Der Garten der Welt. Ludwig Witzani
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Gibt es denn in Bangkok außer der Khao San und der Patpong rein gar nichts zu sehen? Doch schon, aber nur wenn es nicht zu heiß ist und wenn man genügend Zeit mitbringt. Aber Hand aufs Herz: wer findet wirklich einen Bezug zu den steinernen Tempelwächtern, den Mandalas und all den Glöckchen an den Klostersimsen? So eklektisch und elektrisch wie den Wat Phra Keo stellen sich die meisten Touristen die Regierungssitze von Aliens vor, und fast schon wieder sehenswert in seiner scheußlichen Geschmacklosigkeit ist der Königspalast neben dem Wat Phra Keo, ein schrilles Neuschwanstein, in dem die Touristengruppen in ihren grellen Klamotten einherwandeln wie eine farblich abgestimmte Staffage. Weltsehenswürdigkeiten wie die Schwedagon-Pagode in Rangun oder den Bayon Tempel in Angkor wird man in Bangkok vergeblich suchen- allenfalls am Wat Arun, dem Kloster der Morgenröte, oder auf der Aussichtsempore des Wat Saked auf dem Goldenen Hügel, wird man kurz nach Sonnenaufgang und in der Abenddämmerung ein wenig von jenem Glück empfinden können, das Asien seinen Besuchern in so reichem Maße schenken kann.
Doch was die Touristen auch immer treiben mögen, die überwiegende Mehrheit seiner Bewohner kümmert es wenig. Marktfrauen und Tuk-Tuk-Fahrer, Busschaffner, Garküchenköche, Schuhputzer, Lastenschlepper - all die Menschen, die im Unterschied zu den touristischen Dienstleistern nicht vom ausländischen Besucherstrom profitieren, haben genug damit zu tun, sich von morgens bis abends um den eigenen Lebensunterhalt zu sorgen. Sie kämpfen alle Tage mit dem chaotischen Verkehrsgewühl und geben doch nie die Hoffnung auf, einmal im Leben eine wirkliche Abkürzung zu erwischen. Sie leiden nicht weniger als die Touristen im April unter den Hundstagen des Vormonsuns und danken doch Buddha für jedes Gewitter, das sich während der Regenzeit über der dampfenden Stadt entlädt und Smog und Schmutz wenigstens für eine glückliche Stunde davon schwemmt. Und auch wenn sie ein blindes Geschick in eine der unwohnlichsten Großstädte der Erde verschlagen hat, schmücken sie alljährlich zu Songkran, dem buddhistischen Neujahrsfest, ihre Geisterhäuser und danken Buddha für die kleinen Freuden des vergangenen Jahres ,,Krung Tep Mahanakhon", die ,,großen Stadt der Engel", ist Bangkoks offizieller Name, und die einzigen wirklich guten Geister in der großen Stadt findet man unter ihren Bewohnern.
Khao San Road / Bangkok
Wie daheim, nur schön weit weg
Die Khao San Road in Bangkok
Man stelle sich in ferner Zukunft eine große Stadt in Deutschland vor, vielleicht Köln mit Blick auf den Dom oder Berlin in unmittelbarer Nachbarschaft zum Kurfürstendamm, in der nur Asiaten logieren, die von deutschen Bäckern, Fleischern, Hoteliers, Schneidern, Taxifahrern auf das Emsigste hofiert werden. Deutsche Küche wird nur am Rande serviert, dafür füllen Angebote wie Sate Ayam, Schweinefleisch mit Bambussprossen, Schlangensteaks oder Chicken Curry die in Hindi, Thai oder Chinesisch geschriebenen Speisekarten. Die zum Teil erstaunlich jungen Inder oder Chinesen, mit Rucksack und bequemer Kleidung angereist, testen gerne auch mal die deutsche Lederhose oder das Tiroler Hütchen, während die deutschen Schneider oder Fremdenführer sich der besseren Geschäftsanbahnung wegen in Turban oder Sarong präsentieren. Und weil man so scharf auf Rupies, Baht oder Renmimbi ist, durchstreifen deutsche Frauen in eindeutiger Absicht die Lokale, und wer von den Asiaten keine Lust verspürt, im Air-Con-Bus allein den Schwarzwald oder Heidelberg zu besuchen, kann sich für ganz kleines Geld ein blondes Mädel mit auf die Reise nehmen.
Ein befremdliches Bild? Das genaue Gegenteil gibt es bereits: eine Straße in Bangkok, in der die dienstwilligen Einheimischen lange Hosen und europäische Hemden tragen und sich die westlichen Touristen in völliger modischer Freiheit aus dem Arsenal des asiatischen Kleiderschrankes bedienen und in Saris, Longhies oder Reispflückerhosen über die Straßen laufen: die Rede ist vor der Khao San Road im Stadtbezirk Banglamphoo, der größten Anlaufstelle des Individualtourismus weltweit.
Auf den ersten Blick ähnelt die Khao San Road einer beliebigen asiatischen Großstadtstraße, nur dass das Gewirr der Stromkabel über den Straßen, die Verschachtelung der Fassaden und das Wirrwar der Reklameschilder womöglich noch eine Spur trostloser ist. Erst der zweite Blick lenkt die Aufmerksamkeit auf die fast lückenlose Reihe von Guesthäusern, Garküchenrestaurants, Internetcafés, Textil- und Ledergeschäften, Kurzwarenläden, Seidenschneidereien, Reisebüros Wäschereien, Fotoshops und Stempelfälschern – kurz: auf einen leistungsfähigen touristischen Mikrokosmos, in der nahezu jeder, der eine Asienreise auf eigene Faust unternimmt, irgendwann einmal integriert wird.
Die Geschichte der Khao San Road reicht zurück bis in die Anfänge des internationalen Backpackertourismus. Als sich in den Neunzehnhundertsechziger und -siebziger Jahren die damals noch spärlichen Anlaufstellen für Individualreisende schnell zu üblen Treffpunkten von Drogenhändlern und Prostitution entwickelten, begann unter dem Druck polizeilicher Razzien der Umzug der seriösen Anbieter in die Khao San Road in der unmittelbaren Nachbarschaft des Democracy Monuments in der Radjamnoen Klang. Hier entstand in den nächsten zehn Jahren eine in ihrer Art damals einzigartige Enklave der westlichen Welt, ein effizientes Dienstleistungszentrum, dessen preiswerte Zuverlässigkeit sich im Zuge des anhebenden Backpacker- und Fernreisetourismus schnell herumsprach.
Zuerst erscheinen die notorischen Asien-Fans, die von diesem Kontinent nie genug gesehen haben werden und die in Thailand inzwischen nur noch wie bei einer lieben, aber etwas langweiligen Tante auf dem Weg von Flores nach Goa Station einlegen. Zur Befriedigung der oft recht komplizierten Reisepläne dieser vagabundierenden Klientel entstanden die ersten leistungsfähigen Reisebüros, die sich auf die schnellstmögliche Beschaffung von Visas und Graumarkttickets konzentrierten. Wo zunächst gerade nur wenige Guesthäuser ihre Dienste anboten, ließ die Konkurrenz nicht lange auf sich warten, so dass der Reisende heute auf der Khao San Road und in den etwas ruhigeren Nachbarstraßen unter einer kaum noch überschaubaren Zahl von Anlaufstellen wählen kann. Die Kommunikationskanäle zwischen den unscheinbaren Reisebüros und den Airlines auf der einen und den Botschaften der Nachbarländer auf der anderen Seite funktionieren inzwischen so gut, dass es schon lange keinen schnelleren, bequemeren und preisgünstigeren Startplatz für die Durchreisung Asiens mehr gibt als in Bangkok.
Dementsprechend bilden die Gäste der Khao San Road einen multikulturellen und altersunspezifischen Querschnitt durch die Population westlicher Gesellschaften. Abiturienten auf ihrer interkontinentalen Jungfernreise ebenso wie gewiefte Asienenthusiasten, junge Familien mit Kindern, graue Panther mit einem Rucksack voller Erwartungen und noch unausgelebter Träume, Einzelreisende beiderlei Geschlechts, Hetero- und Homosexuelle, Gutbetuchte und die sogenannten Low Budget Traveller, die jeden Baht dreimal umdrehen müssen, ehe sie ihn ausgeben können, geben sich auf den fünfhundert Meters dieser Straße ein immerwährendes Stelldichein. Zwar sind mit dem Ruhm der Straße auch die Preise gestiegen, aber noch immer gilt in der Khao San Road die Schmerzgrenze von einhundert Baht (umgerechnet knapp drei Euro). Dafür erhält man alternativ ein Bett im Schlafsaal, ein Essen eine strapazierfähige Baumwollhose, drei Paar Socken oder Unterhosen, einen Telefonanruf in die Heimat, einige raubkopierte Musikkassetten oder die Komplettreinigung eines mittelgroßen Rucksackinhaltes. Bettler und Prostituierte allerdings haben schlechte Karten in diesem Ambiente. Nicht,