Das NOZ-Magazin 2015. Neue Osnabrücker Zeitung
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Wie erleben Sie die Holocaust-Gedenkkultur in Deutschland?
Die Gedenkkultur hat sich in den letzten 20 Jahren positiv gewandelt. Dies hat sicherlich auch damit zu tun, dass aus der Generation der Täter nur noch wenige leben und die jüngere Generation offener über dieses Thema spricht. Dass die Gedenkkultur in gewissem Maße ritualisiert ist, empfinde ich nicht als negativ, im Gegenteil. Ich begrüße es, dass es feste Termine im Jahresablauf gibt, um sich an Ereignisse zu erinnern. Parallel dazu muss es andere Arten des Gedenkens geben wie beispielsweise die Stolpersteine. Diese Aktion finde ich sehr gelungen.
Auch die Zeitzeugen auf der Opferseite werden in absehbarer Zeit verschwinden. Wie kann die Erinnerung an den Holocaust wach gehalten werden?
Wichtig ist es, die Erinnerungen der noch lebenden Zeitzeugen in Wort, Schrift und Ton festzuhalten und das Erlebte einzufangen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass diese Authentizität verloren geht. Auch in den Schulen muss das Thema präsent bleiben.
Wie stellen Sie sich das vor?
Ich wünsche mir, dass jeder Schüler ab der neunten Klasse verpflichtend eine KZ-Gedenkstätte besucht. Alle Bundesländer, in denen das noch nicht der Fall ist, sind gefragt, dies einzuführen. Theorie und Unterricht sind schließlich die eine Sache, das konkrete Erleben vor Ort, die plastische Anschauung die andere.
Der russische Präsident Wladimir Putin wird an der Veranstaltung in Auschwitz nicht teilnehmen. Dürfen aktuelle politische Verstimmungen wie die Ukraine-Krise das Gedenken derart beeinflussen?
Ich bedauere es, dass auf dem Rücken dieses Gedenktages Politik gemacht wird. Ich persönlich hätte nichts dagegen, wenn Herr Putin nach Auschwitz kommen würde. Ich bin auch nicht froh darüber, dass es noch eine weitere Gedenkveranstaltung in Tschechien gibt. Der authentische Ort für den Holocaust-Gedenktag am 27. Januar ist Auschwitz.
Gerade im letzten Jahr wurde im Zusammenhang mit den Protesten gegen den Gazakrieg vor einem gestiegenen Antisemitismus in Deutschland gewarnt. Sehen Sie diesen auch?
Ich sehe neue Formen von Antisemitismus in Deutschland. Im vergangenen Sommer hat sich eine unheilige Allianz gebildet aus irregeleiteten muslimischen Jugendlichen, Islamisten, Teilen der extremen Linken und Rechtsradikalen. Das war eine Gemeinschaft, deren Mitglieder ein gemeinsames Feindbild hatten: Israel, und darüber die Juden allgemein. Dieser Protest kam nicht aus der Mitte der Gesellschaft.
Neuere Definitionen wie die des israelischen Politikers Natan Sharansky sehen Antisemitismus bereits bei scharfer Kritik an Israel gegeben. Sehen Sie das auch so?
Sharansky hat analysiert, was die Kritik an Israel häufig ausmacht. Und das ist oft eine Dämonisierung oder Delegitimierung des Staates Israel. Ebenso werden an Israel häufig andere Standards angelegt als an andere Staaten. Antisemitismus kommt zunehmend in diesem Gewand daher.
Wie ist die Situation von Juden in Deutschland: Müssen sie sich unauffällig verhalten, um in Ruhe leben zu können?
Wenn wir wirklich so weit wären, dann wäre das sehr problematisch. Aber wir sind es nicht. Es gibt Übergriffe, aber das sind Ausnahmen, in jüngster Zeit übrigens eher von extremistischen Muslimen und nicht mit rechtsradikaler Motivation. Ich sehe keine Notwendigkeit dafür, sich als Jude in Deutschland zu verstecken.
Aus Frankreich wandern immer mehr Juden nach Israel aus, auch deshalb, weil sie sich im Land nicht sicher fühlen. Gibt es diese Entwicklung auch in Deutschland?
Die Zahl der Auswanderungen aus Deutschland ist minimal. Ich sehe auch keine Tendenz hierzu wegen einer antisemitischen Stimmung in Deutschland oder aus Gründen der terroristischen Bedrohung. Juden zur Einwanderung bewegen zu wollen ist allerdings aus israelischer Sicht ein legitimer Wunsch, der aus religiösen wie nationalen Gründen besteht. Israel ist schließlich die Lebensversicherung für uns Juden. Wenn es das Land 1933 schon gegeben hätte, wären viele furchtbare Dinge wohl nicht geschehen.
Wie gestaltet sich heutzutage jüdisches Gemeindeleben?
Ein schönes Beispiel für die Lebendigkeit jüdischer Gemeinden in Deutschland findet in wenigen Wochen in Köln statt: die „Jew-rovision“, zusammengesetzt aus dem englischen Wort für „Jude“ – „Jew“ – und „Eurovision“. Das ist ein Event, das seit 14 Jahren stattfindet und seit drei Jahren vom Zentralrat ausgerichtet wird. Dort studieren zehn- bis 19-jährige Jugendliche verschiedene Showacts ein, die dann im Stile des bekannten „Eurovision Song Contest“ aufgeführt werden. Das ist sehr beeindruckend, wenn etwa 350 jüdische Jugendliche auf der Bühne stehen und mehr als 1000 Gäste zuschauen. Und es stimmt zuversichtlich für die Zukunft jüdischer Gemeinden in Deutschland.
Die Pegida-Bewegung richtet sich gegen andere Minderheiten als die Juden, nämlich gegen Muslime und Zuwanderer insgesamt.
Das ist ein gefährliches Phänomen. Ich erwarte von jedem, der dort mitläuft, dass er sich bewusst ist, welches Gedankengut dort transportiert wird und wem er dort folgt. Da geht es mir gar nicht darum, dass oder ob alle Menschen, die an diesen Demonstrationen teilnehmen, selbst eine radikale Gesinnung haben. Was mich aber sehr positiv stimmt, sind die spontanen Kundgebungen für ein offenes Deutschland, an denen noch viel mehr Menschen teilnehmen als bei Pegida.
Auch wenn es darum geht, die Ausübung religiöser Bräuche wie die Beschneidung oder das Schächten zu verteidigen, verbindet Sie viel mit Muslimen in Deutschland.
Eine Debatte über derartige kulturelle Besonderheiten muss möglich sein. Wird sie allerdings agitatorisch geführt und nur, um Ressentiments zu schüren, ist das purer Fremdenhass. Beim Thema Beschneidung haben wir dies selbst aus akademisch gebildeten Kreisen erlebt.
Seit dem Mittelalter haben Juden in Deutschland unter Pogromen gelitten, später kam der Holocaust. Wenn Sie in die Zukunft blicken: Ist die Gefahr gebannt?
Derzeit sehe ich diese Gefahr nicht. Aber ich bin kein Hellseher.
Seit November 2014 ist der Würzburger Josef Schuster Präsident des Zentralrats der Juden. (Imago/epd)
Am Rand der Welt
Auf Spitzbergen leben mehr Bären als Menschen
Von Burkhard Ewert
Nirgendwo lässt es sich so leicht in hochpolare Breiten gelangen wie auf Spitzbergen. Norwegen will, dass sich auf der Inselgruppe erstmals eine reguläre Siedlung entwickelt, fördert den Tourismus und die Forschung.
Spitzbergen führt die Menschen seit je her an ihre Grenzen. Da war Willem Barents, der die entlegene Inselgruppe Ende des 16. Jahrhunderts auf der Suche nach einer schiffbaren Asien-Passage entdeckte. Einen Winter lang überlebte er im Eis; kurz vor der Rettung starb er. Da war Fridtjof Nansen, dessen Weg hier endete, nachdem er sich mit seiner Fram im östlichen Polarmeer vergeblich hatte einfrieren lassen, um per Drift den Nordpol zu erreichen. Da war Eis-Legende Roald Amundsen, die von hier aus zum Pol startete und später auf dem Weg zur Insel spurlos verschwand. Und da war die Deutsche Arktische Expedition von 1912, die über Spitzbergen nicht hinauskam und in seinen Fjorden in einem tödlichen Desaster endete.
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