Der Garten der Welt. Ludwig Witzani
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Der letzte Tag stand ganz im Zeichen des „River Raftings“, doch wer dabei an haarsträubende Schlauchbootfahrten wie auf dem Colorado River dachte, lag falsch. Aber das wussten wir noch nicht, als uns auf den Flößen lange Bambusstangen in die Hand gedrückt wurden. Endlich kam ein wenig Abenteuerstimmung auf, als wir mit lautem Hallo vom Ufer abstießen. Kampfbereit und breitbeinig standen wir mit unseren Bambusstangen auf den Flößen und waren bereit, uns in der Auseinandersetzung mit Stromschnellen und Klippen, Wasserfällen und Untiefen zu bewähren.
Doch diese Bewährung blieb uns erspart. Stattdessen trieben wir langsam dem sachte dahinfließenden kleinen Fluss entlang, und weil rein gar nichts geschah, legte sich die internationale Travellergemeinde nach und nach auf die Bambusplanken, zuerst die Holländer, dann die drei Mädchen und zuletzt die Japaner, und trieb sonnenbadend und entspannt der Endstation unserer gemütlichen Floßfahrt entgegen. Unsere Guides steuerten an malerischen Eingeborenendörfern vorbei, stoppten hier und dort um uns eine besonders fette Dorfsau oder ein besonders herausgeputztes Meo-Haus zu zeigen. Wir sahen die Wälder auf beiden Seiten des Flusses, hörten das Rauschen der Blätter im sanften Wind des Frühlingstages und wurden von anderen Trekker-Flotten überholt oder überholen selber welche.
Schließlich erreichten wir eine kleine Siedlung, an deren Ufer bereits Dutzende von Flößen befestigt waren. Beduselt vom stundenlangen Sonnenbaden stolperten wir an Land, wurden von freundlichen Guides begrüßt, die uns den Nachmittagstee reichten, und sahen bereits unseren Kleinbus am Straßenrand stehen.
Noch vor Anbruch der Dämmerung waren wir wieder im Rama Guesthouse von Chiang Mai. Dort trugen wir unter dem strengen Blick von Chrisi unsere Dankessprüche in das Gästebuch ein. Ich schrieb: „Dank Dir, Ray, für diese wichtige Erfahrung. Und hier mein Tipp für andere Trekker: Bloß nicht den MP3 Player und die Badehose vergessen!“
Für Buddha sind tausend Jahre wie ein Tag
Eine Reise durch die thailändische Geschichte
Nicht nur die Gnus, die Zugvögel oder die australischen Krabben - auch ganze Völker wandern. Würde man die Menschheitsgeschichte aus der Weltraumperspektive im Zeitraffer abdrehen, so sähe man ein permanentes Kommen und Gehen. Die Germanen zogen nach Süden bis nach Nordafrika, die sibirischen Jäger überquerten die Beringstraße und ihre Nachkommen gelangten bis nach Feuerland. Die Bantus bevölkerten von Kamerun aus ganz Zentral- und Südafrika, und die Polynesier durchquerten tausend Jahre lang die Weiten des Pazifiks.
Wie aber verhielt es sich mit den Thais? Woher kamen sie und wie war es ihnen gelungen, sich in „Thailand“ niederzulassen?
Die erste Frage hat die Forschung inzwischen beantwortet. Die Thais stammen als eine sino-tibetische Ethnie aus dem Süden des heutigen China. Im achten Jahrhundert lebten sie in im Reich von Nan-Chao in der heutigen chinesischen Provinz Yünnan. Chinesische Quellen beschreiben das Reich von Nan Chao als ein relativ hochentwickeltes Gemeinwesen, möglicherweise auch deswegen, weil Staatsaufbau und Kultur fast vollständig von den Chinesen übernommen wurden.
Merkwürdig, dass sie dann weiter nach Süden gezogen sind, denn Yünnan ist von allen chinesischen Provinzen eine der schönsten. Warm, aber nicht zu heiß, fruchtbar und in der Umgebung des Mekong von berückender landschaftlichen Schönheit. Warum wollten sie weg? War es ihnen zu langweilig und lockte sie das Abenteuer in fernen Ländern? Oder waren sie einfach zu zahlreich geworden, so dass sich ein Teil von ihnen wie die griechischen Kolonisten gezwungen sah, die zu Heimat verlassen?
Was immer auch die Gründe gewesen sein mochten, ab dem späten achten Jahrhundert kamen die Thais nach Indochina, blieben hier, raubten dort und zogen weiter, immer weiter nach Süden, der leicht abschüssigen Landschaft des nördlichen Indochina folgend, bis sie den Chao Phraya Fluss im heutigen Thailand und den Salween im heutigen Myanmar erreichten.
Dieser Route wollte ich folgen. Von Chiang Mai aus wollte ich nach Sukothai und Ayutthaya fahren, den beiden ersten Hauptstädten Siams bis nach Bangkok, der gegenwärtigen Metropole des Landes.
Aber das war leichter gesagt, als getan, denn die thailändische Eisenbahn streikte, und die Bahnverbindung zwischen Chiang Mai und Bangkok war blockiert. Lange Menschenschlagen standen an diesem Morgen vor den Ticketschaltern am Busbahnhof von Chiang Mai. Die gute Nachricht war, dass ich ein Ticket nach Phitsanulok erhielt. Die schlechte Nachricht war, dass der Bus über keine Klimaanlage verfügte, so dass es im Bus bald nach allen möglichen Gewürzen, nach abgepacktem Fleisch und verfaulten Bananen roch. Dann und wann zog auch ein Hauch von Kleinkinderschiss durch die Reihen, wobei mir auffiel, dass die Babys ihre Würstchen offenbar in aller Stille abdrückten und ihrer Umgebung gegenüber ein unschuldiges Gesicht zur Schau stellten. Ihre thailändischen Eltern waren derweil guter Dinge, schnatterten untereinander in einem fort und zeigten sich die eine oder andere Sehenswürdigkeit, die vom Busfenster aus zu sehen war. Ich notierte: der Thai ist eine extravertierte Person, meistens heiter und freundlich, weniger distanziert als der Chinese und größer gewachsen als der Khmer, aber immer hungrig, denn wir waren noch keine Stunde unterwegs, da wurde schon zum ersten Mal an einer Garküche gehalten, damit sich jedermann mit Essen versorgen konnte.
Waren die Thais auch schon so hungrig gewesen, als sie in Indochina einwanderten? Möglich, aber auf jeden Fall wurden es immer mehr, so dass die Wissenschaft heute zwei Gruppen von Einwanderern unterscheidet. Die erste Gruppe waren die sogenannten „großen Thai“, die sich nach Myanmar wandten und sich am Salween Fluss niederließen, wo sie zu den Vorfahren der heutigen Shan wurden. Ihnen sollte ich später am Inle-See in Burma begegnen. Die zweite Gruppe erhielt von den Forschern das Etikett der „kleinen“ Thai“, was insofern irritiert, weil sie es waren, die im Laufe der folgenden Jahrhunderte das eigentliche Thailand gründen sollten. Soweit die Reiseführer und Geschichtswerke, angereichert mit zahllosen Details und Komplikationen, die man einfach entschlossen ausblenden muss, wenn man einen merkbaren Überblick über die geschichtlichen Abläufe erhalten will.
Inzwischen hatte der Bus den Norden verlassen. Fast unmerklich führte die Straße in tiefer gelegenes Gelände, es wurde wärmer, und die Landschaft links und rechts der Straße prangte in üppigem Lebensgrün. Wasserbüffel standen merkwürdig teilnahmslos im Schlick, Kinder rannten über Bewässerungsdeiche und ließen Drachen steigen, und hier und da ragten die Spitzen kleiner Tempelbauten über die Palmenkronen. Kein Wunder, dass es den frühen Thais in Zentralthailand auf Anhieb gefallen hatte. Im Unterscheid zum schönen, aber recht gebirgigen Yünnan musste ihnen dieses Land zwischen Chiang Mai und Phitsanulok wie eine riesige Reisschüssel erschienen sein, so dass sie sich niederließen und sesshaft wurden.
Aber was war das für eine Welt, in der die Thais heimisch werden wollten? Indochina zur Jahrtausendwende war keineswegs ein leeres Land sondern eine bereits hochentwickelte Agrarregion, deren Bewohner mit Hilfe raffinierter Bewässerungstechniken beachtliche Überschüsse erzeugten. Die Mon im Süden Burmas, die Cham in Zentralvietnam, die Vietnamesen im Delta des Roten Flusses hatten bereits ihre ersten Staaten gegründet. Das bedeutendste und größte dieser Reiche war das Imperium der Khmer von Angkor, das zeitweise Laos, Kambodscha, den Süden Vietnams und den größten Teil Thailands bis an die burmesische Grenze beherrschte. Für die