Homo sapiens movere ~ gezähmt. R. R. Alval
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Briony blieb jedoch die Ruhe in Person, bugsierte Alisa zum Auto, winkte ihrem Mann kurz zu und fuhr ihre verletzte Freundin ins nächste Krankenhaus.
Alisa war froh, dass Briony keine Zeit hatte, um den ganzen Prozess des Wartens und der Untersuchung bei ihr zu sein. „Sobald du fertig bist oder irgendwas brauchst, rufst du mich bitte an. Ok?“ Alisa nickte. So musste sie keine Ausrede finden, warum sie lieber allein ins Behandlungszimmer gehen wollte. Briony hielt sie für einen Menschen. Und wenn es nach Alisa ginge, sollte das auch so bleiben. Sie hatte keine Angst, dass Briony nicht aufgeschlossen war. Sie war immerhin mit einem Vampir verheiratet. Alisa fragte sich, ob die beiden Kinder bekommen konnten. Sie hatte ihre Freundin nie danach gefragt. Da Briony ein Mensch war und Roman Bingham ganz offensichtlich nicht – Vampire stammten immerhin von den Urdämonen ab – bezweifelte sie eine mögliche, von der Natur vorgesehene, Elternschaft der beiden.
Bei Menschen und Gestaltwandlern sah das Ganze schon wieder anders aus. Alisa wusste das. Sie war schließlich aus solch einer Verbindung hervorgegangen. Sogar in Brionys Verwandtschaft gab es zwei Kinder, die mit einer ähnlich vermischten DNA aufwuchsen wie sie. Mit anderen Fähigkeiten und einer anderen Wergestalt.
Alisa wusste, dass sie einzigartig war.
Besonders einzigartig darin, wie der hopsende Elefant im Porzellanladen zu wirken.
Zwei linke Hände und zwei linke Füße, obwohl sie anatomisch korrekt geformt waren. Oft wunderte sie sich, wie sie hatten 24 werden können, ohne sich den Hals zu brechen. Vielleicht lag es auch nur an ihrem guten Heilfleisch. Vielleicht auch Glück im Unglück, wobei sie letzteres magisch anzog. Sinnbildlich, denn es war keine ihrer Fähigkeiten. Selbst wenn ihre Eltern das mehrmals in Erwägung gezogen hatten.
Ihre Eltern…
Wie sehr sie sie vermisste.
Wie sehr sie das Rudel vermisste.
Doch Alisa hatte fortgehen müssen, um nicht mehr an den grausigen Unfall erinnert zu werden. Um nicht mehr allein in dem Haus zu sein, das mit Erinnerungen an glückliche Zeiten gefüllt war. An Zeiten vor dem Unfall, bei dem ihre Eltern und drei weitere Rudelmitglieder ums Leben gekommen waren.
Schnell schüttelte sie die aufkeimenden Erinnerungen ab. Es war besser, diese in einer dicken Stahltruhe zu verschließen. Gesichert mit undurchdringlichen Schlössern und massiven Stahlketten, bis sie irgendwann – in hundert Jahren oder so – besser mit ihrem Verlust würde umgehen können.
Das Haus hatte Alisa nicht verkauft. Noch nicht. Denn dann würde sie ausräumen müssen, wozu sie sich nach wie vor nicht durchringen konnte. Somit fehlte ihr ein finanzielles Polster. Der von ihren Eltern angesparte Betrag, den sie zu ihrem 18. Geburtstag von ihnen bekommen hatte, war längst aufgebraucht: für den Führerschein, ihr Auto, das Einrichten der Wohnung in dieser Stadt. Demzufolge war Alisa froh, für Briony und Roman Bingham arbeiten zu können. Auch wenn sie sich momentan in der Ausbildung befand, war das nach dem letzten Desaster in einer Handwerksfirma ein großer Fortschritt. Freilich hätte sie auch studieren können. Alisa war nicht dumm. Doch das wiederum setzte eine finanzielle Freiheit voraus, die sie nicht besaß.
Natürlich könnte sie einen reichen Mann heiraten und sich aushalten lassen. Es würde ihr nicht gefallen. Ganz zu schweigen davon, dass derart reiche Knacker dünn gesät waren, noch dünner aufgegangen und sich unter Garantie nicht mit genetischem Mischmasch wie ihr abgeben würden.
In ihrer momentanen Erscheinung war sie ungeschickt – das war nicht zu leugnen.
In ihrer anderen…
Das erfuhr besser niemand.
Die Wergestalt, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte, allein war gefährlich. Vermischt mit den Genen ihres Vaters war Alisa jedoch eine brandgefährliche Waffe. Und das war wörtlich zu nehmen! In dieser von ihr unterdrückten Seite war sie alles andere als tollpatschig. Nicht einmal ihre Eltern hatten es gewusst. Mit dem Einsetzen der Pubertät und damit den ersten Anzeichen ihrer Fähigkeiten hatte sie einen folgenschweren Fehler begangen. Niemand wusste davon. Doch für Alisa war es nur logisch gewesen, einen Schlussstrich zu ziehen. Ihre Eltern hatte sie angelogen. Hatte ihnen erklärt, dass sie sich nicht mehr wandeln konnte. Nie hatte sie erwähnt oder ihnen gar gezeigt, was ihr die väterlichen Gene vererbt hatten. Alisas Eltern hatten vielleicht etwas geahnt, ihre Aussage jedoch nie in Zweifel gezogen. Vermutlich weil sie wussten, dass es dann nur eine Frage der Zeit wäre, bis die Behörden davon erfuhren.
Denn auch wenn sie zum Rudel gehörte, musste ihre Gabe als movere bei den menschlichen Behörden verzeichnet werden. Theoretisch. Reine Vorsicht, erklärten die Obrigkeiten. Doch ihr war aufgefallen, dass einige der wirklich gefährlichen movere ab und an verschwanden.
So wie ihr Vater.
Immer öfter fragte sie sich, ob es tatsächlich nur ein Unfall gewesen oder ob nachgeholfen worden war. Bisher hatte sie nämlich gedacht, dass die potentiell interessanten movere für die Regierung abgeworben wurden. Sie selbst hatte ihren Vater nie in Aktion gesehen. Sie ahnte jedoch, wozu er fähig gewesen war. Ihre Gabe verdankte sie schließlich ihm. Obwohl sie vermutete, dass ihre noch einen Tick aggressiver und weitreichender war.
Früher war man in dem Irrglauben gewesen, dass beide Elternteile das movere-Gen weitergaben. Das mochte auf rein menschliche Beziehungen zutreffen, nicht aber auf gemischte. Sie und Samantha Garus Kinder waren das beste Beispiel dafür.
Seufzend und mit zusammen gebissenen Zähnen hielt Alisa ihr schmerzendes Handgelenk fest und wartete. Sie hasste Krankenhäuser! Aber da sie im Moment zu weit von ihrem Rudel entfernt war und sie nicht die Absicht hegte, sich einem heimischen anzuschließen, kam sie um die Versorgung in einem Krankenhaus nicht herum. Verflixt und zugenäht! War sie vor ihrer Pubertät auch dermaßen linkisch gewesen? Sie konnte sich nicht erinnern. Vermutlich hing es damit zusammen, dass sie einen Teil ihrer Persönlichkeit unter permanentem Verschluss hielt. Aber besser so, als wenn sie ihren Genpool von den Zügeln ließ.
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Peinlich! Alisa fühlte sich alles andere als todschick mit dem pinken Gips. Obwohl die Schwester, die ihr diesen angelegt hatte, exakt das versichert hatte. Alisa verdrehte die Augen. Gott sei Dank war das linke Handgelenk betroffen, so dass sie weiterhin arbeiten konnte. Sonst würde Edgar einen cholerischen Anfall erleiden. Natürlich könnte er den auch bekommen, wenn sie sich mit ihrem Gips noch ungeschickter anstellte als sowieso schon. Mehr als einmal hatte er ihr stöhnend erklärt, dass sie ihn eines schönen Tages ins Grab bringen würde. Edgar war nicht mehr der jüngste Mann. Sollte er also tatsächlich in nächster Zeit sterben, würde sie sich darüber bis in alle Ewigkeit den Kopf zerbrechen.
Leider wusste Alisa nur zu gut, dass sie zwei linke Hände besaß. Aber die Gefahr, ihre Tollpatschigkeit zu minimieren, in dem sie sich ihrem ganzen Ich öffnete, war ihr zu hoch. Sie würde dann wahrscheinlich trotzdem keine gute Haushaltskraft abgeben.
Was würde Alisa dafür geben, nur einen einzigen Tag ohne Desaster zu erleben. Ohne dass etwas zu Bruch ging; ohne dass sie sich bei banalen Tätigkeiten selbst verletzte. Mit Sicherheit war das der Preis für die selbstauferlegte Sicherheitsbegrenzung ihrer Person. Kein Wunder, dass ihre Selbstachtung irgendwo in