Indische Reisen. Ludwig Witzani

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Indische Reisen - Ludwig Witzani

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Käfig, in dem sie Lord Rama gefangen wähnten, umgab nun auch sie, die doch nichts anderes im Sinn hatten, als ihrem geschändeten Gott zu huldigen. Es war heiß, eng und nervig, die Gesichter der Soldaten mit ihren Gewehren im Anschlag jenseits des Drahtganges aber blieben unbewegt Gefühlsregung von ihrer Seite hätte die Situation eskalieren lassen können.

      Jedem, der in die zwanghaft neutralen Gesichter der Soldaten und die kämpferischen Mienen der Pilger blickte, hätte an der Zukunft Indiens fast verzweifeln können, denn die Situation war ebenso artifiziell wie hoffnungslos. Gerade weil religiös fanatisierte Gruppen, wenn man ihnen in einem säkularen Staat freie Hand ließe, diesen Staat sprengen und das ganze Land in einen Bürgerkrieg stürzen würde, hatte man in Ayodhya diese religiösen Energien buchstäblich eingehegt. Man hatte sie in Gestalt der Pilger wie gefährliche Infektionsquellen hinter Draht gesperrt, sodass sie isoliert und kontrollierbar blieben. Der abstoßend hässliche Drahtverhau von Ayodhya war nicht mehr und nicht weniger als die mühsam bewachte Brandmauer, die den weltlichen indischen Staat davor bewahrte, auseinandergerissen zu werden. Sobald dieser Käfig hier oder anderswo fallen würde, wäre es um diesen Staat geschehen.

      Vielleicht hatte dieser Zusammenbruch auch schon begonnen. Denn als die islamistischen Terroristen im Jahre 2007 das Massaker in Taj Mahal Hotel in Bombay anrichteten und mit ihren automatischen Waffen wehrlose Menschen niederschossen, schrien sie: „Remember Babri Masjid!“

       VII Die Stadt auf den Ruinen der Städte

      

       Streifzüge durch Alt-Delhi

      

Bild

      Die Hölle der Hühner befand sich noch immer in einer der Seitenstraßen des Chitli Basars von Alt-Delhi. Schon an meinem ersten Tag in Indien, als die Fremdartigkeit dieses Landes über mich zusammengeschlagen war wie eine Heimsuchung, hatte mich das mit der bloßen Hand vollzogene Massaker an dem wehrlosen Federvieh geschockt. Nichts hatte sich seitdem verändert – noch immer dampften die herausgerissenen Eingeweide in den Rinnsteinen, und aus den Hügel voller Knochenreste ragten die gelben Füße der Hühner zu Hunderten wie kleine Arme mit drei Fingern heraus.

      Aber inzwischen hatte ich auch das Paradies der Hühner gefunden. Es befand sich ganz in der Nähe des Chitli Basars in einem Anbau des Digambara-Jainatempels Lal Mandir an der großen Basarstraße Chandni Chowk. Ein bemitleidenswert dreinschauendes Huhn mit einer großen Wunde über seinen Augen, dem ein Jaina-Tierarzt behutsam eine Salbe über die verletzte Stelle schmierte, war das erste, das ich sah, als ich den Tempel betrat. Ganz still hielt das Tier, als wüsste es, dass dieser Mensch ihm nichts Böses wollte. Im Nebenkäfig schien ein anderes Huhn seine Rekonvaleszenz bereits beendet zu haben - munter und hektisch wie Hühner nun einmal sind, lief es in seinem Käfig auf und ab, pickte die Körner vom Boden und begleitete meinen Besuch mit einem ununterbrochenen Gegacker.

      Ich besuchte einen in seiner Art wohl einzigartigen Ort in der Welt: ein Hospital für Vögel, mit medizinischer Versorgung für kranke Tauben, Spatzen, Hühner, Finken, Krähen, mit Behandlungsräumlichkeiten, Visite und Ventilatoren und einer liebevollen Betreuung durch das Krankenhauspersonal. Eingeteilt nach Arten und Schwere der Erkrankung waren die Patienten in zwei Klassen aufgeteilt: die meisten Tauben logierten in Gruppenkäfigen, nur die schwereren Fällen waren in "Einzelkabinen" untergebracht. An der hintersten Wand im zweiten Stock traf ich auf die hoffnungslosen Fälle, die im Vogelhospital nur noch das gnädige Korn des Sterbens zu sich nahmen: todkranke Tauben mit von Geschwüren grotesk vergrößerten Köpfen, virusinfizierte Hühner, die bereits wie lebende Kadaver in ihren Käfigen lagen und die zu schwach waren, ein wenig Wasser aus den Schälchen zu trinken. Als ich das Vogelhospital verließ, begegnete mir ein zerlumptes Kind, das eine Taube mit gebrochenen Flügeln einliefern wollte. Auch das war Indien.

      Ich war aus der Gangesebene nach Delhi zurückgekehrt und hatte bis zum Heimflug noch einige Tage Zeit. Nicht, dass Delhi eine Stadt war, in der es sich besonders entspannt die Zeit verbringen ließe, aber irgendetwas gab es hier immer zu sehen, was beim letzten Mal noch nicht da gewesen war. Diesmal war es der Connaught Place zwischen Alt- und Neu-Delhi, an dem schon seit Jahren gearbeitet wurde und dessen Fertigstellung kurz bevorstand. Auch der Bau der Metro ging voran, wenngleich mich der Bau einer Brücke über die städtischen Bahngleise mehr begeisterte. Endlich gehörten die fürchterlichen Staus auf dem Weg vom Connaught Place nach Paharganj der Vergangenheit an.

      Immer wieder neu war auch die Preisgestaltung der Eintrittstickets, die man für den Besuch der Sehenswürdigkeiten Delhis erwerben musste – nur die Richtung war immer die gleiche: nach oben! An meinem ersten Tag in Delhi war der Eintritt zur Djama Masjid noch frei gewesen, so frei wie in fast jeder Moschee in der Welt. Die Abstauber, mit denen ich mich damals hatte herumschlagen müssen, waren mir noch in lebhafter Erinnerung. Nun musste ich für den Eintritt in die Moschee als Ausländer dreihundert Rupien zahlen, doch die Abstauber waren noch immer da. Weil es inzwischen möglich war, für einen Aufpreis eines der beiden Minarette der Freitagsmoschee zu ersteigen, hatten die Bettler in kluger Standortwahl alle Zugänge zu diesem Minarett flächendeckend blockiert. Niemand konnte den Eingang der Minarette erreichen, ohne über die auf dem Boden liegenden Bettler zu staksen, die den Besuchern ihr Leid in Kniehöhe entgegenjammerten

      Der Aussichtspunkt des Minaretts befand sich in vierzig Metern Höhe auf einer schmalen Empore mit beängstigend niedriger Brüstung. Tief unter mir erstreckte sich der Innenhof der großen Freitagsmoschee, in dem 25.000 Menschen ihren Platz zum Gebet finden konnten. Dahinter war im morgendlichen Dunst das Rote Fort zu sehen, begrenzt durch die trägen Fluten der Yamuna, die weiter südlich in den Ganges mündete - und im Norden der Moschee befand sich das verbaute und übervölkerte Altstadtviertel mit der großen Basarstraße Chandni Chowk.

      Natürlich war Alt-Delhi, so wie ich es jetzt sah, nicht mehr als ein winziger Mosaikstein von Groß-Delhi, einer Stadt, die auf den Ruinen von mindestens sieben weiteren Städten erbaut worden war. Die älteste dieser versunkenen Metropolen befand sich als Ruinenfeld von Lalkot weit im Süden der heutigen Stadt. In den Mauern Lalkots hatten die muslimischen Eroberer am Ende des 12. Jahrhunderts ihren epochalen Sieg über die Maharajas gefeiert und zum Andenken an ihren Sieg das Qutb Minar, das höchste Minarett Indiens, errichtetet. Es folgten Siri, Tughluqabad, dessen Schrecken der mohammedanische Weltreisende Ibn Battuta in seinen Reiseberichten aus dem 14. Jahrhundert beschrieben hatte, sodann Jahanpanah, Kotla und schließlich Purana Quila, in dessen Palästen der Großmogul Humayun im Jahre 1556 von der Brüstung seiner Bibliothek die Treppe herunter fiel und starb.

      Nach diesen sechs Städten wurde im 17. Jahrhundert Shahjahanabad erbaut, Delhis siebte Kapitale, die der Mogulkaiser Shahjahan gleichsam aus dem Boden stampfen ließ. Alles, was ich heute von der Spitze des Minaretts aus sehen konnte, war in seiner Ägide errichtet worden: das Rote Fort, die Freitagsmoschee, die damalige Prachtstraße Chandni Chowk und nicht zuletzt eine neun Kilometer lange Stadtmauer. Nie vorher und nie nachher war in Indien derart aufwendig gebaut worden wie unter der Regentschaft Shahjahans, und da zur gleichen Zeit auch das Taj Mahal in Agra entstand, ganz zu schweigen von den Prachtbauten in Lahore, der dritten Kaiserstadt, war der Mogulstaat angesichts dieser Kosten an den Rand des Staatsbankrotts geraten.

      Heute ist Delhis siebte Stadt Shahjahanabad nur noch ein demografisches Mosaik inmitten einer der größten Städte Asiens. Längst hatten die Betonstraßen, Wohnsilos, Armensiedlungen oder wo auch immer die Einwohner Delhis leben mochten, alle sieben historischen Städte miteinander verbunden. Niemand wusste genau, ob elf, dreizehn oder fünfzehn Millionen Menschen den Ballungsraum Groß-Delhis bewohnten - die dichteste Bevölkerungskonzentration dieser Megapolis aber pulsierte noch immer in Alt-Delhi.

      Alt-Delhi

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