Toxicus. Anita Jurow-Janßen
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„Hallo meine Süßen, ihr habt sicher Hunger?“
Anabelle, Ronnys Lieblingsschlange, eine fast orangefarbene Kornnatter, zischte ihn mit der gespaltenen Zunge an, als er in ihr Terrarium sah. Sie glitt von ihrem Baumstamm herunter und schlängelte sich zum Sichtfenster, als ob sie Ronny begrüßen wollte.
„Du bist genauso schön wie Birgit“, sagte Ronny liebevoll und nahm die Schlange aus dem Käfig. Anabelle kringelte sich um seinen Nacken. Ein angenehmes Kribbeln durchzog seinen Körper. Er war inzwischen ein großer kräftiger Bursche geworden und überragte fast alle seine Mitschüler. Er hatte die gleiche Figur wie sein Vater, nur dass der nicht ganz so groß war. Auch dessen braune Augen und die braunen Haare, die ihm immer wieder in die Stirn fielen, hatte er von seinem Vater geerbt. Nachdem er die anderen Schlangen, zwei Vipern und eine grüne Mamba, gefüttert hatte, legte er sich mit Anabelle aufs Sofa und zog seine Hose herunter.
„Ja … Anabelle, weiter so, weiter so.“ Er stöhnte, während Anabelle sich auf seiner nackten Haut hin- und herwand. Sein Glied schien vor Erregung zu bersten. Nachdem er gekommen war, legte er Anabelle zurück in ihr Terrarium. Er warf einen Blick auf seine Giftschlangen. Die grüne Mamba hatte er „Birgit“ getauft. Voller Wehmut dachte er jetzt an die andere Birgit. Er musste sie haben. Nur durch sie konnte er wirklich zur Erfüllung kommen.
***
Nachdem Sanne und Birgit in der Pause die Einladungen zu ihrer Geburtstagsparty verteilt hatten, bekam Sanne ein schlechtes Gewissen. Ronny hatte an der Hauswand der Schule gelehnt und sie und ihre Freundin beobachtet.
Das Gefühl, Außenseiter zu sein, kannte sie nur zu gut. Dass sie nirgends ausgeschlossen wurde, hatte sie nur Birgit zu verdanken. Anfangs machten alle Klassenkameraden wegen ihrer Fettsucht einen großen Bogen um sie, und das tat weh.
Auf dem Rückweg in ihr Klassenzimmer sprach sie Birgit auf Ronny an. „Meinst du nicht, dass wir ihn auch hätten einladen sollen? Er sah so traurig aus. Ich glaube, er hat mitbekommen, dass er nicht dabei sein soll.“
Birgit sah sie empört von der Seite an und blieb abrupt stehen.
„Spinnst du? Der hat sie doch nicht mehr alle. Der hätte mir gerade noch gefehlt.“
Sanne erschrak. Mit einer derartigen Abwehr hatte sie nicht gerechnet.
„Aber er tut mir leid. Er ist sicher sehr unglücklich. Sonst wäre er nicht so ein Außenseiter.“
Birgits Augen waren immer größer geworden. „Außenseiter? Ein Spinner ist der. Und ein Spanner noch dazu. Er hat vor unserem Haus gestanden und in mein Zimmer geglotzt. Und du nimmst den auch noch in Schutz!“
„Was? Das hast du mir ja gar nicht erzählt.“
„Ich hab es nicht so wichtig genommen.“ Birgit war weitergelaufen und sah sie etwas schuldbewusst von der Seite an. „Es war ja auch nur ein Mal. Ich hab es wohl vergessen dir zu sagen. Tut mir leid. Ist aber auch schon eine Weile her.“
Sanne war jetzt stehen geblieben und sah Birgit ungläubig hinterher. „Vergessen?“ rief sie. „Wie lange ist das her? Wann war das?“
Birgit drehte sich um. „Weiß ich nicht mehr so genau. Komm jetzt! Nicht sehr lange. Ich will ihn jedenfalls nicht auf meiner Party haben.“
„… Aber … war der das, der schon mal auf der Auffahrt stand? Du weißt, als Ben jemanden gesehen hat?“
„Kann sein. Hab ich auch schon dran gedacht. Aber wissen tue ich es nicht. Ist mir eigentlich auch egal.“
„Sag mal! Das ist doch nicht egal. Frag ihn, was das soll!“
„Du spinnst. Der kann mich mal.“
„Aber …“ Sanne sah Birgit fassungslos an. „Hast du wenigstens mit Ben darüber gesprochen?“
„Wieso mit Ben? Der geht mir doch so schon jeden Tag auf den Keks.“
„Und deine Eltern? Wissen die das?“
„Quatsch. Was sollen die denn schon machen? Die Auffahrt ist so lang. Wenn jemand hinläuft, ist der doch längst verschwunden.“
„Vielleicht hätten sie die Polizei informiert.“
„Das fehlte noch. So ’n Aufwand für den Spinner.“
„Bist du denn sicher, dass Ronny das war?“
„Klar bin ich sicher. Ich hab ihn genau erkannt. Er hatte ein Fernglas dabei. Der kann doch von da aus genau in mein Zimmer glotzen. Ich hab extra die Gardinen aufgezogen, damit er merkt, dass ich es weiß. Ich hab mich in Pose gestellt.“
Birgit kicherte. Sanne sah sie mit aufgerissenen Augen und offenem Mund an.
„Ich glaub, du bist verrückt geworden.“
Birgit umfasste Sannes Schultern und zog sie an sich, so weit das bei ihrem Umfang möglich war.
„Nur keine Panik“, sagte sie lachend.
„Was soll der mir schon tun?“
***
Ronny machte sich auf den Weg zu Lukas Schröder. Sein Fahrrad war kaputt und er fluchte, weil er laufen musste. Bei der Hitze kam ihm der Weg in die Innenstadt von Oldenburg, in der Lukas mit seinen Eltern wohnte, doppelt so lang vor. Er überlegte, wie er Lukas überreden könnte, ihn zu Birgits Party mitzunehmen. Nachdem er an Lukas’ Wohnungstür geklingelt hatte, öffnete dessen Mutter und er fürchtete einen Augenblick, dass Lukas nicht zu Hause wäre. Aber sie begrüßte ihn freundlich und schickte ihn in Lukas’ Zimmer. Lukas sah überrascht von seinem Schreibtisch auf, als er plötzlich vor ihm stand.
„Was machst du denn hier?“, fragte er etwas unfreundlich.
„Hi, Lukas! … Na ja, ich will nicht lange rumreden, du bist doch auf Birgits Fete eingeladen und … ich muss unbedingt mit.“
„Wieso, bist du nicht eingeladen?“
„Nee, wohl nicht, sonst würde ich nicht fragen. Aber … ich bin scharf auf die Kleine. Kannst du mich nicht einfach mitnehmen?“
Lukas sah wenig begeistert aus. „Also, ich weiß nicht … Wie soll das gehen?“, fragte er.
„Weiß ich noch nicht so genau. Aber ich muss unbedingt mit.“
„Nee, also, das kann ich nicht machen.“
„Was heißt das? Du bist mir noch etwas schuldig. Vergessen?“
Lukas sah Ronny aus den Augenwinkeln an. „Du meinst wegen der Natter?“
„Genau. Du warst so scharf darauf, eine zu bekommen, und ich habe dir eine besorgt. Obwohl deine Eltern das nicht