Humbug & Mumpitz – 'Regietheater' in der Oper. Christian Springer

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Humbug & Mumpitz – 'Regietheater' in der Oper - Christian Springer

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Inszenierungen und das Fehlen eines echten Anspruchs solcher zwar kurzlebiger, jedoch trotzdem ärgerlicher Interpretationen wird nur allzu rasch evident, auch wenn das Feuilleton eilfertig vermeintlichen Tiefsinn dahinter ortet. Dass keineswegs alles ‚verstaubt‘, ‚überholt‘ oder ‚reaktionär‘ ist, was sinnvoll und gut ist, beweisen unzählige gegen das Regietheaterunwesen gerichtete Stellungnahmen von Könnern unter Regisseuren (Jonathan Miller, Peter Stein, Franco Zeffirelli), Interpreten (Piotr Beczala, Dietrich Fischer-Dieskau, Riccardo Muti) und Autoren (Daniel Kehlmann, Ephraim Kishon, Georg Kreisler, Botho Strauß,), die sich aus Gründen der beruflichen Kompetenz, der Bildung und nicht zuletzt des gesunden Menschenverstandes von der Regietheatermode weder täuschen noch infizieren lassen. Sie alle kommen hier zu Wort.

      Bevor dies geschieht, empfiehlt sich ein Exkurs zum Wesen der italienischen Oper und zu ihrer Rezeption innerhalb und außerhalb des deutschen Sprachraums. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass ein meinungsbildender Kritiker des 19. Jahrhunderts wie Eduard Hanslick am Entstehen des Phänomens des deutschen ‚Regietheaters‘ und seiner Methoden entscheidend beteiligt war.

      Die pauschale Verachtung, die Hanslick auf dem Gebiet der Musik ganzen Nationen („Das französische Volk besitzt von Haus aus wenig musikalische Anlage, es hat ein schlechtes Gehör und wenig Empfänglichkeit für sinnliche Schönheit des Tones.“[2] oder: „Die singende Alleinherrschaft der Oberstimme bei den Italienern hat einen Hauptgrund in der geistigen Bequemlichkeit dieses Volkes.“[3]) oder gleich der halben Menschheit in Person der Frauen („[...] warum die Frauen, welche doch von Natur vorzugsweise auf das Gefühl angewiesen sind, in der Komposition nichts leisten? Der Grund liegt – außer den allgemeinen Bedingungen, welche Frauen von geistigen Hervorbringungen ferner halten – eben in dem plastischen Moment des Komponierens [...]“[4]) entgegenbrachte, ähnelt fatal dem selbstherrlichen, respektlosen Umgang der ‚Regietheater‘-Regisseure mit den von ihnen inszenierten Werken.

      Dass Hanslick mit Äusserungen wie diesen und mit seinen berüchtigten Kritikexzessen die historische Basis für die mit der üblichen Verzögerung aufgetretenen Regieexzesse der letzten Jahrzehnte geschaffen hat, ist zu naheliegend, um nur eine These zu sein. Er war der erste, der die Leserschaft im deutschen Sprachraum lehrte, dass man mit musikalischen Meisterwerken nach Belieben verfahren kann: Man darf sie und ihre Schöpfer verhöhnen, beschimpfen und in den Schmutz zerren. Er war auch der Meinung, es gäbe „Musikstücke, die man stinken hört“. Wir haben heute die betrübliche Gewissheit, dass es Inszenierungen gibt, die man stinken sieht.

      

      ... ein einfacher Regisseur, ein Subalterner ...

      Cosima Wagner über den Schriftsteller und Regisseur Hermann Schmidt

      Das Publikum ist ein Vieh, das alles schluckt.

      Arrigo Boito an Giuseppe Verdi, 16. Jänner 1881

      Modernes Regietheater ist das aus der richtigen Erkenntnis einer fehlenden Notwendigkeit erschaffene Überflüssige.

      Karl Kraus

      (Kraus hat zwar „Architektur“ anstelle von „Regietheater“ geschrieben, der Gedanke ist aber derselbe.)

      DIE REZEPTION ITALIENISCHER OPERN IM DEUTSCHEN SPRACHRAUM

      Das in der Überschrift enthaltene Spannungsfeld zwischen ‚italienischer Oper‘ und ‚deutscher Sprachraum‘ ist deshalb von besonderem Interesse, weil im deutschen Sprachraum seit jeher eine besonders ausgeprägte Verbundenheit mit symphonischer Musik vorherrschte[5], während in Italien, wo die Kunstform Oper erfunden und zur Hochblüte gebracht wurde, das Hauptinteresse von Komponisten wie Publikum schon immer den Stimmen und dem Gesang galt. Dementsprechend stark unterscheiden sich Rezeption und Kritik von italienischer Opernmusik im deutschsprachigen und im italienischen Raum. Die stilistische Unvereinbarkeit dieser beiden Welten – die vorwiegend von Musikern und Kritikern im deutschen Sprachraum sowie auf akademischer Ebene als solche wahrgenommen wurde, während das Publikum italienische Spielzeiten mit italienischen Interpreten bejubelte (man denke nur an das in Wien ab 1822 grassierende Rossini-Fieber) – schlug sich nicht nur in Diskussionen über die ästhetischen Unterschiede zwischen italienischer Oper und deutscher Instrumentalmusik nieder, wie sie beispielsweise zwischen Pauline Viardot und Clara Schumann geführt wurden, sondern auch immer wieder in Urteilen, die – bewusst oder unbewusst – das Unverständnis ausdrücken, das viele Nicht-Italiener italienischem Gesang gegenüber zum Ausdruck brachten: „Man gab auch viele Vokalstücke, die auf lächerliche Weise gesungen wurden. Wir bekamen Lachkrämpfe.“[6]

      Obwohl dieses weit verbreitete Unverständnis, dessen berühmtester und wirkungsmächtigster Vertreter im 19. Jahrhundert, als es sich bei klassischer Musik noch um zeitgenössische Musik handelte, der Kritiker Eduard Hanslick war, sich zu seiner Zeit nur auf die Musik und ihre Rezeption bezog, findet es heute seine Fortsetzung in der szenischen Darstellung italienischer Opern in einer Art und Weise, die nichts mehr mit den Werken zu tun hat.

      Bevor darauf näher eingegangen wird, soll kurz die Haltung Eduard Hanslicks erläutert werden. Zuvor mag es aber aufschlussreich sein, die Musikkritik in Italien zu betrachten.

      MUSIKKRITIK IM ITALIEN DES 19. JAHRHUNDERTS

      Die Musikkritik im Italien des 19. Jahrhunderts war vorwiegend „Dilettanten, Stümpern, Chronisten und ignoranten Pseudojournalisten“[7] anvertraut. Musikanalysen der Arbeiten von Rossini, Mercadante, Pacini, Bellini, Donizetti oder Verdi gab es zu deren Lebzeiten in Italien fast überhaupt nicht. Verdi, dem dies schmerzhaft bewusst war, beklagte das fast völlige Fehlen einer seiner künstlerischen Statur und Entwicklung entsprechenden zeitgenössischen Musikkritik:

      Dumme Kritiken und noch dümmere Lobhudeleien: kein erhabener, künstlerischer Gedanke; nicht einer, der meine Absichten begriffen hat; immerzu albernes Geschwätz und Unsinn, und hinter allem eine gewisse Missgunst mir gegenüber, als hätte ich ein Verbrechen begangen, dass ich die Aida geschrieben habe und sie gut aufführen habe lassen. Keiner, der wenigstens die ungewöhnliche Aufführung und mise en scène hervorgehoben hätte! Nicht einer, der zu mir gesagt hätte: Hund, ich danke dir![8]

      Zwar gab es den Kritiker Filippo Filippi (1830-1887), einen Juristen, der auch eine musikalische Ausbildung genossen hatte und ab 1858 als Musikkritiker bei Ricordis Gazzetta Musicale tätig war, diese von 1860 bis 1862 leitete und von 1859 bis zu seinem Tod Kritiker bei der in diesem Jahr gegründeten Tageszeitung La Perseveranza sowie bei weiteren Fachpublikationen wie der Gazzetta Musicale di Napoli war, doch verstellte ihm seine Wagner-Bewunderung die ungehinderte objektive Sicht auf Verdis Schaffen (obwohl er zwiespältig aufgenommene Opern Verdis wie den Simon Boccanegra durchaus verteidigte). So befand Filippi beispielsweise – von der Atmosphäre der musikalischen Zwietracht des neuen Italien infiziert, wo futuristische Musik und von jenseits der Alpen importierter Modernismus die Oberhand zu gewinnen schienen, obwohl man all das nicht wirklich verstand und vorwiegend nur aus Kunst-Snobismus zu goutieren vorgab –, dass in der Aida die Verschmelzung von Altem und Neuem nicht so gut gelungen sei wie im Don Carlos. Und er fügte die polemische Bemerkung hinzu, dass den Einfluss von Gounod, Meyerbeer und Wagner auf Verdi zu leugnen der Behauptung gleichkomme, die Sonne sei dunkel. Bei näherer Betrachtung stellt sich allerdings heraus, dass derlei Äusserungen weniger durch profunde Musikanalysen denn durch beleidigte Eitelkeit begründet waren: Verdi hatte Filippis Angebot, nach Kairo zu reisen[9] und von den dortigen Aida-Proben zu berichten, trocken abgelehnt. Zu La forza del destino war Filippi nichts Klügeres eingefallen, als Verdi öffentlich eines Plagiats zu bezichtigen: Er meinte, in Leonoras Arie „Pace, pace mio Dio“ Anklänge an Schuberts „Ave Maria“ vernommen zu haben.[10] Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit reagierte Verdi nach Rücksprache mit Ricordi auf diese absurde

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