Indische Reisen. Ludwig Witzani
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Und warum baden Sie nicht? wollte ich wissen.
Vikram zuckte mit den Schultern.
Ist Ihnen nicht warm genug? setzte ich nach.
Warm genug ist mir schon, erwiderte Vikram und blickte mich an. Aber ich hänge an meiner Gesundheit. Sie haben doch bestimmt schon davon gehört, wie verschmutzt die Yamuna ist.
Ja, gab ich zu. Ist es denn wirklich so schlimm?
Noch viel schlimmer, gab Vikram zurück. Was Sie hier sehen, ist nicht das Wasser der Yamuna, sondern es sind zum größten Teil Abwässer. Das frische Wasser aus den Bergen wird durch die Staudämme im Norden umgeleitet, es gelangen nur geringe Wassermengen nach Süden, die sich mit allem anreichern, was die Leute über Hunderte von Kilometern in den Fluss werfen.
Gibt es denn keine Kläranlagen?
Viel zu wenige. Und die meiste Zeit des Jahres arbeiten sie nicht. Es ist hoffnungslos.
Aber die Leute demonstrieren doch dagegen, wandte ich ein. Ich habe heute Morgen Demonstranten gen Delhi ziehen sehen.
Das wird folgenlos bleiben, gab Vikram zurück. Dafür werden die Politiker zu gut von den Wirtschaftsbossen geschmiert. Sogar hier in Mathura gibt es Farbfabriken und Zinkproduzenten, die ihren Dreck einfach in den Fluss leiten.
Wieder waren neue Pilgergruppen am Vishram Ghat eingetroffen. Sie waren dabei sich zu entkleiden, als Vikrams Eltern ihr Bad beendeten und die Stufen hoch kamen.
Wissen ihre Eltern, wie verschmutzt die Yamuna ist? fragte ich.
Natürlich wissen sie es, aber es spielt für sie keine Rolle. Sie glauben felsenfest daran, dass ihnen die Verunreinigungen der Yamuna nicht wirklich etwas anhaben können. Mein Vater sagt: Genauso wie die Yamuna den Pilgern, die in ihm baden, die Sünden abwäscht, so wird sie auch die Kraft besitzen, sich von allen Verunreinigungen zu befreien.
Wir schwiegen und blickten auf den Fluss. Im Licht der Nachmittagssonne wirkte das Wasser samtig und einladend, ich roch auch nichts, aber Schwermetallbestände waren geruchslos. Vikrams Eltern hatten sich inzwischen abgetrocknet und die Kleidung gewechselt. Nun winkten sie ihren Sohn heran und nickten mir zugleich freundlich zu.
Vikram erhob sich. Ich muss weiter. Ihnen noch eine gute Reise – und tun sie sich einen Gefallen: Baden sie lieber nicht in diesem Fluss.
Ich blieb noch eine Stunde in meiner Nische sitzen und beobachtete den abendlichen Badebetrieb. Die Kunde von der Verunreinigung der Yamuna tat ihrer Attraktion als Badestätte keinen Abbruch. Der Augenschein war friedlich und einladend, aber wie heißt es sinngemäß in der Bhagavad-Gita: Zum Wesen des Unheils gehört, dass es sich verbirgt.
Als ich schon bei Anbruch der Dunkelheit meine Unterkunft in der Vorstadt erreichte, kam der Hauseigentümer herunter und teilte mir mit, dass der Strom im ganzen Viertel abgestellt worden sei. Da könne man nichts machen. Gute Nacht.
In meinem Zimmer setzte ich meine Stirnlampe auf, verriegelte sorgfältig die schwere Türe von innen und überprüfte den Verschluss der Fenster zu Hof und Bad. Das Wasser, das aus der Dusche kam, war nicht der Rede wert, dafür sprühte ich mich reichlich mit Antimückenspray ein. Anschließend breitete ich das Bettlaken über die Matratze, legte meinen Schlafsack darauf, warf die Ohrstopfen ein und versuchte so gut es ging, zu schlafen. So ruhig, wie es den Anschein gehabt hatte, war das Zimmer allerdings nicht, denn ich im Laufe der Nacht waren immer wieder Schritte und Stimmen auf dem Hof zu hören. Irgendetwas lief da ab, von dem ich gar nicht wissen wollte, was es war. Schließlich schlief ich ein, und zwischen Wachen und Träumen kam es mir so vor, als würde im Dunkel der Nacht der eine oder andere der schrägen Vögel durch die Fensterscheibe auf mein Lager schauen, um abzuschätzen, welch fette Beute da möglicherweise noch zu erlegen war.
Am nächsten Morgen war ich unausgeraubt, aber von Mücken zerstochen. Als ich den einzigen Schalter im Zimmer betätigte, zeigte sich keinerlei Reaktion, und mir wurde endlich klar, dass dieses Zimmer überhaupt keinen Stromanschluss besaß. Dafür sah es im trüben Morgenlicht womöglich noch schlimmer aus als gestern - plötzlich kam mir der Raum wie eine Kerkerzelle vor, wozu auch die mächtige Türe passte, die eindeutig neu war und die sich vom Rest der Einrichtung deutlich unterschied. Die meisten Kritzeleien an den Wänden waren in Hindi verfasst, es befanden sich aber auch einige Inschriften in Englisch an den Wänden. „Das ist die schlechteste Unterkunft, seitdem ich in Bangkok im Knast gesessen habe“, hatte einer geschrieben – ein anderer hatte gleich darunter vermerkt: „Warum bist du denn nicht dort geblieben?“ Ich stand auf, wusch mich mithilfe eines Eimers voll kalten Wassers, der auf dem Hof neben einem Brunnen stand, packte meine Sachen und nahm an der Hauptstraße eine Rikscha nach Vrindaban.
Vrindaban befand sich nur etwa zehn Kilometer nördlich von Mathura und lag ebenfalls direkt an der Yamuna. Mehr als die meisten anderen Städte Indiens handelte es sich um eine Tempelstadt mit Verehrungsstätten in jedweder Erscheinungsform: monumentale südindische Gopurams, modernistische Neubauten in grellen Farben, aber auch zahlreiche kleinere Verehrungsstätten, in denen immer nur zum gleichen Gott gebetet wurde: zu Krishna, dem Erlöser der Welt.
Die Gesamtheit der Krishna Überlieferung entstammt dem Mahabharatha und gehört wie das Ramayana zum Kernbestand der indischen Kultur. Der Legende nach wurde das Mahabaratha in Urzeiten vom Elefantengott Ganesha höchstselbst dem indischen Gelehrten Vyasa in die Feder diktiert. Wissenschaftler halten dagegen das Mahabaratha für eine Textsammlung aus den unterschiedlichsten Epochen, deren Ursprünge zwar bis in die altvedische Ära zurück reichen, die aber erst kurz nach der Zeitenwende abgeschlossen wurde. Obwohl sich das Werk in Hunderte von Nebenhandlungen mit Tausenden von Personen verzweigt, dreht sich die Haupthandlung um den Konflikt zweier altindischer Königsgeschlechter, der Kauravas und der Pandavas, die sich nach einer komplizierten und schier endlosen Auseinandersetzung schließlich in der Ebene von Delhi zur großen Entscheidungsschlacht von Kurushkreta treffen. Gläubige Hindus sind übrigens felsenfest davon überzeugt, dass das Mahabaratha geschichtliche Ereignisse berichtet, die sie sogar relativ exakt auf das 32. Jahrhundert vor der Zeitrechnung datieren.
Innerhalb der Haupthandlung des Mahabaratha tritt Krishna in zwei Formen auf. Einmal ist er der Prinz, der den Mordanschlägen seines Onkels Kamsa entgeht und im Verborgenen heranwächst, ehe er am Ende über den Tyrannen triumphiert. In diesem Erzählstrang gleicht Krishna einer Mischung aus Jesus, Herkules und Adonis mit zahlreichen menschlichen und liebenswerten Zügen. Dann erscheint Krishna in einem ganz anderen Kontext in der Entscheidungsschlacht von Kurushkreta als der Wagenlenker des Pandava-Helden Arjuna und verkündet diesem vor dem Beginn der großen Schlacht die Lehren der Bhagavad-Gita. Hier streift Krishna alles Menschliche ab und verwandelt sich in den wiedergeborenen Gott, der sich selbst und seine Lehre offenbart. Im Rahmen des Mahabaratha, das etwa 100.000 Strophen umfasst, nimmt die Verkündigung der Bhagavad-Gita zwar nur 700 Strophen ein, und doch gilt sie als die ethische und theologische Quintessenz des gesamten altindischen Denkens. Tod und Wiedergeburt, Vergeltung