Tara - Die Reise zum Ich. Anjana Gill

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Tara - Die Reise zum Ich - Anjana Gill

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dachte einen Augenblick nach und antwortete darauf. „Was ist schon Glück? Ich habe einen Job, um den mich viele Menschen beneiden. Ich wohne in einer tollen Wohnung, habe schicke Klamotten und ein cooles Auto, fahre zweimal im Jahr in Urlaub. Was will man mehr?“

      „Du hast meine Frage nicht richtig verstanden, Tara. Ich habe dich nicht gefragt, was du alles hast und besitzt. Ich habe gefragt, ob du glücklich bist.“

      „Wie meinst du das, Gurudschi?“

      „Ich meine das Glück, das aus dem tiefsten Inneren kommt. Ich meine das Glück, das deinen ganzen Körper durchströmt, nicht nur für einen kurzen Moment, sondern als Lebenseinstellung. Ich meine das göttliche Glück.“

      Ich dachte einen Moment lang nach. War ich glücklich?

      Nicht immer, aber unglücklich fühlte ich mich auch nicht. „Manchmal bin ich auch richtig glücklich. Aber dieses Glücksgefühl hält meistens nicht lange an. Oft dauert es nur sehr kurze Zeit. So geht es doch den meisten Menschen in unserer Gesellschaft. Ich dachte, das sei normal.“

      „Bei euch ist das heute normal, da hast du Recht. Das liegt daran, dass ihr, spirituell gesehen, Anfänger oder, besser gesagt, Waisenkinder seid. Niemand hat euch beigebracht, dass zu einem wirklich erfüllten Leben auch eine spirituelle Seite gehört. Niemand hat euch beigebracht, wie wichtig es, ist auf euer Herz zu hören.

      Ihr könnt Computer bedienen, zum Mars fliegen, und so weiter, aber ihr habt keine Ahnung von eurer Seele. Das wahre Glück kann aber nur aus der Seele kommen. Materielle Dinge machen kurzzeitig Freude, sie beruhigen euch auch sehr. Aber das wahre, tief empfundene Glück kann immer nur aus deiner Seele kommen.

      Ihr habt gelernt, durch Geschäftigkeit Selbstwertgefühl zu entwickeln. Aber ständig aktiv sein, weil man bestimmte Dinge machen soll, dient keinem höheren Zweck.

      Doch Dinge zu tun, weil sie aus der Seele kommen, dient einem höheren Ziel, und diese Aktivität macht dich, macht jeden Menschen dauerhaft glücklich. Spirituelles Wachstum bedeutet, das Herz zu öffnen. Du musst nichts dafür anschaffen oder lernen. Alles ist bereits in dir vorhanden. Du musst dich nur erinnern; lass es einfach zu!

      Es gibt noch viele Dinge auf dieser Erde, wunderbare, für euch manchmal geheimnisvolle Dinge. Sobald du den Schleier vor deinen Augen ein wenig zur Seite schiebst, wirst du sie entdecken. Dein Leben ist eine wunderschöne Reise, auf der es die herrlichsten Dinge zu entdecken gibt. Dein Leben kann prächtig sein!“

      Bei diesen Worten Gurudschis erfasste mich ein tiefer Frieden, wie ich ihn zuvor nie gekannt hatte.

      „Nimm ein wenig die Geschwindigkeit aus deinem Alltag, Tara, und gönne dir Zeiten der Muße! Halte inne und erfreue dich auch an den einfachen Dingen – den Blumen, dem Lächeln eines Menschen...!

      Wie geht es dir, Tara? Du siehst ein wenig müde aus.

      Für heute beenden wir unsere kleine Sitzung. Ich glaube es ist gut für dich, nun nach Hause zu gehen und mit einer Zeit der Stille zu beginnen.

      Denke in Ruhe über unser erstes Gespräch nach und komme wieder zu Kräften! Meine Gedanken werden dich begleiten. Du kannst wiederkommen, wann immer du möchtest, meine liebe Tara!“

      Gurudschi faltete die Hände, legte sie in Brusthöhe aneinander und verneigte sich ein wenig.

      Offensichtlich war meine erste Einweisung bei ihm zu Ende. Zuerst war ich ein bisschen traurig, denn eigentlich wollte ich hier gar nicht mehr weg. Lange hatte ich mich nicht mehr so wohl gefühlt wie hier bei Gurudschi. Aber wenigstens hatte ich ja jetzt viel Stoff zum Nachdenken! Ich verabschiedete mich, indem auch ich die Hände faltete und mich leicht verneigte. Noch einmal sah ich in dieses liebevolle Antlitz. Gurudschi lächelte mich an, und dann trat ich auf den Steg hinaus.

      Nach einigen Schritten drehte ich mich herum, um Gurudschi zum Abschied zu winken. Aber was sah ich! Am Ende des Stegs lag das Fährboot und nicht das Floß! Ich rieb mir die Augen. Das musste eine Fata Morgana sein. Mir schwirrte der Kopf. Ich konnte die Augen öffnen, schließen und wieder öffnen, aber es blieb dabei: Das Floß war weg!

      Ich schaute auf meine Uhr. Das konnte doch gar nicht sein: Es war 16 Uhr. Genau zu dieser Zeit hatte ich die Fähre beziehungsweise das Floß betreten. Wo war die Zeit mit Gurudschi geblieben? Hatte ich das alles nur geträumt? Das konnte nicht sein. Gurudschi, das sonnige Licht, das aufregende Gespräch. Ich wusste, dass ich nicht geträumt hatte. Die ganze Sache war mehr als merkwürdig: Wo war das Floß, und wo war die Zeit? Fragen über Fragen. Zuerst war ich bestürzt; doch dann fielen mir wieder die liebevollen Worte des weisen Inders ein: „Ich bin für dich da. Du kannst wiederkommen, wann immer du es möchtest.“ Als ich an diese Sätze dachte, durchströmte mich erneut dieses friedliche, warme Gefühl. Da wusste ich, ich konnte Gurudschi vertrauen, ich brauchte keine Angst zu haben.

      Sofort fühlte ich mich leicht und beschwingt. Gurudschis Worte schwirrten in meinem Kopf herum und ich wollte nur noch eins: nach Hause und in Ruhe über alles nachdenken.

      Die nächsten Tage waren sehr anstrengend. In der Firma ging es drunter und drüber, und mir blieb wenig Zeit, über das spannende Gespräch nachzudenken. Die Probleme bei der Kollektionsentwicklung wollten nicht aufhören. Es lief einfach nicht rund. Anna wollte mir helfen, wo immer es möglich war, aber das meiste musste ich schon selbst erledigen. Schließlich trug ich die Verantwortung für den ganzen Laden.

      Nach und nach verblassten die Gefühle und Gedanken, und die gewohnte Hektik und die gewohnten Gedankenmuster eroberten ihren alten Stammplatz in meinem Hirn zurück. Zeit zum Nachdenken – ja, wann denn? Innehalten, mich an einfachen Dingen erfreuen. Hört sich ja grundsätzlich alles gut an, aber die Realität sieht anders aus. Ganz anders. Ich kann mir keine Fehler erlauben. Das Geschäftsleben heutzutage gleicht einem Haifischbecken. Du wirst schneller gefressen als du gucken kannst.

      Nun ja: „Alltag fressen Seele auf!“ So ist das eben.

      Schade eigentlich, dieser Frieden hatte mir gut getan. Für einen Moment fühlte ich mich wieder glücklich, richtig glücklich.

      Gurudschi hatte mich gefragt, was mich glücklich mache. Ehrlich gesagt, ich wusste es nicht. Nicht wirklich.

      Ich mag meinen Job. Ich mag meine Wohnung. Ich mag meine Freunde. Eigentlich ist mein Leben okay.

      Wenn da nicht öfter dieses Gefühl der Leere wäre. Das Gefühl, das kann’s doch nicht gewesen sein, war das etwa schon alles? Dann bin ich immer auf der Suche, auf der Suche nach dem Sinn. Ja, das war’s. Das hatte Gurudschi gemeint. Es tat gut, wieder einen Schritt aus meinem hektischen Leben zu treten und einen Moment innezuhalten. Nun waren schon sieben Tage seit dieser magischen Begegnung vergangen. Ich hatte Sehnsucht. Sehnsucht nach Gurudschis Wärme. Sehnsucht nach seiner Weisheit.

      Ich nahm eine Modezeitschrift, um mich abzulenken und meine Gedanken wieder auf die neue Kollektion zu richten. Träumereien konnte ich mir im Moment wirklich nicht leisten. Dazu gab es zurzeit, weiß Gott, genug zu tun. Aber ich konnte machen, was ich wollte, meine Gedanken schweiften immer wieder ab. Wann war ich glücklich? Als ich mir neulich das tolle Kostüm gekauft hatte, da war ich glücklich. Oder als ich im letzten Urlaub am Strand in diesem urigen Strandrestaurant gegrillt hatte, da war ich auch richtig glücklich. Es waren eigentlich immer nur Momente. Aber immerhin, es gab solche Glücksmomente in meinem Leben, und sie waren wahre Kraftquellen für mich. Aus solchen Momenten zieht man doch die Kraft und Energie für die nächste Zeit.

      Ich blätterte weiter in meiner Modezeitschrift, und plötzlich stieß ich auf einen Bericht über Indien und den Satz:

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