Volkswagen – Auf dem Weg zur Weltspitze. Frank O. Hrachowy
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1968 stimmten die Zahlen bei VW wieder, die kurzzeitige Rezession war überstanden. Doch so richtig zufrieden konnte die Konzernleitung nicht sein: Der Käfer hatte zweifellos seine beste Zeit hinter sich und die Verkaufszahlen des Typ 3 lagen weit hinter denen des Typ 1. Das Ende des im Gegensatz zu seinem Vorgänger völlig glücklosen neuen Karmann Ghia 1600 (Typ 34) wurde bereits im Sommer 1968 beschlossen und die Fertigung eingestellt. Lediglich 42.505 Fahrzeuge waren gebaut worden. Kurios dabei: Der alte Karmann Ghia (Typ 14), der bereits seit 1955 im Programm war, sollte weitergebaut und sogar modellgepflegt werden.
Einen weiteren Grund für die verhaltene Stimmung lieferte das neue Mittelklassemodell VW 411, das 1968 auf den Markt gekommen war. Der ebenfalls mit luftgekühltem Boxermotor und Heckantrieb gebaute VW 411 (Typ 4) wurde seiner Rolle als Limousine der gehobenen Mittelklasse in keiner Weise gerecht, was sich in den schlechten Verkaufszahlen widerspiegelte. Bei einem Vergleichstest des Fachmagazins AUTO MOTOR UND SPORT belegte das neue Modell gar den letzten Platz aller sechs getesteten Fahrzeuge.4
Ein Fachautor brachte es auf den Punkt: »Verglich man den 411 mit allen Konkurrenten seiner Klasse, so fiel auf, daß er der einzige mit Luftkühlung und Heckmotor war; der teuerste und größte aller VWs. [...] Ansonsten war er einfach nicht auf dem Niveau der betrachteten Hubraumklasse, vor allem nicht in seinen Fahrleistungen. Und in Deutschland begann man sich laut zu fragen, ob VW weiterhin als Zentralfigur des wirtschaftlichen Aufschwungs bewertet werden könne.«5
»Der Große aus Wolfsburg« (VW-Werbeslogan) verfügte immerhin über eine moderne selbsttragende Karosserie, allerdings war er sogar teurer als der jüngst präsentierte Audi 75. Hinzu kam: Wer sich als Interessent einen VW 411 in den Ausstellungsräumen von VW ansah, ging nicht selten als Käufer eines neuen, deutlich moderner konzipierten Audi 100 wieder hinaus. Dass viele VW-Betriebe auch Fahrzeuge von Audi verkauften, machte sich in einem direkten und für die Schwestermarke VW teuren Kannibalisierungseffekt bemerkbar.
Ein Grund zur Trauer war für viele Wolfsburger der Tod von Ex-Konzernlenker Heinrich Nordhoff, der seit 1948 als Generaldirektor der Volkswagenwerk GmbH und seit dem Jahr 1960 als Vorstandsvorsitzender der Volkswagenwerk AG fungiert hatte. »Mister Volkswagen«, wie er anerkennend genannt wurde, hatte VW nach dem Krieg zur jetzigen Größe geführt. Neuer VW-Chef wurde Dr. Kurt Lotz, der am 1. Mai 1968 den Posten des Vorstandsvorsitzenden der Volkswagenwerk AG übernahm.
Kooperation mit Porsche
Volkswagen stand für Zuverlässigkeit und Solidität – als innovativ oder sportlich wurde die Marke nicht angesehen. Das wollten die Verantwortlichen ändern, weshalb schon in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre der Beschluss gefasst worden war, gemeinsam mit Porsche einen bezahlbaren Sportwagen zu bauen. Welche positiven Auswirkungen solch ein »Einstiegssportwagen« für das Markenimage mit sich bringen konnte, machte Opel mit dem neuen Modell GT vor, das 1968 auf den Markt gekommen und enthusiastisch aufgenommen worden war. Das Erfolgsrezept des Opel GT war simpel: Über biedere, ausgereifte Großserientechnik war eine attraktive Blechhülle gestülpt worden, die den Zweitürer zumindest optisch zu einem Sportwagen machte. Der Opel GT leistete dabei in seiner stärksten Version gerade einmal 90 PS (66 kW).
Diese beschlossene Kooperation von VW und Porsche barg für beide Hersteller Potenzial: Während VW damit die biedere Produktpalette durch ein Sportmodell ergänzen würde, könnte Porsche neben dem teuren Modell 911, das 1964 den Porsche 356 abgelöst hatte, ein preisgünstiges Einstiegsmodell auf den Markt bringen. Ein solches Einstiegsmodell war für Porsche dringend nötig, denn der »Sparporsche« 912, ein ausstattungsreduzierter 911er mit dem alten Vierzylindermotor des 356, wurde von den Kunden nicht wie erhofft angenommen.
Im Herbst 1969 kam schließlich der VW-Porsche 914 (Typ 47) als Zweisitzer (mit einem Notsitz zwischen Fahrer und Beifahrer) auf den Markt. Konzipiert war der VW-Porsche als Mittelmotorfahrzeug, das durch eine niedrige Gürtellinie sehr breit und durch seine Klappscheinwerfer durchaus sportlich wirkte. Charakteristisch für den VW-Porsche war sein Targa-Dach aus Kunststoff, das ihn fast zu einem Cabrio machte. Das Dach konnte nach der Demontage im hinteren Kofferraum verstaut werden. Für Gepäck blieb dann nur noch ein kleiner Stauraum in der Fahrzeugfront.
Erhältlich war der VW-Porsche in zwei Versionen: Einmal als Modell 914/4 mit dem 80 PS leistenden 1,7-Liter-Vierzylinder-Boxermotor mit Einspritzung aus dem neuen VW 411 E; darüber hinaus als 914/6 mit dem 110 PS starken 2,0-Liter-Sechszylinder-Boxermotor des Porsche 911 T. In beide Modelle wurde serienmäßig ein 5-Gang-Getriebe verbaut. Um den 914/6 als »richtigen« Porsche gelten zu lassen, wurde er direkt bei Porsche in Stuttgart-Zuffenhausen produziert, während der 914/4 bei Karmann in Osnabrück vom Band rollte.
Doch der gemeinschaftlich entwickelte Wagen hatte einen schwierigen Start, denn Verarbeitungsmängel und Rostanfälligkeit brachten den VW-Porsche schnell in Misskredit. Schlimmer aber war der Streit zwischen Porsche und VW um die Vermarktungsrechte. Aus der Not heraus wurde für den Verkauf des Modells schließlich eine neue Firma gegründet, die »VW-Porsche Vertriebs GmbH« mit Sitz in Ludwigsburg. Hinzu kam, dass der preisliche Abstand zwischen dem VW-Porsche 914/6 und dem Porsche 911 viel zu gering ausgefallen war, so dass sich nur wenige Porsche-Kunden für den stärkeren VW-Porsche entschieden. Kurz gesagt: Für Porsche hatte sich diese gemeinsame Entwicklung nicht ausgezahlt.
Und noch ein weiteres Modell kam 1969 von VW: der »Kurierwagen« (Typ 181), besser bekannt als »Kübelwagen«. Auftraggeber war die Bundeswehr, die ein Nachfolgemodell zum zweitaktenden Altmodell DKW Munga (»Mehrzweck-Universal-Geländewagen mit Allradantrieb«) benötigte. Dieses rustikale Modell fand durch seine Robustheit und das Fehlen eines festen Daches bald auch außerhalb des militärischen Einsatzes seine Käufer. Vor allem in der Alternativen- und Hippieszene der USA erreichte der Typ 181 unter dem Namen »The Thing« bald Kultstatus. Zur Konzeption und Technik des Typ 181 konkretisiert der VW-Konzern auf seinem Portal VOLKSWAGEN CLASSIC:
»Erstaunlicherweise besteht das Lastenheft nicht auf Vierradantrieb. So können die Entwicklungsingenieure in den großen Volkswagen Baukasten greifen: Vom Karmann Ghia Typ 14 kommt die überarbeitete Plattform, vom Käfer 1500 stammen die abgeänderte Vorderachse, der Motor und die Kupplung, die Lenkung und die Instrumente, vom Transporter Typ 2 T1 (und nicht von dessen Nachfolger) das Getriebe und die Hinterachse mit dem seltenen Radvorgelege, das Bodenfreiheit und Übersetzung erhöht. Optional wird ein Sperrdifferenzial angeboten. Mit diesem Paket soll auch unter militärischen Bedingungen die nötige Geländetauglichkeit gewährleistet sein.«6
1969 vergrößerte sich der Volkswagen-Konzern abermals: Die beiden Firmen Auto Union GmbH und NSU-Motorenwerke AG wurden zur Audi NSU Auto Union AG zusammengeschlossen. Nach dem Zusammenschluss hielt VW 59,9 Prozent der Firmenanteile der neuen Gesellschaft, doch bald schon waren 99,9 Prozent der Anteile im Besitz von VW. Damit stand dem VW-Konzern die komplette Fahrzeugpalette von NSU zur Verfügung. Darunter war der 1967 eingeführte, technisch und optisch futuristische NSU Ro 80 mit seinem von Felix Wankel entwickelten Kreiskolbenmotor. Wirtschaftlich interessanter aber war die nahezu fertig entwickelte Mittelklasse-Limousine K 70, die mit ihrem wassergekühlten Frontmotor einen modernen Gegenentwurf zur antiquierten VW-Modellpalette darstellte.
1970–1979: Existenzkrise und Wandel
Zweifelsohne hatte der verstorbene Heinrich Nordhoff die Volkswagenwerk AG lange Zeit auf dem richtigen Kurs gehalten. Doch schon während seiner Amtszeit wurden die Stimmen immer lauter, die sich gegen den VW Käfer aussprachen und eine Neuorientierung forderten. Diese Neuorientierung sollte nicht nur die Modellpalette