Das NOZ-Magazin 2015. Neue Osnabrücker Zeitung
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Eine schwere Zeit erlebte die Wahl-Haselünnerin Irmela Schröck, nachdem sie ihrer Cousine zur Flucht verholfen hatte. (Carola Alge)
Der Wolf ist zurück – und nun?
Zwischen Angst und Verklärung: Eine Spurensuche im Emsland
Von Tobias Böckermannp
Der Wolf ist nach Deutschland zurückgekehrt und er breitet sich in rasantem Tempo aus. 2013 hat die erste Fähe das Emsland erreicht, und mit ihr begann auch hier eine Diskussion darüber, ob der Wolf willkommen ist oder nicht. Sie lässt sich auf vielen Feldern führen, man kann sie sachlich gestalten oder polemisch.
Björn Wicks ist Faktensammler und damit eine seltene Spezies Mensch, wenn es um die Rückkehr des Wolfes geht. Denn wenn es um den als Isegrim verunglimpften Wolf geht, steht urängstliche Ablehnung nicht selten romantischer Verklärung gegenüber. Beides ist nicht Wicks Sache. Er ist Förster beim Bundesforstamt und hat sich vor zwei Jahren, als der erste Wolf auftauchte, zum Wolfsberater ausbilden lassen. „Dass er mich bei meiner Arbeit beschäftigen würde, war klar. Und er interessierte mich“, sagt Wicks.
Seit einem Lehrgang ist er Wolfsberater für die Wehrtechnischen Dienststelle 91 (WTD) und den Bombenabwurfplatz Nordhorn-Range. Regelmäßig macht er sich hier auf Suche nach dem geschnürten Trab, nach noch dampfenden Wolfshaufen oder einem Riss. Je frischer, desto besser, denn dann kann Wicks versuchen, Genmaterial vom Wolf zu nehmen. Am Ende trägt seine Arbeit dazu bei, mehr zu erfahren über das Wanderverhalten und die Verwandtschaftsverhältnisse des jungen deutschen Bestandes. Der Förster sucht Spuren einer Wölfin, die fast unbemerkt schon länger im Emsland und der Grafschaft Bentheim lebt. Und er will wissen, ob sie noch alleine ist.
Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen – für die WTD zwischen Meppen und Sögel könnte dieses Sprichwort erfunden worden sein. 19200 Hektar umfasst der Schießplatz mit seinen Mooren, Wäldern, Bunkern und Abschussrampen. Und auch wenn in der Mitte die Tinner Dose die Sicht ins endlose Moor freigibt, ist jeder Überblick über das Wolfsland doch nur vorgegaukelt. Björn Wicks jedenfalls hat zwischen Bentgras, Heide und Birkenhain noch keinen einzigen wilden Wolf zu Gesicht bekommen. An diesem Märznachmittag soll sich das ändern, vielleicht. Wicks steuert seinen VW Amarok auf den Schießplatz, mit den Schweißhunden Selma und Edna auf dem Rück- und einem Zeitungsreporter auf dem Beifahrersitz. Los geht es auf eine „Tour de Wolf“, einmal rund um die 3500 Hektar große Tinner Dose.
„Wölfe können weit laufen“, sagt Wicks, während sein Geländewagen losschaukelt, „die Reviere sind riesig“. Pro Tag sind 70 oder 80 Kilometer drin, ermöglicht durch eine Art Energiespargang, den geschnürten Trab. Wölfe setzen dabei die Vorderfüße direkt voreinander, die Hinterpfoten werden in den Abdruck der Vorderpfote gesetzt. So entsteht eine lange gerade Linie. Diese Gangart unterscheidet den Wolf eindeutig vom verspielten, unsteten Rennen eines Hundes. Nur eine 200 Meter lange Trabspur gilt als Wolfsnachweis, Einzeltatzen nützen nichts.
Wicks will deshalb gezielt die Sandwege um die Tinner Dose absuchen. Ein geschnürter Trab wäre ein sogenannter bestätigter Hinweis auf einen Wolf und ein weiterer Mosaikstein auf dessen Ausbreitungskarte. Dass sich der Antiheld zahlloser Fabeln in natura zeigen könnte, daran glaubt Wicks nicht wirklich. Er steuert einen lichten Kiefernforst an, und es geht in den Wald. Weiße Haare liegen auf dem Boden verstreut, dazu zwei Unterkiefer. „Ein junges Stück Damwild“, erkennt der Förster. Vor Wochen gefressen vom Wolf. „Er interessiert sich nicht so sehr für Mäuse oder Kaninchen“, sagt Wicks, der auch Jäger ist. „Der Wolf mag Rehe, Wildschweine und Damwild.“
Seit zwei Jahren tummelt sich ein Tier auf dem Schießplatz und hatte auf den Damwildbestand bisher keinen Einfluss, berichtet Wicks. Vor ein paar Wochen wurde bei einer Gemeinschaftsjagd an verschiedenen Orten innerhalb kurzer Zeit jeweils ein Wolf beobachtet, und „wir dachten, es könnten jetzt zwei Individuen sein. Aber Beweise ergaben sich noch nicht“, sagt Wicks.
Dank der Auswertung von Genmaterial, das an Damwildrissen und Losung genommen werden konnte, ist allerdings klar, dass schon mindestens zwei Fähen, also weibliche Wölfe, den Weg aus Ostniedersachsen in die Region gefunden haben. Wölfe verstoßen ihre Jungtiere nach spätestens zwei Jahren, und diese wandern dann auf der Suche nach einem eigenen Revier Hunderte Kilometer. Eine erste Wölfin erreichte also 2013 das Emsland und tappte bei Haren in eine Fotofalle. 2014 konnte man dann eine andere Fähe sowohl auf dem Schießplatz Nordhorn-Range als auch auf der WTD 91 nachweisen. Ob Wölfin eins auch noch vor Ort ist und ob es weitere Tiere gibt, das weiß niemand wirklich sicher.
Deshalb ist Björn Wicks den Wölfen auf der Spur, fährt nun auf einen Sandweg, der um das große Hochmoor herumführt. Er schaut wahlweise aus dem Fenster oder durch die geöffnete Fahrertür auf den Boden. So will er Wolfsspuren sichten, aber er entdeckt nur Schalenabdrücke von Damwild oder Rehen. Weiter geht es auf die Staverner Seite der Dose, und irgendwann entdeckt der Forstmann tatsächlich eine Fährte. Von der Landesjägerschaft Niedersachsen hat er eine Wolfsberatertasche mit allerlei Utensilien erhalten, aus der er nun dünne bunte Markierungsstifte herausnimmt. Wicks steckt sie in den Sandboden – an jedes Trittsiegel einen, und man erkennt schnell, dass die Spur ungerade verläuft. „Das ist eher Deutsch Drahthaar als Wolf“, tippt Wicks auf einen Jagdhund. Er will schon weiterfahren als er doch noch einige sehr große Tatzen entdeckt. Sein Zollstock weist zwölf Zentimeter Länge aus: „Das könnte ein Wolf gewesen sein“, meint er. „Aber selbst wenn: Das ist eine Galoppspur und nicht verwertbar.“ Wicks braucht ja den geschnürten Trab.
Weiter geht es zur letzten Etappe der Rundfahrt zurück auf die Harener Seite der Tinner Dose, vorbei an Standorten, an denen der Wolf gesehen wurde. Aber nichts. Ein paar Tage später ruft der Förster an: Am WTD-Rand bei Emmeln hat ein Försterkollege einen Hirschkadaver gefunden, Wicks will ihn untersuchen. Auf einem Rapsacker liegt das Tier, stark befressen von fast allen Seiten. Mehr als die Hälfte des Fleisches ist vertilgt, in der Kehle klafft ein Loch. Aber war es der Wolf?
Wicks vermisst Schleifspuren, macht Fotos, begutachtet die stark abgeschliffenen Zähne der Hirschkuh. „Deutlich älter als fünf Jahre“, sagt er. Vor 24 bis 48 Stunden hat der tödliche Kampf stattgefunden, bei dem das alte Stück mit Wucht in den Hals gebissen wurde. „Wolfstypisch“, sagt er, „die Tiere sind sofort tot.“ Aber um sicherzugehen, schärft Wicks mit einem Messer das Fell ab. „Das ist wichtig, weil ein Wolf charakteristische Bissmale verursacht, die besser zu sehen sind, wenn die Decke runter ist.“ Bedeutsam ist diese Unterscheidung spätestens dann, wenn Schafe gerissen werden und die Besitzer eine Entschädigung erwarten. Denn die gibt es nur, wenn ein Wolf nachgewiesen ist.
Wicks entdeckt nur ein charakteristisches Reißzahnloch. „Beide wären besser, dann könnte man den Abstand messen.“ Aber er geht dennoch davon aus, dass ein Wolf am Werk war. Die Gegebenheiten sind einfach zu typisch. Einen zweiseitigen Fragebogen gilt es auszufüllen, eine Stunde vergeht. Die endgültige Bewertung der Dokumentation wird dann von Fachleuten in Brandenburg vorgenommen. Ein Puzzleteil mehr bei der Vermessung des deutschen Wolfes.
Die Daten der niedersachsenweit 114 ehrenamtlichen Wolfsberater sind wichtig, um die Ausbreitung des Wolfes möglichst realistisch verfolgen zu können. Denn nur wer Bestand, Verhalten und Entwicklung kennt, kann sachkundig und ideologiefrei entscheiden, wie es mit dem Wolf weitergehen soll. Wicks jedenfalls