Harriet. Kristina Schwartz

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Harriet - Kristina Schwartz Joe & Johanna Trilogie

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Schritt und mit einem Mal erkannte sie, was ihre Augen schon die gesamte Zeit über wahrnahmen - eine Zwangsjacke. Aus grobem Leinen oder Segeltuch gearbeitet, an den Enden der Ärmel noch mit Leder verstärkt. Massive Schnallen, die mit dreifach vernähten Lederriemen geschlossen wurden. Einer dieser Riemen lief zwischen den Beinen hindurch um die Trägerin am Abstreifen der Jacke zu hindern. Als wäre das nicht schon genug, waren die Oberarme noch mit einem Strick an den Körper geschnürt und die Beine an den Knöcheln zusammengebunden. Lang und strähnig hing das schwarze Haar vom Kopf. Jetzt erst fiel ihr auf, dass im Nacken eine schwarze Krawatte verknotet war, die offensichtlich als Knebel diente.

      Sie schreckte zurück, als sie den Strick bemerkte, der straff um den Hals geschlungen war und zu einem monströsen Haken an der Decke führte.

      Verdammt, was sollte das alles? Wo war sie? Joe was tust du hier? Wie bist du hier überhaupt hergekommen?

      Die Frau im Raum konnte schwerlich auf ihren Füßen stehen, da ihre Zehenspitzen kaum den Boden berührten. Vielmehr hing sie von der Decke, was die seltsame, abschreckende Körperhaltung erklärte.

      "Hallo?", fragte Joe leise und stupste mit dem Zeigefinger gegen ihren Rücken.

      Nichts rührte sich. Kein Zucken, kein Stöhnen, kein Anzeichen von Leben.

      Joe, tu doch was, du musst sie da runterschneiden!

      Und wie?

      Sie suchte den Raum ab, nach einem Messer, einer Säge, einer Axt. Doch außer ihr und der Frau schien nichts und niemand zu existieren. Sie rannte auf und ab, starrte in den düsteren Gang, der sie hergeführt hatte, konnte aber auch dort nichts ausmachen, was sie möglicherweise verwenden hätte können. Dann warf sie einen verächtlichen Blick in das Gesicht dieser Frau, als wolle sie ihr zu verstehen geben, was sie ihr mit dieser Erhängten-in-der-Zwangsjacke-Nummer für Schwierigkeiten bereitete.

      "Oh, mein Gott", stieß sie hervor, ehe die Beine unter ihr nachgaben und sie zusammensackte, den Eindruck dieses schmerzverzerrten Frauengesichts auf ewig in ihr Gedächtnis gebrannt.

      Wie von der sprichwörtlichen Tarantel gestochen schreckte Joe, an der das schweißnasse Leintuch wie mit Sekundenkleber befestigt haftete, aus ihrem Traum hoch. Mit aufgerissenen Augen starrte sie in das Dunkel des Schlafzimmers. Ihr Atem ging keuchend und unregelmäßig. Ein zarter Mädchenduft, der so gar nicht in die Situation passen wollte, kroch ihr in die Nase.

      "Was is', mein Schatz" rekelte sich Sandra neben ihr. In ihre Decke bis über die Ohren eingerollt sah sie aus wie eine ägyptische Mumie.

      "Es ist ... nichts", sagte Joe nach einer Weile.

      "Dann is' gut", drehte sich Sandra auf die andere Seite und vergrub das Gesicht in ihrem Kopfpolster.

      Gar nichts ist gut, dachte Joe, und nahm ein paar Tropfen Bachblüten von ihrem Nachttisch.

      *

      Als der Smartphone-Wecker Joe brutal aus dem seichten Schlaf riss, waren sie sofort wieder zur Stelle, ihre Erinnerungen an den furchtbaren Albtraum, der sie während der Nachtstunden heimgesucht und ihre so harmlosen Gedanken und kaum vorhandene Fantasie bis zum Äußersten strapaziert hatte. Ihre schlimmsten Ängste hatten, unglaublich real, vor ihrem geistigen Auge Gestalt angenommen, hatten ihr gezeigt, dass das Spiel mit Seilen kein ungefährliches war und dass Vertrauen eine unabdingbare Voraussetzung für das war, was Sandra und sie teilten und sie selbst, nach anfänglicher Ablehnung, mittlerweile doch lieb gewonnen hatte: das Spiel, sich der Liebsten auszuliefern, sich ihr zu unterwerfen, sich komplett fallen zu lassen und die Verantwortung für den eigenen Körper abzugeben.

      Das sonst so angenehme Prickeln, das sie bei diesen Gedanken üblicherweise verspürte, wurde diesmal allerdings von Gänsehaut und einem undefinierbaren Knoten in ihrem Magen abgelöst. Joe schlich sich wie jeden Morgen, an dem Vormittagsordination war, aus dem Schlafzimmer und ließ ihrer Geliebten noch ein paar Stunden auf Wolke sieben. Sie machte sich mit ihrer Espressomaschine - ohne N vor dem Espresso -, die noch ohne Strom und Kapseln, nur mit Wasser, gemahlenem Kaffee und einer heißen Herdplatte funktionierte, Kaffee. Widerwillig schlang sie eine Banane hinunter, von der sie hoffte, dass sie auch unten bleiben würde. Ihrer Handtasche entnahm sie, nachdem sie jedes noch so kleinste Seitenfach durchstöbert hatte, eine zerknitterte Schachtel mit den beruhigenden Filmtabletten, die Baldrian und Hopfenextrakt enthielten. Als sie eine davon mit dem Kaffee runterspülte, dämmerte es ihr erst, dass es nicht besonders gescheit war, eine beruhigende Tablette mit einem aufputschenden Getränk zu nehmen. Spontan drückte sie noch eine zweite aus der Verpackung und spülte sie gleich hinterher. Das Medikament beeinträchtigte zwar die Reaktionsfähigkeit, doch in ihrem zarten Nervenkostüm konnte sie darauf nun wirklich nicht Rücksicht nehmen.

      Wie ferngesteuert setzte sie sich in ihren Smart. Sie konnte sich nicht erinnern, im Bad gewesen zu sein und sich angezogen zu haben. An sich hinabblickend stellte sie beruhigt fest, dass sie mangels Kreativität wohl automatisch zu ihrer Standardgarderobe gegriffen hatte: einer an den Schenkeln nicht zu eng sitzenden Sommerhose in pastellem Hellblau und einer orangefarbenen Bluse. Sie startete den Wagen. Die Gleichmäßigkeit, mit der der Motor ihr auch akustisch zu verstehen gab, dass er zuverlässig seinen Dienst versah, machte sie bald schläfrig. Wie absurd ihr plötzlich dieser Traum erschien. Er konnte doch gar nichts mit der Realität zu tun haben, oder doch? Der Raum, den sie so genau vor sich gesehen hatte, war in der Mühle gewesen. Doch es gab in deren Keller nicht einen Raum, der auch nur annähernd wie das Gewölbe aus ihrem nächtlichen Hirngespinst aussah. Im Keller der Mühle gab es - so fing es schon einmal an - gar kein Gewölbe.

      Dann hatte sie noch eine Zwangsjacke gesehen, so genau und detailliert, als wäre sie vor ihr gelegen. Unvermittelt sah sie wieder den Riemen vor sich, der tief zwischen den Pobacken der Gefesselten verschwand. Eine Übelkeit, als hätte sie bereits zwei Wochen gegen Windstärke zwölf vor Kap Hoorn angekämpft, trieb ihr die Blässe einer Leiche ins Gesicht. Hatte da gerade jemand gehupt? Oder war das schon vor Minuten geschehen? Joe konnte weder das eine noch das andere bestätigen bzw. ausschließen. Gedankenverloren blickte sie in den Rückspiegel. Sie spürte, wie sich selbst unter der langärmeligen Bluse die Härchen an ihren Armen aufrichteten. Nie im Leben würde Joe so eine Jacke freiwillig anziehen.

      Womöglich hat die Frau in deinem Traum sie nicht "freiwillig" angezogen?

      Möglich. Ganz bestimmt sogar.

      Intensiv versuchte sie nachzudenken. Nein. Sie kannte ihres Wissens niemanden, der eine solche Jacke besaß oder besitzen könnte. Nicht einmal annähernd.

      Dann war da noch dieses schwarze, so unnatürlich glänzende Haar dieser Frau. Noch nie zuvor hatte Joe im realen Leben Haare gesehen - egal in welcher Farbe -, die bei künstlichem Licht so intensiv schimmerten.

      Vermutlich, weil es nur ein Traum war, Joe.

      Ja, vermutlich, versuchte sie sich selbst zu beruhigen.

      Aber ... warum hab' ich dann die Jacke so genau vor mir gesehen, so plastisch, so real, dass ich sie hätte anfassen können?

      Tja ...

      Ups. War das nicht eine Achtziger-Beschränkung gewesen? Dann bist du ja schon beinah da. Jetzt nur nicht die Abfahrt Strebersdorf verpassen, sonst kannst du wieder mühsam schauen, wo du in dem Straßengewirr umdrehen kannst.

      Joe sah auf ihre Finger, die eiskalt und zitternd das Lenkrad umklammerten, dass die Knöchel weiß hervortraten. Das was sie wirklich fertig machte, was sie nicht mehr fähig war aus ihrem Gehirn zu vertreiben, war dieses furchtbar schmerzverzerrte Gesicht dieser Frau, dieses leblose, starre Gesicht - Sandras

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