Volkswagen – Auf dem Weg zur Weltspitze. Frank O. Hrachowy
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In Folge traten Unternehmensleitung und Gewerkschaft in lange Verhandlungen. Dabei wurde für das Frühjahr 1974 Kurzarbeit vereinbart. Auch die Aktionäre wurden für das Jahr 1974 auf rote Zahlen vorbereitet, allerdings erhielten sie trotz unverändert im Wert fallender VW-Aktien für das Jahr 1973 noch eine Dividende von 4,50 Mark (ca. 2,25 Euro). So ging nicht nur bei VW das Jahr 1973 wirtschaftlich trostlos zu Ende, zumal eine Besserung der Krise nicht in Sicht war. Die Hoffnung lag auf den angekündigten neuen Modellen, für die der Passat den Weg bereitet hatte. Als nächster Coup wurde der Serienanlauf des Entwicklungsmodells EA 337 erwartet. Der endgültige Name für das kompakte Volkswagenmodell war mittlerweile auch schon bekannt geworden: »Golf« sollte es heißen.
Tatsächlich war es langsam an der Zeit, dieses Projekt zu einem Ende zu bringen, denn seit mehreren Jahren wurde an einem Nachfolger des VW Käfer mehr oder minder fruchtlos herumentwickelt. Die Geschichte des VW Golf hatte eigentlich schon im Mai 1968 begonnen, als VW-Konzernlenker Heinrich Nordhoff 36 Prototypen und Styling-Studien ohne Motor für einen Käfer-Nachfolger hatte konzipieren lassen. Doch es wurde bald klar, dass Nordhoff eigentlich keine rechte Notwendigkeit zur Ablösung des Typ 1 sah. Erst sein Nachfolger Kurt Lotz hatte Ende 1969 den Projektstart für ein Nachfolgemodell festgelegt, das technisch und optisch nichts mehr mit dem VW Käfer gemein haben sollte.
Unterdessen wurde das Gerücht immer lauter, dass das Ausgangsmodell des VW Golf in der DDR entwickelt worden sei. So absurd diese Behauptung klang, so machten die vorgelegten Fotographien des DDR-Ausgangsmodells doch stutzig. Unbestreitbar war beispielsweise, dass die kantig geformten Prototypen des Kompaktwagens Trabant P603 mit Fließheck und MacPherson-Fahrwerk konzeptionell sehr nahe am neuen Golf lagen. Ausgerüstet worden waren die Trabant-Prototypen mit neun verschiedenen Motoren, angefangen von alten Zweitakt- über Viertaktaggregaten bis hin zu einem Wankelmotor.
Unstrittig war auch, dass das ostzonale Politbüro die Weiterentwicklung des Fahrzeugs für den DDR-Markt offiziell 1967 gestoppt hatte – somit zeitlich genau vor dem Beginn der ersten Entwicklungsarbeiten am VW Golf.20 Eigenartig war zudem, dass auch der VW Passat den Prototypen des Fließheck-Modells 355 des zweiten großen Automobilherstellers der DDR, dem VEB Automobilwerk Eisenach, verblüffend ähnlich sah. Und seltsam war auch hier wieder der zeitliche Zusammenhang, denn obwohl die Arbeiten an den Wartburg-Prototypen weit fortgeschritten waren, war auch hier die Entwicklung auf Weisung des Politbüros 1968 plötzlich eingestellt worden.21
So machte das Gerücht die Runde, dass ein hochrangiger Mitarbeiter des Fahrzeugwerks VEB Sachsenring bzw. des VEB Automobilwerks Eisenach mit den Konstruktionsplänen in die BRD geflohen sei. Ein anderes Gerücht besagte, dass die Pläne des schon weit entwickelten Fahrzeugs heimlich an VW verkauft worden seien, um Devisen in die wirtschaftlich darbende DDR zu bringen. Andere berichteten von geheimen Testfahrten der VW-Ingenieure, die die Prototypen ausgiebig im Umland der DDR-Fahrzeugwerke testeten. Indes: Im Osten wie im Westen wurde zu diesen Gerüchten kategorisch geschwiegen [...].
Der mit dem VW K 70 und dem VW Passat eingeläutete Wandel setzte sich bei VW nicht nur fort, er steigerte sich mit der Markteinführung einer komplett neuen Modellpalette. Dem erfolgreich etablierten Passat folgte im Frühjahr 1974 das 2+2-sitzige Sportcoupé Scirocco (Typ 53 Coupé) als Nachfolger des betagten Karmann Ghia Typ 14. Straff, mit klaren Kanten und ohne Schnörkel gezeichnet, folgte der Scirocco einer neuen Ästhetik, die mit der Formgebung des Karmann Ghia nichts mehr gemeinsam hatte. Die Eleganz und Noblesse hingegen, die dem Karmann Ghia zu Eigen waren, ließ das neue Sportcoupé vermissen.
Als Mitglied der neuen Modellfamilie verfügte der Scirocco ebenfalls über einen wassergekühlten, quer eingebauten Frontmotor sowie Vorderradantrieb. Entwickelt worden war der ebenfalls von Giorgetto (Giorgio) Giugiaro gestaltete Scirocco bei Karmann in Osnabrück, wo er auch gebaut werden sollte. Die technische Basis für den Scirocco bildete der neue VW Golf, der in den Startlöchern stand und dessen Markteinführung mit Spannung erwartet wurde.
Natürlich war auch der Scirocco in das neue, kostensparende Baukastensystem eingebunden. Hierzu wurden in einem VW-internen Besprechungsbericht folgende Gleichteile festgelegt: »Zum Lieferumfang von Volkswagen und damit zu den Gleichteilen mit dem späteren Golf zählten Motor, Motor-Elektrik, Getriebe und Kupplung, Aggregate-Lagerung, Lenkung, Hinterachse, Bremsen, Hand- und Fußhebelwerk, Kraftstoffbehälter, Räder und Reifen, Schlösser, Griffe, Dichtungen, Fensterheber und Scharniere, Heizung und Lüftung sowie die Elektrik.«22
Das 2+2-sitzige Coupé startete mit drei verschiedenen Motoren, die 50, 70 oder 85 PS (37, 51 oder 62 kW) leisteten. Im Gegensatz zu den Motoren im Opel Kadett waren alle VW-Motoren moderne Konstruktionen mit Zahnriemen und obenliegender Nockenwelle. Hinzu kamen die drei Ausstattungsvarianten N als Grundmodell, L mit mehr Luxus, darüber S und TS mit stärkeren Motoren und aufgewerteter Ausstattung. Das Sportmodell TS verfügte obendrein über markante Doppelscheinwerfer anstatt der Rechteckleuchten.
Zum schwierigen Serienanlauf des Scirocco bei Karmann schreibt VW: »Allerdings konnte die ursprünglich geplante Anlaufkurve von annähernd 70 Fahrzeugen pro Tag nicht gefahren werden, da die Materialversorgung aufgrund von Lieferschwierigkeiten nicht für diese Stückzahlen ausreichte. Nach nur vier Produktionswochen musste der Ausschuss für Produktplanung dem Vorstand berichten, dass aufgrund von zulieferungs- und organisationsbedingten Schwierigkeiten weniger als die Hälfte der ursprünglich geplanten 1.200 Fahrzeuge bei Karmann vom Band gelaufen waren. Keines der 524 im Februar 1974 produzierten Fahrzeuge hatte den Zählpunkt 8 und damit die den Fertigungsprozess abschließende Qualitätskontrolle überquert. Fehlteile, aber auch Montagefehler sorgten dafür, dass sämtliche in den ersten acht Wochen der Serienfertigung produzierten Fahrzeuge noch komplettiert werden mussten. Die Abstellplätze füllten sich.«23
Schon am 29. März begann in Wolfsburg die Serienproduktion des Kompaktmodells Golf. Die Fertigung des VW Käfer, der parallel zum Golf im Verkaufsprogramm blieb, wurde nach Emden und Hannover verlagert. Theoretisch gesehen waren VW Käfer und VW Golf in der gleichen Fahrzeugklasse positioniert – aber optisch, technisch und auch vom Image her gab es nicht viele Gemeinsamkeiten. Kurios: Um Baukosten zu sparen, wurden die ersten Golf in der 50 PS-Variante an der Vorderachse mit Trommelbremsen ausgerüstet, womit gleichzeitig der Bremskraftverstärker entbehrlich wurde. Erst ab April 1975 sollten serienmäßig Scheibenbremsen vorne und ein Bremskraftverstärker eingebaut werden.
Wie wichtig es war, den Golf im Reigen der Wettbewerber möglichst kostengünstig zu positionieren, zeigt ein Interview mit seinem Designer Giorgetto Giugiaro. Auf die Interviewfrage, warum denn die eckigen Scheinwerfer der ersten Entwürfe des Golf in der Serienfertigung durch runde Exemplare ersetzt wurden, antwortet der italienische Designer ganz unverblümt: »Ja, tatsächlich eine wesentliche Änderung – aus Kostengründen. Rundscheinwerfer waren damals erheblich preiswerter in der Herstellung als rechteckige. Ursprünglich hatte ich die Rechteckscheinwerfer in Dimension und Anordnung als Spiegelbild der Heckleuchten vorgesehen. Aber das kostete zu viel, und so musste ich die runden Scheinwerfer nehmen.«24
Insgesamt war das VW-Lager zweigeteilt: Einige Mitarbeiter, Händler und Kunden sahen immer noch keine rechte Notwendigkeit für ein hauseigenes Konkurrenzmodell zum bewährten Käfer – viele Andere hingegen hatten mittlerweile erkannt, dass das Käfer-Konzept in jeder Hinsicht an seine Grenzen gestoßen war. Technisch konkreter: Auch wenn die Vorderachse des Käfer jüngst auf Scheibenbremsen und MacPherson-Federbeine umgerüstet worden war, änderte das nichts an der