In unserem Dorf habe ich unsere Hütte aus Schlammziegeln und Palmwedeln gebaut.«
»Ich meinte: Verstehst du etwas von Architektur? Hast du in der Tempelschule studiert?«
»Ich bin nie zur Schule gegangen.«
»Hast du schon als Steinmetz gearbeitet? Oder als Farbkünstler?« Als mein Vater den Kopf schüttelte, sagte er: »Wir benötigen dringend Steinschlepper, die die Holzschlitten die Rampe hinaufziehen.«
Mein Vater nickte wortlos – mit der Demut eines Menschen, der nichts gelernt hat.
Der Sonnenpriester nahm die Tonscherbe und schrieb den Namen Kamose mit einem feinen Pinsel aus gespleißtem Papyrusrohr und schwarzer Tinte in eine Liste: einen Korb für K, eine Eule für M und einen Türriegel für S. Und dann malte er schwungvoll einen gebeugten Arm mit Geißel auf den Papyrus, das Zeichen für »stark sein.«
»Und wer bist du?« Der Priester sah mich an.
»Ich bin Nefrit«, erklärte ich.
Der Gottesdiener des Re sah uns beide skeptisch an. »Dies ist kein Platz für Kinder! Warum hast du sie hergebracht, Kamose?«
»Ich kann sie sonst nirgendwo lassen. Meine Frau ist vor Jahren gestorben.«
Aperire seufzte: »Nefrit, die Schöne, die Vollkommene. Also gut: Nefrit.« Er schrieb meinen Namen auf die Liste: Wasser für N, die Viper für F, den Mund für R, das Brot für T.
Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich meinen Namen auf einem Stück Papyrus lesen konnte. Es war so, als ob ich von nun an existieren würde.
»Ihr habt Glück: Unten am Fluss sind noch Hütten frei. Die Masse der ungelernten Arbeiter wird erst in den nächsten Tagen aus dem Unteren Land eintreffen, wo die Flut noch steigt.«
»Wie viele Arbeiter werden denn kommen?«, fragte mein Vater.
»Ich schätze, es werden dieses Jahr zwanzigtausend werden. Bereits jetzt haben wir fünftausend geschulte Steinbrecher und Steinmetze und Transportarbeiter und etwa noch einmal so viele Männer und Frauen, die sich um die Verpflegung der Arbeiter kümmern.«
Unsere Hütte war ein wenig größer als die in unserem Dorf. Während mein Vater ein großes Tuch vor den Eingang der Hütte hängte und unsere Schlafmatten auf dem gestampften Lehmboden ausbreitete, maß ich den Innenraum mit meinen Schritten aus: sechs Ellen breit und acht Ellen lang. Die Wände bestanden wie alle Häuser im Land Kemet aus Schlammziegeln.
»Ich weiß nicht, ob es richtig war, dich hierher zu bringen, Nefrit«, sagte mein Vater leise. »Aber wenn wir das Feld behalten hätten, wären wir verhungert. Im letzten Jahr hatten wir wegen der großen Trockenheit keine gute Ernte, und durch den Verkauf des Feldes konnte ich meine Schulden zurückbezahlen. Das Kupfer ist jetzt beinahe aufgebraucht.
Die Arbeit an der Pyramide wird hart sein. An jedem Tag während der neuntägigen Woche werde ich arbeiten und erst am zehnten Tag frei haben. Drei Wochen pro Mond, drei Jahreszeiten pro Jahr: während der Flut, der Aussaat und der Zeit der Ernte. Die anderen Männer arbeiten nur während des Hochwassers an der Pyramide und verlassen die Baustelle wieder, wenn die Felder neu vermessen sind, wenn das Getreide ausgesät oder das Gemüse gepflanzt wird. Ich werde das ganze Jahr über diese Arbeit verrichten. Aber dein Leben wird noch viel härter, Nefrit. Ich werde gleich nach Sonnenaufgang die Hütte verlassen und erst bei Sonnenuntergang zurückkehren. Dann werde ich müde sein und schlafen. Das bedeutet für dich, dass du den ganzen Tag über allein sein wirst. Ich kann nicht mit dir spielen, und du kannst mich nicht besuchen, denn das ist zu gefährlich.«
Während mein Vater in den Steinbrüchen seine Arbeit aufnahm, streifte ich durch das Lager der Arbeiter. Eine Zahl ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Zwanzigtausend. Wie viel bei allen Göttern waren zwanzigtausend Menschen? Waren das alle Bewohner des Landes Kemet?
Zwanzigtausend Menschen, die alle schlafen, essen und trinken wollten. Ich saß am Fluss und begann die Hütten aus Schlammziegeln und Palmblättern zu zählen. Als ich bis hundert gezählt hatte, begann ich von vorn, immer wieder, und ich hatte noch längst nicht alle Hütten gezählt.
Meine Frage beschäftigte mich so, dass ich den Priester Aperire in seinem Zelt aufsuchte. »Ich will dich etwas fragen! Wie viel sind zwanzigtausend Menschen?«
Aperire legte seinen Pinsel zur Seite. »Wie alt bist du, Nefrit?«
»Ich bin fünf Jahre alt.«
Er winkte mich zu sich, und ich setzte mich in Schreiberhaltung neben ihn.
Mit der Schreibbinse malte er einen senkrechten Strich auf den Papyrus: »Eins.« Dann zog er daneben noch einen Strich: »Zwei.« Dann einen weiteren, und an seiner Stelle sagte ich: »Drei.« Unter zehn gerade Striche malte er einen Bogen wie ein Tor: »Das ist das Zeichen für zehn.« Zwei Bögen: »Zwanzig!« Unter die beiden Bögen zeichnete er eine Schleife: »Das ist das Zeichen für hundert. Ein solches Symbol ist genauso viel wie hundert Striche oder zehn Bögen.« Er schrieb ein kompliziertes Zeichen auf den Papyrus: »Tausend. Zehn Schleifen.« Dann malte er einen erhobenen Finger: »Zehntausend. Zehn von diesen Zeichen hier. Oder hundert von diesen hier. Oder tausend von diesen hier.« Dann schrieb er zwei erhobene Finger nebeneinander: »Zwanzigtausend. So viele Menschen arbeiten an der Pyramide.«
»Sind das alle Menschen im Land Kemet?«
»Nein, die letzte Steuerzählung ergab fast zwei Millionen. Hundertmal mehr als Arbeiter hier auf der Baustelle.«
Nun setzte ich meine Erkundung des Lagers fort: Im Hafen legten die großen Lastbarken an, die Kupfer aus dem Sinai auf die Baustelle brachten. Die Werkzeugmacher schmolzen in ihren Schmieden, die nicht weit entfernt waren, das Kupfer ein und fertigten Bohrer und Meißel für die Steinbrucharbeiter. Aus der stromaufwärts gelegenen Stadt Jebu trafen Schiffsladungen voller Säcke mit Quarzsand ein, der zum Schleifen von Sandsteinquadern benötigt wurde.
Vom Hafen aus führte eine Transportstraße zu den verschiedenen Werkstätten sowie zur großen Rampe am Fuß der Pyramide. Hinter der Baurampe waren große Brennöfen errichtet worden. Dort wurden Gefäße für die Bauarbeiter gefertigt: Bierkrüge, Schüsseln und Teller aus Ton. In der Nähe der Steinbrüche auf der anderen Seite der Baustelle fand ich mehrere Werkstätten, in denen die geschlagenen Steinquader behauen und geglättet wurden. Im weichen Wüstensand lagen viele scharfkantige Steinbruchstücke: Ich trug keine Sandalen, und so machte ich einen großen Bogen um dieses Gebiet. Hinter der Pyramide befanden sich die Lager für die Lebensmittel: Obst, Gemüse, Gerstenmehl und Fleisch – jeden Tag gab es für die Arbeiter der Pyramide eine Portion Fleisch. Kühe, Schafe und Ziegen grasten auf den durch Kanäle bewässerten Weiden.
Der Duft von heißem Gerstenbrot führte mich zu den Bäckereien, die direkt am Fluss lagen. Von der Bäckerin Satamun ließ ich mir zeigen, wie Brotteig gemischt und geknetet und wie Brot gebacken wurde. Sie arbeitete an einem langen Tisch aus aufgemauerten Bruchsteinen. Hinter ihr brannte ein großes Kohlefeuer, in dem das Tongeschirr zum Backen der Brote erhitzt wurde. Dann legte Satamun die Fladen in die unteren Teller des Brotgeschirrs und bedeckte diese mit den im Feuer erhitzten Tondeckeln. Die Gefäße wurden in den Kohlen vergraben, bis die Brote fertig waren.
»Wo kommst du her?«, fragte ich Satamun.
»Ich stamme aus einem kleinen Fischerdorf am Meer.«
Das Meer! Der Barkenkapitän, der