Chinesische Lebensweisheit. Richard Wilhelm
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Rennen und Jagen machen der Menschen Herzen toll,
Schwer zu erlangende Güter machen der Menschen Wandel lahm.“
Hier ist nun ein schwebender Punkt der Weisheit des Lautse. Die Namen entstehen mit einer gewissen Notwendigkeit aus dem SINN, und soweit sind sie an ihrem Platze – solange sie nicht übergreifen – als Prinzip der Individuation ganz gut, sie leiten hinüber zur Wirklichkeit. Nur sind sie nicht das Höchste. So heißt es gleich zu Beginn des Buchs vom SINN und LEBEN:
„Der SINN, den man ersinnen kann, ist nicht der höchste Sinn.
Die Namen, die man nennen kann, sind nicht die höchsten Namen.
Das Namenlose ist der Anfang von Himmel und Erde,
Das Namenhabende ist die Mutter aller Einzelwesen.
Darum muß man sich an das höchste Nichtsein halten, wenn man seine Geheimnisse schauen will, Und an das höchste Sein, wenn man sein Äußeres schauen will.“2
Hier haben wir deutlich den Stufenunterschied des Namenhabenden und Namenlosen. Es ist nicht wesensverschieden, sondern das Namenlose ist nur das Tiefere, Geheimnisvollere, das Himmel und Erde, die unsichtbaren und sichtbaren Welten, das Schöpferische und das Empfangende Prinzip in die Wirkung treten läßt, während das Namenhabende die Geburt der zahllosen, unterschiedenen Einzeldinge bewirkt. So gelangt man durch das Namenlose, das höchste Nichtsein zu den Geheimnissen der Welt, während man durch Anwendung der Namen, der Begriffe, die Welt nur von außen „in ihren Zwischenräumen“ erkennt.
Die Entwicklung des Erkennens, den intellektuellen „Sündenfall“ schildert Lautse sehr bezeichnend:
„Der SINN als höchster ist namenlose Einfalt.
Obwohl klein, wagt die Welt ihn nicht zum Diener zu machen.
Wenn Fürsten und Könige ihn so wahren könnten,
So würden alle Dinge sich als Gäste einstellen.
Das Volk würde ohne Befehle von selbst ins Gleichgewicht kommen.
Wenn erst das Dasein der Namen geschaffen,
So erreichen die Namen auch das Dasein.
Da kommt denn auch das Erkennen herbei.
Kommt das Erkennen herbei, so entsteht dadurch die Unordnung.“
Die Aufgabe der Leiter der Menschen besteht nun eben darin, zu verhindern, daß Intellektualismus und Rationalismus um sich greifen:
„Die in alten Zeiten das Lenken ausübten,
Taten es nicht durch Aufklärung des Volkes,
Sondern sie machten es töricht.
Daß das Volk schwer zu lenken ist,
Kommt daher, daß es zu viel weiß.
Darum, wer durch Wissen das Reich lenkt,
Ist des Reiches Verderb;
Wer nicht durch Wissen das Reich lenkt,
Ist des Reiches Glück.“
Es werden auch die Methoden aufgezeigt, wie man den Leuten das viele Wissen und die damit verbundene Unzufriedenheit abgewöhnen kann:
„Der SINN als höchster macht nichts,
Und nichts bleibt ungemacht.
Wenn Fürsten und Könige ihn wahren können,
So werden sich alle Dinge von selbst entwickeln.
Entstehen dann im Lauf der Entwicklung die Wünsche,
So fessle ich sie durch namenlose Einfalt.
Herrscht namenlose Einfalt, so auch Wunschlosigkeit.
Wunschlosigkeit macht still.
Und die Welt ordnet sich von selbst.“
Und Lautse zeigt auch den zu allen Zeiten gangbaren Weg, wie man das Volk zur Ruhe bringen kann:
„Wenn man die Tüchtigen nicht hochstellt,
Macht man, daß das Volk nicht streitet.
Wenn man schwer zu erlangende Güter nicht wert hält,
Macht man, daß das Volk nicht stiehlt.
Wenn man nichts Begehrenswertes zeigt,
Macht man, daß des Volkes Herz nicht verwirrt wird.“
Darum wirkt des Weisen Leitung also:
„Er leert ihre Herzen,
Er füllt ihren Leib,
Er schwächt ihren Willen,
Er stärkt ihre Knochen
Und macht, daß das Volk ohne Wissen und ohne Wünsche bleibt.“
Es ist der bewußte Gegensatz zu aller Betonung des Fortschritts und zu aller Kulturpolitik, den Lautse hier predigt. Die chinesische Welt damals hatte unter all der Kultur, all der Konkurrenz, all der Volksbelehrung, all der nationalen Begeisterung, all der Religion, all der Moral, all der Heiligkeit und Scheinheiligkeit, da immer ein Heilmittel das andre verdrängte und der Teufel dauernd durch Beelzebub ausgetrieben wurde, genug an Not und Unglück erlebt. Man war der vielen Ärzte des kranken Mannes und der vielen Weltverbesserer nachgerade satt geworden. Endlich sollte die Welt einmal zur Ruhe kommen, und der paradiesische Urzustand sollte die Menschen wieder an der allnährenden Mutterbrust der Natur vereinigen. So malt denn Lautse im letzten Abschnitt seines Büchleins als Ideal eine Utopie, die keineswegs kulturfördernd erscheint:
„Ein Reich mag klein sein und wenig seine Bürger.
Geräte, die der Menschen Kraft vervielfältigen,
Lasse man nicht gebrauchen.
Man lasse die Leute den Tod wichtig nehmen und
Nicht auf weite Reisen gehen.
Und wären auch Schiffe und Wagen da,
Soll niemand darin fahren.
Und wären auch Wehr und Waffen da,
Soll nirgends man sie zeigen.
Man lasse das Volk wieder Stricke knoten
Und zu Mitteilungen verwenden.
Man mache seine Wohnung friedlich
Und fröhlich seine Sitten.
Nachbarvölker mögen in Sichtweite sein,