Ein Fall von großer Redlichkeit. Peter Schmidt

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Ein Fall von großer Redlichkeit - Peter Schmidt

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das sein Bewusstsein noch nicht recht zu deuten vermochte. Es hatte eine Veränderung gemeldet, „Veränderung gleich Durchsuchung“.

      An der Stirnwand des Raumes hingen zwei sehr ähnlich aussehende Bilder, zwei Koggen in gleichen Rahmen auf gleichem Untergrund; nur: das eine der beiden bauchigen Schiffe mit den hohen Aufbauten am Bug und Heck war ein Handels-, das andere ein Kriegsschiff. Was sie unterschied, waren lediglich die Luken der Kanonen.

      Und nun hing das Kriegsschiff rechts statt links und das Handelsschiff links statt rechts …

      Jemand hat sie abgenommen und dann versehentlich vertauscht, überlegte er. Es bedeutet, dass man nach irgendwelchen Papieren sucht. Nur Papiere sind so flach, dass sie sich hinter Bilderrahmen unterbringen lassen.

      Diese Entdeckung nahm ihn mehr mit, als er sich eingestand. Es war schon kurz vor zwölf, trotzdem bestellte er ein Taxi in die Stadt.

      Er suchte verschiedene Bars auf, trank alle Cocktails, die er kannte, doch obwohl er die „klassische Reihenfolge“ einhielt, die einem ein Gefühl verschaffte, wie auf Wolken zu laufen – „Roter Korsar“, „Kuba libre auf amerikanisch“, „Cobbler“, „Julep“, „Sangaree“, und dann das Ganze wieder von vorn –, war die Wirkung nicht annähernd so wie zu Margotts Zeiten.

      Es verdeutlichte ihm nur umso schmerzlicher, dass der andere unwiderruflich dahingegangen war. Er hatte sich nie mit einem Menschen so verstanden wie mit ihm. Margott mochte zwar auf den ersten Blick wegen seiner farblosen Haut und wimpernlosen, geröteten Augen wenig anziehend wirken, doch er konnte zuhören

      Und er verstand es, anderer Leute Vorstellungen zu akzeptieren.

      Seine politischen Ansichten waren dagegen merkwürdig farblos gewesen. Im Grund besaß er überhaupt keine.

      Papst hatte ihn nach seiner Meinung über die russische Aufrüstungspolitik gefragt und nur ein gelangweiltes Gähnen geerntet. Den Deutschen Bundestag hielt er für einen „inaktiven Haufen“; Apartheid der Südafrikaner oder keine Apartheid würde am Lebensniveau der Schwarzen nichts ändern, es sei ein Kampf um belanglose Rechte; ob Kuba einen kommunistischen Erdrutsch in Mittelamerika plane, mache keinen Unterschied, da sowieso atomraketenbestückte russische U-Boote vor der amerikanischen Küste lauerten.

      Ausgeprägter war seine Meinung zum westdeutschen Nachtleben:

      „Alter Junge, dies hier ist ein Kabarett für Betschwestern gegen das, was einen in Caracas oder Sao Paulo erwartet. In der Beziehung sind wir noch Entwicklungsland. Selbst der Bordellbetrieb in Barcelona ist dem von Düsseldorf haushoch überlegen. Mag sein, dass man sich dort eher Filzläuse einhandelt, aber sonst ist der Service unübertroffen.“

      In der letzten Bar brachte man Papst einen Stuhl, weil er stark genug angeschlagen war, um beim nächsten Durchzug vom Hocker zu sinken.

      „Wollen Sie einen Tee?“, fragte der Mixer und beugte sich über die Theke zu ihm hinunter. „Oder Limonade?“

      „Nein, geben Sie mir ein Bier.“

      „Ich weiß nicht ... der Herr.“

      Er schüttelte besorgt den Kopf. Es war einer von der graumelierten Sorte, die wie fürsorgliche Väter oder ältere Freunde aussehen.

      „Wissen Sie überhaupt, was es heißt, einen guten Freund verloren zu haben?“

      „Margott?“, fragte er zu Papsts Überraschung; anscheinend besaß er ein gutes Personengedächtnis. „Machen Sie sich um ihn keine Sorgen. Wir haben nach dem Kriege lange zusammengearbeitet. Bis ich mich auf diesen ruhigen Posten zurückzog. Der gute Alex ist unverwüstlich – und es gibt viele, die ihre Hand schützend über ihn halten.“

      „Margott ist tot.“

      „Dieser Brand … ja, ich weiß. Glauben Sie nicht alles, was in den Zeitungen steht.“

      „Ich war selbst dabei.“

      „Er ist schon manchen Tod gestorben.“

      „Diesmal endgültig.“

      „Sie haben gesehen, dass er in den Flammen umkam?“

      „Er und das Mädchen.“

      „Dann allerdings“, sagte er achselzuckend, „wenn Sie es mit eigenen Augen gesehen haben?“, und stellte Papst ein Glas Bier hin. „Trinken Sie, es geht auf meine Kosten.“

      3

      Der Morgen war schon heraufgedämmert – die ersten Läden für Frühaufsteher hatten geöffnet: der Bäckerladen, ein Frühstückscafé, hinter dessen anheimelnd erleuchteten Scheiben Zeitungsleser saßen, und über dein Runddach des Kiosks stand die Morgenröte unwirklich wie ein Reiseplakat –‚ als ihn das Taxi unrasiert und übermüdet vor dem Haus absetzte.

      Übelkeit würgte in seiner Brust; ein schaler Geschmack erinnerte ihn daran, dass jedes Vergnügen unweigerlich seinen Preis forderte.

      Im Hausflur begegnete ihm der Briefträger. Wegen der schwachen Flurbeleuchtung musste Papst ihm wie ein Straßenräuber erscheinen, denn er drängte sich eilig an ihm vorüber und blickte sich an der Haustür noch einmal um.

      Papst schloss seinen Briefkasten auf. Ein großes graues Kuvert aus umweltfreundlichem Papier mit fremden Briefmarken fiel ihm entgegen. Sein Absender war von der Karl-Marx-Universität Leipzig. Er öffnete es und las:

       Sehr geehrter Herr Papst,

       durch ein bedauerliches Missverständnis, das erst jetzt aufgeklärt werden konnte, erteilten wir Ihnen kürzlich eine Absage auf Ihre Bewerbung. Selbstverständlich sind wir auch weiterhin an Ihrer Mitarbeit interessiert und würden uns freuen, Sie am kommenden Freitag in Leipzig begrüßen zu dürfen. Ihren Gehaltswünschen konnten wir entsprechen. Die erforderlichen Reise- und Übersiedlungsunterlagen einschließlich einer Fahrkarte erster Klasse liegen im zuständigen Amt Ihrer Heimatstadt bereit. Fräulein Julia Johannsen, Ihre künftige Kollegin am Institut, wird Sie in Ihr vorläufiges Arbeitsgebiet bei der Deutschen Bücherei, Deutscher Platz i, einweisen und Sie auch zur Ankunftszeit des Fernschnellzuges 17 Uhr 12 auf dem Bahnsteig erwarten.

      Wir hoffen, damit Ihren Vorstellungen gerecht geworden zu sein und verbleiben mit besten Wünschen für gute Zusammenarbeit und einem herzlichen Willkommen in unserer Republik.

      Rektor der Karl-Marx-Universität Leipzig

      i. A. Paul Schröder

      Oben auf dem Zimmer las er den Brief ein zweites Mal. Sein Arbeitsplatz würde also nicht in den Universitätsgebäuden, sondern in der Deutschen Bücherei sein.

      Julia Johannsen ... klingt eher skandinavisch als deutsch, dachte er. Die Deutsche Bücherei: das hieß, täglich in der größten deutschen Bibliothek ein und aus zu gehen, die sämtliches deutschsprachiges Schrifttum des Ostens wie des Westens sammelte und weitaus größer war als die Universitätsbibliothek oder die Deutsche Bibliothek in Frankfurt. Sicher gab es keinen geeigneteren Platz für seine wissenschaftliche Arbeit. Allein dieser Umstand versetzte ihn in Euphorie.

      Alles ging plötzlich mit erstaunlicher Schnelligkeit. Bis

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