Mausetot. Hermann Schunder
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Die Frauen, ja, das war ein besonderes Kapitel in seinem. Die er wollte, mit Blicken förmlich auszog, das waren die um die Vierzig, die suchten nicht unbedingt einen Alten. Und die sich auf der Pirsch der Liebe tummelten, die 60 Plus-Generation, für die fühlte er sich noch zu jung. Ab und zu verirrte sich sogar die eine oder andere holde Weiblichkeit in seine Stammkneipe. Füllig und willig genügte ihm aber nicht. So blieb es meist bei verstohlenen Blicken und unerfüllten Träumen.
In beruflicher Hinsicht galt Joseph Wolf bei seinen Vorgesetzten nicht gerade als Überflieger. Zuverlässig und korrekt. Aber sonst? Kein Superbulle, der die kniffligsten Fälle im Alleingang aufklärte und sich auf seine übersinnlichen Fähigkeiten stets verlassen konnte. Weit gefehlt. Wolf agierte im Hintergrund, lieferte Erkenntnisse aus dem Umfeld von Verdächtigen. Kein Karrieretyp, wie sich aus seinen Dienstjahren und dem erreichten Rang eines Kommissars leicht ableiten ließ. Sein Glück oder vielleicht doch sein Pech bestand darin, dass er bei einer Routinekontrolle zur falschen Zeit und am falschen Ort aufkreuzte und mit knapper Not mit seinem Leben davon kam. Bleibende Erinnerung dieses Vorfalls waren ein Hagel an Geschossen von denen er einige mit seinem Bein abgefangen hatte. Das machte ihm zu schaffen, nicht zu Reden vom sprichwörtlichen Wetterumschwung. Nein, das wäre zu platt als Ausrede für seine pessimistische Gefühlslage. Seit Monaten hockte er in einem Einzimmerappartement in Wittlich und hoffte darauf wieder seinen Dienst aufnehmen zu können. Ungern würde er in sein angestammtes Kommissariat in Ludwigshafen zurückkehren. Aber egal, alles besser als die Frühpensionierung.
Er musste sich in Geduld üben, etwas anderes konnte er nicht mit seiner freien Zeit bewerkstelligen. Wie ein eingesperrtes Tier fühlte sich Joseph Wolf in seinem Appartement. Hoffnung keimte auf, wenn er kurz nach zehn Uhr nachsehen ging, ob der Postbote etwas für ihn in den Briefkasten geworfen hatte. Nach seinem schweren Dienstunfall in jener verhängnisvollen Nacht in Ludwigshafen kurierte er sich in Wittlich, abseits seiner gewohnten Pfade aus. Ob er jemals wieder als Polizist arbeiten konnte, dass schien nach dem Fitnesscheck beim Amtsarzt vom vergangenen Mittwoch fraglich. Sein weiteres Schicksal hing davon ab.
Dieser morgendliche Weg zum Briefkasten glich einem feststehendem Ritual. Mit geringen Erwartungen trat er seinen Gang an und mit noch weniger Hoffnung schlurfte er die Treppenstufen zurück zu seiner Wohnung. Vielleicht morgen oder spätestens übermorgen, so sprach er sich selbst Mut zu. In seinem Innersten wurde mit jedem Tag, der auf diese Weise verstrich, das erwartete Ereignis immer unwahrscheinlicher.
Der heutige Montag unterschied sich von den anderen Tagen. Normalerweise gab es zu Wochenbeginn selten Post, allerhöchstens einen Brief, der vom Samstag übrig geblieben war. Aus alter Gewohnheit, kurz nach zehn Uhr, machte sich Joseph auf den Weg. Auf der Treppe von der zweiten runter zur ersten Etage begegnete ihm seine Nachbarin. Susanne logierte drei Türen weiter Richtung Fenster des Mittelganges des Appartementhauses. Er mochte das junge flippige Ding. Susanne war die einzige Bekanntschaft in diesem Mietblock für ihn.
„Hey, Josephus, was macht die Kunst? Alles klar oder bestens?“ Die junge Frau hielt einen aufgerissenen Briefumschlag in der Hand und wedelte mit einem Blatt Papier wild herum. So aufgekratzt ließ sie sich in ihrem Wortschwall kaum bremsen.
„Ich hab meine Prüfung für das Vordiplom bestanden! Juhu. Hier steht es schwarz auf weiß.
Darauf müssen wir unbedingt mit einer Flasche Sekt anstoßen. Das hab ich mir verdient, sonst gönne ich mir ja kaum Alkohol, na ja selten. Susanne lachte herzerfrischend über ihren Scherz.“
Joseph versprach am frühen Abend kurz vorbei zu schauen.
Er setzte seinen Weg zur Haustür mit den vielen Briefkästen bedächtig fort.
Aus seinem Mäppchen fummelte er den Schlüssel für den Briefkasten heraus. Wie jeden Morgen schienen sich die Schlüssel gegen ihn verschworen zu haben. Wie war es nur möglich, dass sich die drei Teile so ineinander verhaken konnten? Ein weißes Kuvert flatterte auf den Boden.
Endlich der erwartete Brief? Joseph, beileibe nicht abergläubig, dachte, als er sich nach dem Briefumschlag bückte, ein gutes Omen scheint es ja nicht zu sein, wenn er sich vor seinem Schicksal tief verbeugen musste.
Die Würfel über seine weitere Zukunft waren gefallen. Das amtliche Schreiben der Polizeibehörde wollte er nicht gleich öffnen. Etwas hielt ihn zurück. Trotz einer sich bei jeder Treppenstufe stärker zusammenballenden Neugierde zwang er sich zur Ruhe. In seinem gewohnten Trott stapfte er unbeirrt in die Treppe hoch.
Erst beim zweiten Durchlesen des Schreibens von der Polizeidirektion Trier traute er sich tief Luft zu holen. Damit hatte er schon nicht mehr gerechnet. Wort für Wort laut lesend wurde ihm der Inhalt des Briefes allmählich bewusst. Nein, kein Irrtum. Da stand in reinstem Behördendeutsch:
Sehr geehrter Herr Wolf,
freuen wir uns Ihnen mitteilen zu können, dass auf Grund der erfolgten Untersuchungen beim für Sie zuständigen Amtsarzt in Trier eine dreimonatige Rehabilitationsmaßnahme zur Wiedererlangung der Diensttauglichkeit genehmigt werden kann.
Wir bitten Sie, sich am
Mittwoch, den 12, Februar 2014
bei der Polizeiinspektion
Schlossstraße 28, Wittlich
zu melden. Die näheren Einzelheiten der Rehabilitationsmaßnahme stimmen Sie bitte direkt mit der aufnehmenden Dienststelle ab.
Es folgte Datum und Unterschrift.
Wow, welche Überraschung. Von einem Moment auf den anderen veränderte sich sein Umfeld. Voller Tatendrang stürmte Joseph Wolf die wenigen Schritte zur Küche. Mit neuem Elan griff Joseph im Kühlfach nach einer Flasche Prosecco. Er liebte dieses Getränk. Zwei Gläser und die Flasche in der Hand, zog er die Eingangstür seines Appartements hinter sich zu. Susanne hatte ihn schließlich eingeladen.
Das Klingeln musste forsch geklungen haben, denn schon wenige Augenblicke danach sah Joseph Wolf in das verdutzte Gesicht seiner Mitbewohnerin. Ein Badehandtuch verhüllte den nassen Körper von Susanne. Als sie die Sektflasche in der Hand ihres Nachbarn entdeckte, brauchte sie nicht nach dem Grund des unerwarteten Besuchs zu fragen.
„Du hast es aber ganz schön eilig mit dem Feiern.“
Nach diesem ersten Satz trat sie einen Schritt zur Seite und gab den Eingang frei. „Komm rein, setze dich schon mal, ich zieh mir nur schnell was an.“ Joseph antwortete keck „wegen mir brauchst zu dich nicht extra schick zu machen, so wie du bist genügt vollkommen.“ Verblüfft schaute Susanne zu Joseph hin, dessen aufgekratztes Benehmen sie zunächst nicht zu deuten vermochte. So hatte sie ihren Nachbarn noch nicht erlebt. Irgendetwas schien anders als sonst zu sein.
Joseph setzte sich in den roten massigen Ohrensessel und ließ den Blick schweifen. Kurz darauf erhascht Joseph aus den Augenwinkeln einen Schatten. Nur den Bruchteil einer Sekunde dauert diese Bewegung, aber als geübter Beobachter ist dem Kommissar keineswegs entgangen, das seine Nachbarin, ganz ohne, von einem Zimmer ins andere huschte. Auf ihrem Kopf ein Handtuch zu einem Turban gewickelt. Ein eher am Rande interessantes Detail.
Joseph Wolf schmunzelte und griff nach der vor ihm auf dem niedrigen Tisch stehenden Flasche. Ungeschickt versuchte er die grüne Banderole der Proseccoflasche auf zu fummeln. Ein schwieriges Unterfangen. Darauf bedacht den Korken ja nicht knallen zu lassen bemüht er sich den Verschluss sachte aus dem Flaschenhals zu winden.