Eine Studentin. Peter Schmidt

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Eine Studentin - Peter Schmidt

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Großer Gott! – das Bild mit dem am Per­lon­fa­den hän­gen­den Auge war so­fort wie­der da, als sie die Augen schloss …

      Aus der Pupille bog sich die win­zige Spitze eines An­gel­ha­kens bis in den wei­ßen Aug­apfel hin­ein, ohne ir­gend­eine Blut­spur zu hin­terlas­sen, chi­rur­gisch sau­ber durch­trennt. Und da­hinter – un­scharf we­gen der Ein­stel­lung des Ob­jek­tivs und wie male­risch ar­ran­giert – war sche­men­haft das Bild­nis des Ge­kreu­zig­ten zu er­ken­nen.

      Sie kannte die Kir­che von frü­her, weil dort ein his­tori­scher Pil­ger­weg ver­lief und sie oft mit ih­ren El­tern hier ge­we­sen war. Das Kreuz im Chor­raum von St. Ma­ria Mag­da­lena war um 1300 in den Pyre­näen ent­stan­den.

      Robert stieg aus und legte den Arm um ihre Schul­tern.

      „Geht’s wieder …?“, fragte er.

      „Professor Hollando gründet einen Ar­beits­kreis aus­ge­wähl­ter Stu­den­ten“, sagte Caro­lin wäh­rend der Rück­fahrt. Sie war froh, das Thema wech­seln zu können. „In den muss ich un­be­dingt auf­ge­nom­men wer­den.“

      „Deshalb bist du zur Preis­verlei­hung nach Stock­holm ge­flo­gen?“, fragte Ro­bert. „Um ihn darauf anzu­spre­chen?“

      Sie hatte kaum Zeit, zu antwor­ten …

      Er be­schleunigte so stark, dass sie den Rah­men der Rü­cken­leh­ne im Schaum­stoff spürte. Ihr Bru­der liebte schnel­les Fah­ren. Der An­trieb sei­nes Zwei­sit­zers war mit 12-Zylin­dern und 800 PS kein nor­ma­ler Mo­tor, son­dern eher ein Ra­ke­ten­trieb­werk.

      Dann kam eine enge Kurve und sie holte tief Luft …

      „Nein, man hat mir schon vor Ab­flug ei­nen Vor­stel­lungs­termin ge­ge­ben. Ich wollte ein­fach da­bei sein und se­hen, wie Hol­lan­do auf mich wirkt.“

      „Und – wie wirkt er auf dich?“

      Sie gab keine Antwort.

      „Carolin …?“

      „Geht dich das was an?“

      „Na, ich will doch, dass meine klei­ne Schwes­ter glück­lich wird.“

      „Beeindruckend, mehr oder weni­ger.“

      „Du willst einen No­bel­preis­trä­ger, hab ich recht?“

      „Und du wirst bald Polizei­präsi­dent.“

      „Ausgezeichnete Idee …“ Ro­bert lachte. „Glaubst du denn, dass dein Charme aus­reicht, ihn um den Fin­ger zu wi­ckeln?“

      „Hollando ist ziemlich schwie­rig, ein har­ter Bro­cken. Intel­lek­tuell und in je­der Hin­sicht. Kei­ne Ah­nung, ob er mich ak­zep­tiert.“

      „Akzeptiert als Studentin? Oder als Frau?“

      „Kommt drauf an.“

      „Du bist gerade dabei, das he­rauszu­fin­den?“

      „Ich habe noch keinen Men­schen ken­nen­ge­lernt, der ihm in­tel­lek­tu­ell das Was­ser rei­chen könnte, Robert. Mit so einem Mann ins Bett zu ge­hen, ist noch mal eine völ­lig an­dere Sa­che. Darü­ber den­ke ich erst gar nicht nach. Ich muss höl­lisch auf­pas­sen, dass ich bei mei­nem Vor­stel­lungs­ge­spräch kein dum­mes Zeug rede.“

      „War der Kerl nicht ur­sprüng­lich Domi­ni­ka­ner? Und ist erst neu­er­dings zu den Zis­ter­zien­sern über­ge­lau­fen?“

      „Er ist immer noch Mönch und Do­mini­ka­ner und zu nie­man­dem über­ge­lau­fen. Ce­sare wohnt nur vo­rüber­ge­hend in der Zis­ter­zien­ser­abtei, wo er übri­gens sehr gast­freund­lich auf­ge­nom­men wur­de. Da­vor lebte er im Do­mini­kaner­klos­ter St. Al­bert in Leip­zig.“

      „Im Kloster, aha. Das heißt, ohne Frauen? Und Ce­sare … du nennst ihn also schon beim Vor­na­men?“

      „Es ist wichtig für mich, den Job zu be­kom­men.“

      „Wird doch wohl nicht wieder eine dei­ner be­rüch­tigten Schick­sals­phan­ta­sien sein?“

      Carolin winkte verächtlich ab. „Mach dich ru­hig lus­tig über mich. Ich se­he eben manch­mal Zei­chen und Hin­weise – echte An­zei­chen als Rat­schlä­ge für mein künf­tiges Le­ben, kei­ne Hirn­ge­spinste.“

      „So? Welche Zeichen sind es denn dies­mal?“, fragte Ro­bert und legte grin­send sei­nen Arm um ihre Schul­tern.

      „Ein Dreieck zwi­schen den Hoch­haus­tür­men der Uni­versi­tät, dem al­ten Zis­ter­zien­ser­kloster einen Hü­gel wei­ter und dem Haus un­serer El­tern.“

      „Das meinst du nicht im Ernst?“

      „Es ist ein Dreieck“, wieder­holte sie. „Luft­linie we­nige hun­dert Me­ter. Sieh es dir mal auf der Kar­te an. Die Schen­kel al­ler Li­ni­en sind gleich lang. Glaubst du, so was ist Zu­fall?“

      „Lieber Himmel …“ Robert schüt­telte un­gläu­big den Kopf. „Bei dei­ner Nei­gung zum Aber­glau­ben könn­test du auch im Kaf­fee­satz lesen.“

      Er stoppte an einer dunklen Haus­fas­sade, über deren Schau­fens­ter eine de­fekte Neon­reklame fla­ckerte.

      „Was ist los?“, fragte sie.

      „Du sprichst doch fließend Italie­nisch. Geh mal in die Piz­ze­ria und besorg uns was zum Abend­es­sen.“

      „Wieso, weil es besser schmeckt, wenn man auf Italie­nisch be­stellt?“

      „Wäre ja möglich, dass der Piz­zabä­cker dei­nem Charme erliegt…“

      „Du meinst das Lokal da drü­ben? Sieh dir die Bruch­bude doch mal an. Die Schau­fens­ter­scheibe ist mit einem Tuch ver­hängt.

      „Vielleicht heißt der Pizzabäcker ja Ce­sare wie dein Pro­fessor …“

      Das Haus ihrer verstorbenen El­tern war ein mas­si­ver Fels­stein­bau aus dem sieb­zehnten Jahr­hun­dert. Im Gar­ten stan­den alte Apfel­bäume.

      Sie liebten diesen Ort über alles, auch wenn sie aus einem un­be­stimm­ten Ge­fühl un­gern da­rüber spra­chen. Viel­leicht war es so et­was wie Res­pekt vor der Ver­gan­gen­heit.

      Durch die Dach­fenster sah man den Stau­see und et­was wei­ter seit­lich auf den Hü­geln die Hoch­haus­tür­me der Uni­ver­si­tät. Kurze Zeit vor dem Tod ih­rer El­tern hatte man das Ge­bäude un­ter Denk­mal­schutz ge­stellt.

      Aber Ro­bert wusste, wie man sich über Vor­schrif­ten hin­weg­setzte. An­ders als sein Stell­ver­treter Paul Bro­der, der so et­was kaum ge­wagt hätte, ließ er es ein­fach in Nacht- und Ne­bel­ak­tio­nen

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