Eine Studentin. Peter Schmidt
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Eine Studentin - Peter Schmidt страница 3
„Gern, wenn sie nicht zu intim ist?“
„Sie lehren als Deutscher an einer deutschen Universität, aber Ihr Name klingt eher italienisch?“
„Oh, deswegen bin ich noch keineswegs italienischer Abstammung“, erklärte Hollando lächelnd. „Es scheint, dass einer meiner Großväter in ferner Vergangenheit uns diesen Namen vererbt hat. Ich spreche übrigens weder Italienisch noch war ich jemals in Italien. Meine verstorbene Mutter – eine Deutsche – muss dann wohl geglaubt haben, dass Cesare gut zu unserem italienischen Nachnamen passe.“
„Und könnten Sie uns“ – dabei blickte sich der Journalist fragend im Saal um – „eine auch für Laien verständliche Erläuterung geben, was im Kern Ihren Fortschritt in der Hirnforschung ausmacht?“
„Gern, dazu sind wir ja heute hier zusammengekommen?
Wie wir alle nur zu oft leidvoll erfahren müssen, ist es vor allem der Schmerz, der uns zu schaffen macht, Schmerz im weitesten Sinne verstanden. Denn schmerzvoll sind auch Trauer, Depression, Traumata. Lange Zeit glaubte man, für gewöhnlichen Schmerz seien allein die Schmerzrezeptoren des Körpers zuständig.
Meine Entdeckung besteht nun darin, dass es so etwas wie einen genetischen Schalter im Gehirn gibt, den sogenannten Aversio-Genetic-Toggle-Switch –, der sowohl für körperliche Schmerzen wie auch das ganze Spektrum seelischer Belastungen zuständig ist. Lassen Sie mich dazu kurz ein wenig in Fachchinesisch verfallen …
Schmerzrezeptoren, Mandelkerne, unser gesamtes Gefühlssystem, werden ohne einen solchen genetischen Schalter gar nicht aktiv. Es bietet sich also an, ihn durch gezielte Beeinflussung ein- oder abzuschalten. Versuche im Research Department of Neuroscience (RDN) – so der Name meines Instituts – sind äußerst vielversprechend.“
„Was dann wohl eine der preiswürdigsten Entdeckungen in der Geschichte des Nobelpreises wäre?
Handelt es sich bei Ihrer Entdeckung um einen ähnlichen Mechanismus wie beim sogenannten Dream-Gen, das kanadische Forscher unlängst bei Mäusen gefunden haben?“
„Mit dem entscheidenden Unterschied, dass dabei lediglich ein Gen entfernt wurde, wodurch es zu erhöhter Dynorphin-Produktion kam. Dynorphin ist ein vom Körper erzeugtes Opioid, vergleichbar dem Opium. Es wurde also nicht der eigentliche Schmerz ein- oder abgeschaltet, sondern lediglich ein Betäubungsmittel aktiviert.“
„Nehmen Sie mit Ihrer Entdeckung den Schmerzmittelproduzenten nicht die Geschäftsbasis?“
„In gewissem Sinne, ja. Wahrscheinlich wird die Pharmaindustrie demnächst einen Killer auf mich ansetzen, wenn ihre Geschäfte in den Keller gehen …“
„Bedeuten Ihre Forschungen, Professor Hollando, wir Menschen werden demnächst ein völlig schmerzfreies Leben führen?“
„Oh, nein …“, wehrte Hollando lächelnd ab. „Ganz ohne Schmerzen dürften wir auch in Zukunft nicht auskommen. Stellen Sie sich nur mal vor, was passiert, wenn sich Ihre volle Blase nicht mehr meldet?“
Lacher im Saal …
„Negative Gefühle werden für eine Vielzahl von Lebensvorgängen benötigt, wie Flucht und Kampf oder als Hinweis auf Erkrankungen. Und ohne Trauer würden wir uns beim Tod naher Verwandter auch nicht ganz intakt fühlen, oder?
Da halten wir es doch lieber mit der alten östlichen Weisheit: Selbst Buddha hatte Schmerzen …“
Nach Hollandos Vorlesung kehrte Carolin ohne Umweg zum Flughafen zurück.
Für die eigentliche Preisverleihung durch den schwedischen König würde es wegen des begrenzten Platzes im Konserthuset kaum freie Karten geben. Die meisten Plätze waren für ehemalige Preisträger und die Mitglieder des Nobelpreis-Komitees reserviert.
Als sie in Düsseldorf landete, stand ihr Bruder am Ausgang neben der Zolltheke und winkte ihr mit einer Zeitung zu.
Robert war überzeugter Junggeselle und gerade zum Hauptkommissar befördert worden – zur Überraschung seiner Kollegen, die geglaubt hatten es werde Paul Broder, für den es dann nur zum Stellvertreter reichte.
Nach dem Tod ihrer Eltern liebte Robert es immer noch, sich an den gedeckten Tisch zu setzen. Vielleicht war Carolin ja jetzt so etwas wie ein Mutterersatz für ihn …
So jung und schlaksig – mageres Gesicht und schelmische Augen – war es schwer, sich Robert als Kommissar vorzustellen. Aber der harmlose Schein trog. Eigentlich sah er ein wenig schwindsüchtig aus. Vielleicht, weil er zu viele Jahre in dunklen Büros verbracht hatte.
Draußen schien es, als wenn der Himmel auf die Landebahnen stürzte. Laternenmasten wackelten im Wind und von den fernen Hügeln Richtung Rhein breitete sich eine dunkle Wolkendecke aus.
„Lass uns erst mal ins Flughafen-Café gehen“, schlug Robert vor. „Bei dem Wetter bleiben wir noch im Stau stecken.“
Er bestellte wie immer nur einen Espresso.
„Sieh dir das mal an“, sagte er und reichte ihr die Zeitung. „Etwas Seltsames geht momentan in der Stadt vor. Es werden immer mehr Frauen aufgegriffen, die ihr Gedächtnis verloren haben …“
Carolin erinnerte sich, dass Robert vor ihrem Abflug eine junge Frau erwähnt hatte, die nur mit einem blauen Unterrock und dünner Bluse bekleidet am Flussufer unterhalb der Universität aufgegriffen worden war – bei Frost, während auf dem Wasser Eisschollen trieben. Ein Polizeibeamter hatte sie beim morgendlichen Lauftraining entdeckt.
„Schon der dritte Fall, seit du nach Stockholm geflogen bist“, sagte Robert. “Und jetzt auch noch ein vierter. Grauenhaft, diese Sache mit dem Auge …“
Die erste Frau war etwa zwanzig Jahre alt. Als Carolin ihr Bild in der Zeitung sah, erstarrte sie. Es war Manuela, eine Kommilitonin …
Sie studierte Theaterwissenschaften und Medizin – anscheinend, ohne sich für ein Fach entscheiden zu können.
Einmal hatte Manuela sich von Carolin