Der Garten der Welt. Ludwig Witzani
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Auf die Farben und Lichter Asiens, die in der Nudelwerbung so vorteilhaft zur Geltung kommen, kann man in der Khao San Road leicht verzichten, weil hier die internationale Backpackerszene selbst für ausreichende Kolorierung sorgt. Die vor einigen Jahren in den Feuilletons diskutierte These von einer Rückkehr des Mittelalters und seiner extravertierten Selbstdarstellung fände in den Freiluftrestaurants der Khao San Road eine anschauliche Bebilderung. Da diskutiert ein Brite mit einem prägnanten Germanenzöpfchen auf der Glatze mit einem behaarten Deutschen, dem der Flachmann aus der Tasche lugt. Eine bildschöne afroamerikanische Studentin flirtet mit einem rothaarigen Australier, knalleng sind ihre Radler Hosen, während ihr präsumtiver Partner sein Gebein in einer grellgelben Ali-Baba-Hose verbirgt. In dieser farbenfrohen Umgebung mit all den Saris, Seidenblusen, Kurdenhosen, Lederhüten und philippinischen Käppis wird sogar das milde Grau des Studienassessors neben dem pechschwarzen Pagenschnitt einer japanischen Studentin zum farblichen Kontrast, und wer es nicht geglaubt hätte, wie weit und wie früh die Kinder der entwickelten westlichen Gesellschaften bereits in der Welt herumgekommen sind, den belehrt ein einziger Blick durch das Restaurant von Wallys Guesthouse eines anderen: wie Positionsmarken einer imaginären Weltkarte lassen sich die typischen Weltreiserouten von den T-Shirts der Gäste ablesen. Hawaii und Ko Samui essen eine Nudelsuppe, Boracay nippt an einem Bier, während Goa und Hongkong (männlich) mit Columbia University (weiblich) flirten.
In den vormodernen Zeiten, als die juvenile Bildungsreise nicht weiter als bis nach Rom oder Neapel führte, hatte sich schon der junge Herder in seinem Reisejournal von 1769 über die eigentümliche „Verjüngung“ gewundert, die immer dann eintritt, „wo die Seele mit einer großen Anzahl starker und eigentümlicher Sensationen hat beschwängert werden können“. Auch wenn sich die klassische Bildungsreise inzwischen zur Grand Tour für jedermann gewandelt hat, bleibt das Ziel das gleiche: die Suche nach dem stimulierenden Elixier der Jugendlichkeit im starken Eindruck – nur dass an die Stelle des Forum Romanums die Riesentempel von Angkor Wat oder die Ruinen von Pagan getreten sind.
Man würde allerdings das Wesen des massenhaften Individualtourismus verkennen, sähe man darin den ernsthaften Versuch, sich die Grundzüge fremder Kulturen wirklich anzueignen. Abgesehen von einigen Ausnahmen durchreisen die Jünger von Tony Wheeler und Paul Theroux Rajastan, Bali oder Myanmar als stiegen sie in große Bilderbücher, in denen sie die asiatischen Riesenstädte, die prachtvollen Tempel, Palmen und Strände mit einer lustvollen Mischung aus Fremde und Geborgenheit erleben können – wobei sich der Genuss dieser Unmittelbarkeit nicht zuletzt aus der Gewissheit speist, dieses Fotoalbum jederzeit und sicher wieder verlassen zu können. Vom kolonialistischen Erbe der westlichen Welt will man nichts mehr wissen und reist doch in der komfortablen Membrane günstiger Wechselkursrelationen unbekümmert und preisbewusst durch den großen asiatischen Garten. Diese Art des Reisens, die die Vielfalt der Welt als Resonanzboden der eigenen Subjektivität benutzt, hat etwas von der Weltexplorierung neugieriger Kleinkinder, die die Mutter gleichwohl nie aus den Augen verlieren. Und so erstaunt es nicht, dass entlang der klassischen Fernreiserouten in Goa, Hikkaduwa, Kathamdu, Yogjakarta, Candi Dasa und neuerdings auch in Saigon und Phnom Penh jene Enklaven der Heimatlichkeit entstanden sind, deren größte und älteste die Khao San Road in Bangkok ist.
Sogar die Versorgung mit einheimischem Lesestoff wird in der Khao San Road organisiert: gegen einen kleinen Aufpreis tauschen die Traveller ihre ausgelesenen Schmöker gegen neues Lesefutter ein und hinterlassen so – ohne es zu wollen – in den Bücherregalen einen literarischen Fingerabdruck ihrer selbst. Mustert man die Bestände der Book-Shops auf der Khao San Road in dieser Hinsicht, wird man feststellen müssen, dass die weiten Reisen den literarischen Geschmack nicht wesentlich verfeinern, denn es dominieren die Saft- und Kraftschinken im Strickmuster der Clavell-, Ludlum und Robbins-Romane, aber immerhin – vielleicht als Bodensatz aus älteren Zeiten – existiert auch eine kleine Hesse Ecke in deutscher Sprache, in der der eine oder andere einfach mal aus alter Anhänglichkeit ein wenig blättert. „Auf allen Gesichtern lag eine traurige Öde und Gedämpftheit, jener Ausdruck von Welke und milder Apathie, die man nur bei Menschen trifft, die sehr viel auf Reisen sind, vereinigt mit der Mattigkeit und nervösen Unfrische, die den Weißen in den Tropen anhaftet“, notierte Hesse als eine Impression seiner großen Asienreise im Jahre 1911, und bei der Fixierung seines ersten Eindrucks von Palembang auf Java nahm er kein Blatt vor den Mund: “Zur Zeit der Ebbe aber ist diese Stadt eine schwarze Gosse, die kleinen Hausboote liegen schräg im toten Sumpf, braune Menschen baden harmlos in einem Brei von Wasser, Schlamm, Marktabfällen und Mist, das Ganze schaut blind und farblos in den unbarmherzig heißen Himmel und stinkt unsäglich.“
Wie sehr sich die Zeiten und die Umstände des Reisens geändert haben, belehrt ein abendlicher Gang durch die Khao San Road. In den Gesichtern der zechenden jungen Gäste ist von Öde und Apathie nichts zu erkennen. Eng beieinander sitzend wie in der klassischen Schülerpinte nehmen sie ihr Abendessen unter der obligatorischen Musik- und Filmberieselung zu sich und fühlen sich rundum wohl. Terminator, Dirty Harry oder Darkman feuern ihre Salven gegen eine imaginäre Welt von Feinden, und draußen fährt ein asiatischer Langnese-Mann auf einem beleuchteten Fahrrad mit einer Drehorgel vorüber. Morgen oder übermorgen geht die Reise weiter, zum nächsten Bild im großen Garten der Welt, denn das asiatische Fotoalbum scheint unendlich, und die Heimat ist nicht weit.
River Rafting während des Chiang Mai Trekkings
Lächeln nur gegen Bares
Endlich die Wahrheit
über die berühmte Trekking-Tour
von Chiang Mai
Im „Rama Guesthouse" in Chiang Mai lief die Wirtin Chrissi zur Hochform auf. Stolz reichte sie Dankesschreiben und Grußadressen in den verschiedensten Sprachen von Tisch zu Tisch. Auf Schnappschüssen erkannte ich wackere Wanderer vor grünen Horizonten, ich sah Reisfelder, Opiumblüten, Elefanten, Flöße, Eingeborenendörfer. Wer konnte da widerstehen? Kurz entschlossen blätterte ich 1300 Baht (etwa 35 Euro) auf den Tisch des Hauses und wurde das achte Mitglied einer Gruppe, die noch heute zu einer dreitägigen Trekking-Tour in das thailändisch burmesische Grenzgebiete aufbrechen sollte. „Good Decision!“ sagte Chrissi und klopfte mir auf die Schulter.
„Gallia est divisa in partes tres“ hatte unser Lateinlehrer erzählt. Nun erkenne ich, dass auch Thailand dreigeteilt ist – in Bangkok, wo man auf den Putz hauen kann, in den Süden, wo die Touristen unter Palmen in der Sonne schmoren und in den Norden, wo gewandert, nein: wo getrekkt wird. Und nirgendwo wird mehr getrekkt als in der Umgebung von Chiang Mai. Gestern Abend war ich mit dem Nachtzug in Chiang Mai, der zweitgrößten Stadt Thailands, eingetroffen, und es hatte mir auf Anhieb gefallen. Hier gab es weniger Stress, Smog und Prostituierte als in Bangkok, die Temperaturen und die Preise waren niedriger, und sogar die Malaria soll in den letzten Jahren ausgerottet worden sein. Eine Gegend, in der ich mich von den Verlockungen Bangkoks erholen und mich asketisch trekkend revitalisieren wollte.
Ich war zum ersten Mal in Thailand und besaß von dem bevorstehenden Ausflug in den Dschungel nur ungenaue Vorstellungen. Ich wusste nur so viel: In Nepal benötigt der Trekker vor allem festes Schuhwerk, um durchzukommen, am Amazonas einen gesunden Magen, um die unvermeidliche Maniok-Suppe zu verdauen und im Hoggar Gebirge ist vor allem anderen das Wasser wichtig. Was aber brauchte ein Trekker, der sich von Chiang Mai aus in die Wildnis