Die Baumeisterin. Barbara Goldstein
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Satamun lächelte. »Das Meer ist im Norden. Fünf oder sechs Tage auf dem Schiff den Hapi hinunter.«
»Ich komme auch von weit her, aber aus dem Süden«, erklärte ich ihr. »Warum bist du hier? Hast du keine Arbeit dort, wo du herkommst?«
»Doch, ich hatte Arbeit, aber ich bin hierher gekommen, weil ich dem König diese Pyramide bauen möchte.«
»Aber du baust doch gar nicht. Du backst Brote.«
»Ich kann keine Steine schlagen oder Schlitten ziehen. Aber ich kann Brot für die Arbeiter backen. Es ist eine Ehre, für den Lebendigen Gott arbeiten zu dürfen. Er wird keine Schwierigkeiten haben, Arbeitskräfte zu finden. Die meisten Arbeiter sind nur während der Flut hier, weil sie auf den überschwemmten Feldern ohnehin nicht arbeiten können. Sie entgehen den Seuchen und der Arbeitslosigkeit in ihren Dörfern, werden für ihre Arbeit an der Pyramide gut entlohnt und ihre Versorgung mit Brot, Fleisch und Gemüse ist gesichert. Wenn sie in ihre Dörfer zurückkehren, sind sie Helden, und abends am Feuer erzählen sie immer wieder, wie sie die Pyramide mit ihren Händen gebaut haben. Und jeden Abend wird die Pyramide in ihren Erzählungen höher und höher.«
»Aber du bist eine Frau. dir werden sie nicht zuhören, wenn du von deiner Arbeit sprichst.«
»Gut beobachtet, kleine Nefrit! Ich bin eine Frau. Und ich werde dir ein Geheimnis verraten: Eine Frau kann härter und ausdauernder arbeiten als jeder Mann.«
Am nächsten Morgen stand mein Vater schon vor den ersten Strahlen des Sonnengottes Re auf, ging hinunter zum Fluss, um sich zu waschen, und kam dann mit einem Brotfladen und frischen süßen Zwiebeln zurück. Wir brachen das Brot gemeinsam, bevor Re den Horizont überstieg, dann verließ er mich.
An diesem Tag erschienen viele neue Arbeiter aus dem Unteren Land. Am Tisch von Aperires Schreiber am Ende der Rampe bildete sich eine lange Reihe, wie Glasperlen auf einer Schnur. Es waren so viele, dass Aperire selbst zur Schreibbinse griff. Ich saß auf einem zerbrochenen Steinschlitten und zählte die neuen Arbeiter. Zuerst malte ich Striche und Bögen in den Sand, doch dann löschte ich die Zeichen aus und malte Schleifen. Am Abend waren es zwölf Schleifen, zwei Bögen und sieben Striche.
Als Aperire sein Schreiberzelt verlassen wollte, um die Abendmahlzeit einzunehmen, sah er mich die Zeichen im Sand zählen.
»Was zählst du, Nefrit? Eintausendzweihundertsiebenundzwanzig Sandkörner?«
»Keine Sandkörner, sondern neue Arbeiter.« Während ich sprach, löschte ich die Zahlzeichen im Sand mit meinem Stock aus.
»Du kannst schreiben, Nefrit?«, fragte er erstaunt. »Hast du diese Zahlzeichen in den Sand geschrieben?«
»Du hast sie mich doch gelehrt: gestern.«
»Du bist ein wirklich erstaunliches Kind, Nefrit. Wenn du Lust hast, kannst du mir morgen helfen. Ich habe eine Aufgabe für dich.«
»Warum schreibst du all die Namen auf?«, fragte ich Aperire, als ich ihm eine neue Papyrusrolle reichte. Ich hockte neben ihm und sah ihm beim Schreiben zu.
»Wir benutzen die Listen, um festzustellen, wer seinen Lohn schon erhalten hat und wer noch nicht. Hier in dieser Liste stehen die Namen der Arbeiter und dahinter die Menge des Kupfers, die Zahl der Kleidungsstücke, die Salben und das Natron, das sie als Lohn bekommen haben.«
»Ich will schreiben lernen«, verkündete ich.
Aperire lächelte: »Deshalb bist du hier, Nefrit.«
Ein Arbeiter hieß Kamose, wie mein Vater: Korb – Eule – Türriegel. Der nächste hieß Meri: Eule – Mund. Die Arbeiter kamen aus dem ganzen Land und sprachen verschiedene Dialekte. Ich lernte von Aperire, dass auch mein Name unterschiedlich ausgesprochen wurde: Nofret, Neferet, Nefrit. Geschrieben wurde er aber jedes Mal gleich: N F R T.
»Es ist seltsam, dass dein Name Nefrit ist«, sinnierte Aperire. »Der Name entstammt einem Dialekt des Unteren Landes. Du aber kommst aus der Gegend von Tis im Süden – im Oberen Land. Geheimnisvolle Nefrit!«
Als mein Vater an diesem Abend nach Hause kam, saß ich vor der Hütte und malte mit dem Stock die Schriftzeichen meines Namens in den Sand. Er trat hinter mich und sah mir beim Schreiben zu.
»Was malst du da?«, fragte er.
»Ich schreibe«, korrigierte ich ihn.
Er setzte sich neben mich und begann zu essen. Fladenbrot mit Rindfleisch und Erbsenpüree. »Was schreibst du?«
»Kannst du das denn nicht lesen?«, fragte ich ihn.
»Nein, Nefrit, ich kann nicht lesen.« Er sah mich nicht an, denn es war ihm wohl peinlich.
Es tat mir Leid, dass ich ihm wehgetan hatte. Ich hatte nicht gewusst, dass er nicht lesen und schreiben konnte.
»Kamose schreibt sich so.« Ich kritzelte die Zeichen in den Sand, die er sich durch einen langen Blick einprägte. »Und das hier heißt Dede.« Nun malte ich zwei Hände in den Sand. Die behütenden Hände eines gütigen, liebevollen Vaters.
»Beweg dich leiser, Nefrit! Du machst einen Krach, dass uns die Arbeiter aus fünfzig Schritten Entfernung hören können!«, fauchte Djedef, als ich auf dem steilen Felsabbruch einen lockeren Stein lostrat. »Wenn wir erwischt werden, werden wir geschlagen.«
Djedef war ein Jahr älter als ich und der Sohn eines Schlittenführers, der vor wenigen Monden eine Hütte auf der anderen Seite der Baustelle bezogen hatte. Djedefs Mutter hatte sich von seinem Vater scheiden lassen. Sein Vater war wegen der Schulden, die er wegen der Missernte des letzten Jahres hatte, gezwungen gewesen, die Arbeit an der Pyramide anzunehmen. Djedef und ich hatten schnell Freundschaft geschlossen und spielten oft gemeinsam am Rand der Baustelle, deren Betreten uns verboten war. Dabei brachte doch das Herumklettern am Pyramidenfundament am meisten Spaß!
An diesem Tag hatten Djedef und ich uns von Westen an die Steinbrüche herangeschlichen.
»Mein Vater hat mich noch nie geschlagen!«, protestierte ich und kroch vorwärts, um über den Rand des Felsens zu den Arbeitern hinabzusehen.
Im Steinbruch arbeiteten hundert Steinbrecher mit Pickel und Schlegel aus Stein sowie mit Meißeln aus Kupfer, mit denen sich der Kalkstein formen ließ. Der helle Kalkstein war mit roten Schnüren in Rasterlinien eingeteilt. Jeweils zwei Gruppen von Arbeitern drangen entlang der Linien an allen Seiten des freizulegenden Steinblocks in das Gestein ein, bis sie die bereits geschlagene senkrechte Trennung auf der Rückseite des Steinquaders erreicht hatten. Dann wurde die Unterseite mit Hebeln und befeuchteten Holzkanten, die aufquollen und sich ausdehnten, von unten herausgebrochen. Auf diese Weise ernteten die Arbeiter den Steinbruch von oben nach unten ab und drangen mit jedem neuen Steinquader tiefer in das Plateau unterhalb der Pyramide ein.
»Die Arbeiter müssen nach einem genauen Zeitplan arbeiten. Nie macht eine ganze Gruppe Pause, um Wasser zu trinken«, flüsterte ich und deutete auf eine Gruppe Steinschlepper, die gerade einen großen Quader auf einen Holzschlitten kippten. Ein Aufseher eilte herbei und markierte den Stein mit roter Farbe.
Um die Arbeitsleistung zu kontrollieren, musste jeweils nach dem Ernten eines Steinquaders die Sonnenstunde auf einer Tonscherbe notiert werden, die später ins Archiv des Lagers gebracht wurde. Jeder gebrochene Stein