Indische Reisen. Ludwig Witzani

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Indische Reisen - Ludwig Witzani

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die die Hauptakteure der Hare Krishna-Religiosität in einem einzigen Werk präsentierte - in der Mitte Krishna mit dem charakteristisch dunklen Gesicht, daneben sein Bruder Balaram und natürlich Radha, Krishnas Geliebte und Gefährtin. In der für den westlichen Menschen befremdlichen Nähe zur Gottheit war dieser üppig ausstaffierten Göttergruppe ein menschlicher Appendix am unteren Rand beigeordnet: Rechts befand sich eine kleine Skulptur des Reformators Chaitanya Mahaprabus, der hier als Heiland des Ostens und als wiedergeborener Krishna verehrt wurde, und auf der andere Seite war die Gestalt Swami Prabhupadas zu erkennen.

      Ich schlenderte eine Zeitlang durch die Räumlichkeiten des Tempels und musterte die Details der blitzblanken Statuen, die in allen Räumen als Altäre und Verehrungsorte ausgestellt waren. Sie erschienen so blitzblank und sauber, so ganz und gar patinalos und antiseptisch, dass mir darunter fast ihr religiöser Anmutungsgehalt zu leiden schien. Radha mit ihrer Porzellanhaut und ihrer lockeren Art, Krishna die Hand auf die Schulter zu legen, wirkte wie eine religiöse Barbiepuppe, womit ich weder etwas gegen Barbiepuppen, noch etwas gegen die Krishna-Religion gesagt haben sondern nur die Grenzen aufzeigen möchte, die einem westlichen Betrachter beim Verständnis östlicher Ästhetik gezogen sind. Krishna, von den in den klassischen Texten immer als „dem Blauen“ die Rede ist, war rabenschwarz, ein regelrechter Mohr, der auf der Flöte blies, auf einem Bein stand oder fesch seinen Helm trug – er glich mehr einer Kirmesfigur als jenem Gott, der ja immerhin nicht nur einer unter 300 Millionen des indischen Pantheons war, sondern der hier als der Einzige und Entscheidende, als der alles Umfassende in Szene gesetzt werden sollte. So kritisch ich den Islam und viele seiner Verhaltensvorschriften gegenüber Andersgläubigen betrachtete, so sehr bewunderte ich in diesem Augenblick die Weisheit seines Bilderverbotes und fragte mich, ob der Verzicht auf die Darstellung des Undarstellbaren nicht besser war als eine hemmungslose Ausdrucksfreude, die bei all ihrer Kunstfertigkeit nicht immer die Grenzen zum Kitsch beachtete.

      Mit mir selber uneinig, verließ ich den Krishna-Balaram-Tempel, wobei ich von dem gleichen jungen Mann, der mich begrüßt hatte, freundlich wieder verabschiedet wurde. Ich erhielt zwei Einladungen zu Darshans, die in den nächsten Tagen stattfinden würden und einige Adressen, bei denen ich mich intensiver über die Hare-Krishna-Bewegung informieren konnte.

      Am Keshi Ghat war der Anblick des Flusses am späten Nachmittag womöglich noch berückender als am Morgen. Alle Farben besaßen mehr Tiefe, die Konturen traten stärker hervor, die Luft war milder, der gesamte Anblick kam mit hundertmal authentischer vor als die grellen Figuren des Krishna Balaram-Tempels, wenngleich die Schönheit des Flusses etwas Unwahrhaftiges hatte, denn sie täuschte über seine Vergiftung hinweg.

      Ich setzte mich wieder auf das Dach einer der Podeste am Keshi Ghat und kam neben einen sehr schlanken jungen Mann im gelben Sanyasingewand zu sitzen. Erst als ich neben ihm saß, erkannte ich, dass er kein Inder sondern ein Europäer sein musste. Er hatte sehr kurz geschorenes Haar, helle Haut und ein glattes Gesicht mit großen runden Augen, die mich freundlich ansahen, als er mich mit einem Kopfnicken grüßte.

       Einige Minuten saßen wir wortlos nebeneinander und blickten über den Fluss. Die gesamte Landschaft war flach, jenseits der Yamuna erstreckte sich das Gopiland, eine weite durchgrünte Ebene mit Feldern, Weiden und kleinen Wäldern - durch den unerschütterlichen Glauben daran geadelt, dass hier in uralten Zeiten ein junger Gott über diese Erde gelaufen sei.

      Schließlich kamen wir ins Gespräch und stellten uns vor. Der Name meines Gesprächspartners war Matic, er stammte aus Slowenien und befand sich seit zwei Jahren auf Pilgerreise in Indien. Er sagte es ohne Prätention, als handelte es sich um das Natürlichste von der Welt und sprach mit einem so runden und warmen Timbre, als sei die Wahrhaftigkeit ein Bestandteil seiner Stimme. Immer wenn ich solche Menschen treffe, die wirklich losgelöst von den Wurzeln ihrer Herkunft eine Reise ins Unbekannte antreten, ohne zu wissen, wohin sie diese Reise führen wird, verfalle ich in eine kuriose Ehrfurcht und schäme mich zugleich der engen Grenzen, die meiner eigenen Welt gezogen sind. An den Quellen des Ganges hatte ich Karol getroffen, einen Polen, der zum ewigen Leid seiner Eltern vom Katholizismus zum Hinduismus konvertiert war und den Rest seiner Tage im Hochgebirge meditieren wollte. Mit einer alterslosen Französin hatte ich zwei Tage in Rischikesch verbracht und vergeblich zu verstehen versucht, warum sie den Rest ihres Lebens dem Bakti-Yoga weihen wollte. So unterschiedlich die Menschen auch waren, die ich auf diese Weise getroffen hatte – Indien hatte für sie eine derartige Kraft entwickelt, dass sie sich unter vollem existenziellen Risiko dazu entschlossen hatten, in der Spiritualität des Subkontinentes eine neue Heimat zu suchen.

      Darf ich fragen, wohin deine Pilgerreise führt? fragte ich.

      Es ist eigentlich keine richtige Pilgerreise, gab Matic zu. Ich habe mir vorgenommen, die Yamuna abzugehen. Ich habe in den Bergen bei Yamunotri begonnen, ich habe die nördliche Ebene durchwandert und möchte bis zur Sanga von Allahabad pilgern, wo sich die Yamuna mit der Mutter Ganga vereinigt.

      Und warum wanderst du ausgerechnet die Yamuna entlang?

      Chaitanya Mahaprabu, der wiedergeborene Krishna, hat die Yamuna geliebt, sagte Matic.

      Er hat den Fluss gepriesen als Quelle für Vergebung und Zuversicht. Jeder, der die Tugend sucht, ist an ihren Ufern willkommen. Matic hatte den Namen Chaitanyas Mahaprabus mit höchster Ehrfurcht ausgesprochen und den Kopf gesenkt.

      Aber es geht dem Fluss nicht gut, wandte ich ein. Er soll schrecklich verunreinigt sein.

      Das stimmt, antwortete Matic nach einer kurzen Pause. Kaliyuga befleckt alles. Alles wird in Mitleidenschaft gezogen, alles wird vergiftet. Selbst die Yamuna leidet.

      Ich schwieg. Die Sonne war noch tiefer gesunken, und das Wasser erstrahlte in einem trügerischen Glanz.

      Ich habe in Harikundh gesehen, wie das frische Wasser der Yamuna nach Westen umgeleitet wurde, fuhr Matic fort. Ich habe das fast leere Flussbett gesehen, aus dem die Raffgierigen nicht davor zurückschreckten, dem Fluss selbst noch seinen sandigen Untergrund zu rauben. Und ich habe die Zuflüsse gesehen, die Abwässer und den Müll, die in Delhi in das Flussbett gelangten. Ich habe vor Freude geweint, als der Monsun hereinbrach und den Fluss wieder mit frischem Wasser füllte. Ich habe vor Zorn geweint, als ich an den Kläranlagen vorbeikam und sah, dass sie nicht in Betrieb waren. Nun bin ich in Vrindaban, um Krishna zu bitten, die Yamnua zu retten.

      Wie soll das geschehen?

      Krishna hat dereinst die Schlange Kalyia getötet, er hat die Welt von ihrem Gift gereinigt, und er wird auch die Yamuna von den Giften, die sie verpesten, erlösen.

      Ohne Kläranlagen?

      Matic drehte den Kopf und blickte mich an. Natürlich benötigt man dazu auch Kläranlagen, natürlich darf auch im Norden nicht mehr so viel Wasser umgeleitet werden. Aber Chaitanyia Mahaprabu, der wiedergeborene Krishna, sagt: Das gemeinsame Chanten des heiligen Namens Sri Krishnas reinigt unser Herz, es heilt die Geschwüre der Welt. Und darum frage ich: Warum sollte das Chanten des heiligen Krishna-Namens nicht auch in der Lage sein, die Yamuna zu retten?

       IX Irgendwann kommt jeder einmal nach Agra

      

       Geschichte und Gegenwart einer indischen Kaiserstadt

      

Bild

      Rajiv war zweiundzwanzig Jahre alt und ein Bild von einem Mann. Stattlich und schlank, groß gewachsen und sportlich war er, was die Hautfarbe betraf, genauso dunkel, wie man es im Westen mochte, aber noch hellhäutig

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