Tara - Die Reise zum Ich. Anjana Gill
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An der Fährstation blieb ich schließlich stehen und schaute in den Fluss. Die Sonne spiegelte sich in dem Wasser, kleine Wellen schwappten ans Ufer. Meine Augen tranken diese glänzenden Lichtreflexe, und meine Haut atmete die Sonne und den Wind. Zum ersten Mal seit langem fühlte ich mich so etwas wie entspannt, ja, fast schon ein wenig frei!
Es war erst 16 Uhr, und so beschloss ich, mit dem Fährboot zu fahren und die Zeit, die ich nun endlich einmal für mich hatte, noch weiter zu genießen. Ich lief den Steg entlang und betrat die Fähre.
Und was dann geschah, veränderte mein Leben für immer...
Kapitel II
Was war das? Wo war ich?
Das hier war nicht die Fähre. Diesen Ort hatte ich noch nie gesehen. Was war geschehen?
Da sagte ein warme, herzliche Stimme: „Komm herein, Tara, komm nur herein! Schön, dass du da bist. Ich habe dich bereits erwartet.“
Jetzt war es also doch so weit. Ich war verrückt geworden. Oder war ich etwa tot?
„Nein, Tara, du bist nicht tot. Du bist sehr lebendig“, antwortete die Stimme.
Das Licht blendete mich so sehr, dass ich nicht erkennen konnte, wer oder was um mich herum war.
Hatte ich laut gedacht? Nein, ich hatte nicht gesprochen – ganz sicher nicht. Aber woher wusste die Stimme dann, was ich dachte, und von wo kam diese Stimme überhaupt?
„Komm, Tara! Komm herein und setz dich einen Moment zu mir!“
Erst jetzt schaute ich mich um. Welch ein merkwürdiger Ort!
Offenbar befand ich mich auf einer Art Floß, dessen Boden mit einem weichen, hellen Teppich bedeckt war; mir gegenüber wehte ein weißer fließender Stoff, ein wunderschönes, gelbliches Licht hüllte diesen sonnigen Ort ein, und dann sah ich IHN: einen älteren Mann auf einem gelben Kissen im Lotussitz auf dem Boden. Er trug weiße Kleidung, einen Turban und einen langen weißen Bart. Er lächelte mich an und bedeutete mir mit einer Handbewegung, gegenüber von ihm Platz zu nehmen. Ich war wie verzaubert. Ich folgte seiner Anweisung und setzte mich auf ein zweites gelbes Kissen, das schon auf mich zu warten schien. Nun konnte ich den Mann genauer betrachten. Solche Augen hatte ich noch nie gesehen! Und ich starrte ihn an wie gebannt.
Wahnsinn! Braune, warm leuchtende Augen sahen mich liebevoll an. Sein Antlitz strahlte wie die Sonne selbst. Er sah aus wie ein Heiliger.
Eine Welle der Wärme durchströmte mich. Es war ein Gefühl, wie nach Hause zu kommen: unbeschreiblich schön! Ich war überwältigt von dieser Ausstrahlung.
Ich weiß nicht, wie lange ich so dagesessen und aus seinen Augen Liebe und Zuneigung getrunken habe.
Nachdem ich mich jedoch halbwegs gefangen hatte, übernahmen meine weltlichen Gedanken wieder die Oberhand.
Was machte ich hier eigentlich? Was soll ich an diesem seltsamen Ort?, überlegte ich.
„Du bist hier, um etwas zu lernen“, sagte der Inder freundlich. Es ist bestimmt ein Inder, dachte ich.
Schon wieder! Ich denke etwas, und er antwortet! Er kann Gedanken lesen! Das schien alles nicht von dieser Welt zu sein. Ich kam mir vor wie in einem Film. Nur wusste ich im Moment nicht, welche Rolle ich darin spielte.
„Mein liebes Kind“, unterbrach der Inder die Stille, „heute morgen bist du zusammengebrochen und hast innerlich um Hilfe gerufen. Und hier bin ich. Ich bin für dich da.
Ich werde dir helfen, wenn du es möchtest.“
„Wer bist du?“, fragte ich wie versteinert.
„Nenn mich Gurudschi“.
„Gurudschi? Ist das dein Name?“
„Ja, im Moment ist das mein Name. Ich werde dir erklären, was er bedeutet: ‚Gu’ bedeutet: Dunkelheit, und ‚ru’ bedeutet: das, was vertreibt. Ein Guru ist also jemand, der die Dunkelheit vertreibt. Und was passiert, wenn die Dunkelheit weg ist, Tara?“
„Es wird hell?“
„Genau, es wird hell und das Licht kann strahlen. Das wollen wir hier lernen. Die Dunkelheit aus deinem Leben zu vertreiben, damit das Licht über dir und aus dir erstrahlen kann. Das Wort Guru stammt übrigens aus dem Sanskrit, der ältesten Sprache der Welt. Das tibetische Wort für Lehrer ist Lama, eine Übersetzung des Wortes Guru aus dem Sanskrit.
Und ein vorübergehender Lehrer möchte ich für dich sein. Ich werde dir helfen, wieder mehr Licht in dein Leben zu lassen.
Ich war sehr ergriffen von seinen Worten.
„Woher kommst du?“, meine Neugierde war nun vollständig geweckt.
„Das ist im Moment nicht wichtig. Wichtig ist nur, dass du den Weg zu mir gefunden hast. Du bist gekommen und das ist gut so... Geht es dir wieder besser, Tara?“
Er betrachtete mich mit unendlichem Wohlwollen, und für einen Moment spürte ich eine reine, bedingungslose Liebe. Es gab ein Gefühl tiefer Vertrautheit zwischen uns, beinahe so, als ob wir uns schon ewig kennen würden.
Ja, inzwischen ging es mir viel besser.
„Nun, dann können wir heute mit einer kleinen Einführungslektion beginnen.“ Er reichte mir eine Tasse wunderbar duftenden Ingwertee. Ich wickelte ein Stück Zucker aus dem Papier und tat es in meinen Tee.
Da bemerkte ich, dass auf dem Papier etwas geschrieben stand:
Nur wenige Menschen auf dieser Welt
vermögen, normal nachzudenken.
Es gibt eine schreckliche Neigung,
alles zu akzeptieren, was gesagt wird,
was zu lesen ist. Alles zu akzeptieren,
ohne es in Frage zu stellen.
Nur derjenige, der bereit ist,
etwas in Frage zu stellen und selbst zu denken,
wird die Wahrheit finden.
(Nisargadatta Maharaj)
Verwundert schaute ich den Inder an. Und Gurudschi begann zu erzählen:
„Ihr lebt in einer sehr hektischen und turbulenten Zeit. Die Menschheit hat sich den materiellen Werten verschrieben und ist pausenlos tätig, um ihren äußeren Komfort zu erhöhen. Die westlichen Länder sind nie zufrieden. Sie haben alles und wollen noch mehr. Ihr seid dem puren Materialismus verfallen. Der Preis, den ihr dafür bezahlt, ist hoch: Ihr vergesst eure Seele. Und genauso geht es auch dir. Du rennst durch dein Leben als sei es ein Wettlauf mit der Zeit. Du jagst von Termin zu Termin und auch in deiner Freizeit ist alles fest geregelt. Fitnessstudio, Theater, Kino und, und, und. Du bist eine erfolgreiche Geschäftsfrau, die