"Take Care!". Hermine Stampa-Rabe
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Von hier führte eine Treppe hoch auf das obere schmale Gebiet mit Rasen und Wäscheleine und einem Weg, der zu dem Eingang der oberen Wohnräume über der Werkhalle führte.
Unten an der vordersten Ecke des großen Gebäudes stand ein altes Fahrrad mit Packtaschen vor einem Wasserhahn. Ein Schild mit der Aufschrift: „Wasser für Fahrradfahrer“ sprang ins Auge, von keinem Fahrradfahrer zu übersehen.
Hier wohnte die bekannteste und beliebteste Frau der Vereinigten Staaten der Fahrradfahrer, die Cookie-Lady. Sarah kam bald nach unserer Ankunft mit ihr, einer freundlich blickenden kleinen Frau mit weißem Lockenkopf, zurück.
„Ihr seid also die Gruppe von Adventure Cycling aus Montana. Seid herzlich willkommen. In dem kleinen Haus darf sich jeder eine Schlafstelle aussuchen. Eine Küche ist vorhanden. Auch habe ich für euch schon eingekauft; denn eure Gruppenleiterin Sarah hatte euch per Telefon angemeldet.“
Jeder wurde von ihr liebenswürdig begrüßt. Als die Reihe an mich kam und sie hörte, daß ich aus Deutschland war, sagte sie:
„Aus Deutschland kommt heute noch eine Fahrradfahrerin zum Übernachten. Sie stammt aus Berlin. Alle eure Fahrräder könnt ihr anschließend in der Werkhalle vor Regen sicher und trocken unterstellen. Und nun wünsche ich euch allen einen angenehmen Aufenthalt. Wenn ihr etwas braucht, meldet euch bei mir. Ich wohne dort oben.“
Alle Stuben strotzten an den Wänden von Danksagungen aus aller Welt. Es hingen Zeitungsausschnitte, Bilder von Fahrradfahrem, Sturzhelme, Trikots und andere hier zurückgelassene Gegenstände mit einer Widmung des Besitzers für die Cookie-Lady darauf.
Wir wohnten in mehreren gemütlich möblierten Wohnstuben, einer Küche, einem WC und einer im Freien befindlichen Dusche.
Das Mädchen, eine junge Polizistin aus Berlin, kam bald mit ihrem Wanderrad mit Trailer. Endlich bot sich mir die Möglichkeit, mich mal wieder auf Deutsch zu unterhalten. In meiner Muttersprache konnte ich alles ausdrücken, was mir auf Englisch nicht möglich war. Wir plauderten lange und glücklich miteinander.
Ein ungewohnt gemütlicher Abend kam hier auf uns zu, weil wir kein Zelt aufzustellen brauchten. Unser selbstgekochtes Abendessen verschlangen wir mit Heißhunger draußen auf der Terrasse im Abendsonnenschein.
Mit einem überfüllten Magen, weil ich nicht "nein" sagen konnte, saß ich hier auf einem Sofa, während sich die anderen überall verteilt beschäftigten. Wer wußte, wann wir es wieder so gemütlich haben werden?
Sarah erleichterte mein Gepäck. Dazu setzten wir uns beide im Schneidersitz auf den Fußboden. Während ich aus einer Packtasche nach der anderen Stück für Stück ausräumte und ihr alles einzeln in die Hand gab, begutachtete sie jedes Teil, wog es in ihrer Hand ab und entschied sich entweder fürs Mitnehmen oder fürs Nachhauseschicken. Auch mein neues Zelt kam auf den Stapel mit den Sachen, die nach Hause sollten. Nur das Nötigste blieb bei mir. Danach suchten wir uns alle in einem der Räume ein Plätzchen, wo wir unseren Schlafsack ausbreiten konnten. Ich nahm den Raum, an den das WC grenzte. Wer weiß, wer weiß.
8. Tag: Afton - Lexington (87 km) 764 km
Das Waschen erledigte ich am folgenden Morgen draußen vor dem Haus am Kaltwasserschlauch nur mit Gesichtanfeuchten und Zähneputzen. Das war Camping pur, auch wenn ich im Haus auf einem weichen Sofa schlafen durfte!
Da ich gleich alle meine aussortierten Sachen zur Post bringen wollte, warteten Sarah und ich bis kurz vor 8.00 Uhr, um dorthin zu gehen, während unsere anderen Kameraden schon aufbrachen.
Auf der Post erhielt ich als erstes einen ganz lieben Brief von Kläuschen aus Kiel. Zwei leere Paketkartons brauchte ich, um meine aussortierten Sachen zu verstauen und nach Kiel per Schiff auf die lange Reise zu schicken. Sie wogen zusammen sage und schreibe 15 Pfund! Ich hatte vor, mir in Lexington ein 2 Pfund leichtes neues Zelt anzuschaffen, um flott mit dem Rad unterwegs sein zu können.
Unsere Cookie-Lady kam auch noch persönlich herunter.
„Über euren Besuch habe ich mich sehr gefreut. Er brachte Abwechslung in meinen Tagesrhythmus. Take care für sie und ihre ganze Gruppe.“
Dann wandte sie sich persönlich an mich.
„Und sie möchte ich ganz herzlich bitten, mir aus Deutschland eine Postkarte zu schreiben.“
„Das verspreche ich ihnen. Vielen Dank für ihre liebenswürdige Aufnahme und alles Gute.“
Sie stand und winkte uns noch nach.
„Take care!“
In der Nacht hatte es tüchtig geregnet. Zu der Zeit durfte es das meiner Meinung nach auch. Jetzt lagen dichte Wolken über dem Blue Ridge Parkway. Warme Luft umgab uns auf dieser Seite der Bergkette. So radelte ich mit herrlich erleichtertem Rad die steile Steigung hoch. Hinter mir folgte Sarah.
Es war Montag, Arbeitstag. Dementsprechend verhielt es sich auch mit dem Autoverkehr auf der Höhenstraße (250), die in Serpentinen immer höher stieg. Oben angekommen, trennte sie sich vom Blue Ridge Parkway, den wir beide rechterhand in Angriff nahmen und der noch viel, viel, viel höher anstieg. Glücklicherweise gab es auf dieser Straße fast kein Auto.
Es entwickelte sich trotz der großen Höhenunterschiede mit meinem erleichterten Rad in dieser parkähnlichen Landschaft eine atemberaubende Fahrradfahrt. Allein dafür hatte es sich gelohnt, hierher zu kommen. Auf der Teerstraße fanden wir eine orangenfarbene zarte Eidechse. Wunderschöne und große Schmetterlinge waren in dieser Gegend in der Luft unterwegs. Geier kreisten in den Lüften. In den Bäumen krächzten hohl und dunkel die Raben.
Als Überraschung kam ein Auto mit einer Fotografin und fuhr neben jedem von uns einzeln her, um uns in jeder Situation zu fotografieren, während sie freundliche Fragen stellte. Das mußte tolle Bilder geben!
Die Wolken, die auf diesem Gebirgskamm lagen, waren sicher meinetwegen liegengeblieben, damit ich die vor mir liegenden endlosen Steigungen nicht sehen sollte, um nicht schon vorher demoralisiert zu werden.
Ach ja, ich hatte ganz vergessen zu erzählen, daß uns Miki verlassen hatte. Er hegte den Wunsch, erst noch hier in den Appalachen zu wandern und später seine Fahrradtour durch die Vereinigten Staaten fortzusetzen.
Nach der Überquerung dieses ziemlich breiten und zerklüfteten Ge-birgskammes schloß sich eine rasante serpentinenartige und gefährliche Abfahrt an. Ich fuhr verhalten mit vielem Bremsen, um nicht mit meinem bepackten Rad aus der Kurve geschleudert zu werden. Von da an ging es sanft am South River bis zu einer Kreuzung, an der ein Store stand, wo wir eine längere Essens- und Trinkpause einlegten.
Es sah verdächtig nach Regen aus. Weil ich noch kein neues Zelt besaß, entschloß ich mich, in ein Motel zu gehen, da wir morgen sowieso Ruhetag hatten. Kal.-John verspürte auch keine Lust zum Zelten. So radelten wir beide bei einsetzendem Platzregen ca. 8 km weiter nach Lexington, während sich unsere anderen zu ihrem Campingplatz in Bewegung setzten.
9. Tag: Ruhetag in Lexington (18 km) 782 km
Nach dem Frühstück im benachbarten Restaurant