Humbug & Mumpitz – 'Regietheater' in der Oper. Christian Springer

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Humbug & Mumpitz – 'Regietheater' in der Oper - Christian Springer

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leichter, und solche Musikbolde können Massen von Musik verzehren, vor welchen der künstlerische Geist zurückbebt.

      So liest es sich, wenn sich ein angehender „nordländischer“ Universitätsprofessor über den geistig minderbemittelten Italiener erhebt. Dass die Kunstform Oper in Italien erfunden und zur Hochblüte gebracht wurde, bedenkt der überlegene „Nordländer“ allerdings ebensowenig wie den Umstand, dass hochmütige und deshalb dumme Pauschalurteile ernsthafte Zweifel an seiner Qualifikation aufkommen lassen. Während seine Geisteshaltung und Wortwahl unselige Assoziationen wecken, die ihn an und für sich zum Sympathisanten des von ihm zuerst bewunderten, später ihm verhassten Richard Wagner und seiner Ideologie prädestiniert hätten, urteilte er mit jener gewissen Überheblichkeit der von ihm selbst so genannten „teutonischen Musikkritik“, die als Kriterien bei der Einschätzung italienischer Opern unvernünftigerweise die kompositorischen Errungenschaften der symphonischen Musik deutscher Komponisten wie J.S. Bach, W.A. Mozart, Beethoven, Schumann, Mendelssohn oder Brahms heranzieht. So meinte er:

      Das Thema allein offenbart schon den Geist, der das ganze Werk geschaffen. Wenn ein Beethoven die Ouvertüre zur ‚Leonore‘ so anfängt, oder ein Mendelssohn die Ouvertüre zur ‚Fingalshöhe‘ so anfängt, da wird jeder Musiker, ohne von der weiteren Durchführung noch eine Note zu wissen, ahnen, vor welchem Palast er steht. Klingt uns aber ein Thema entgegen, wie das zur Fausta-Ouvertüre von Donizetti oder Louise Miller von Verdi, so bedarf es ebenfalls keines weiteren Eindringens in das Innere, um uns zu überzeugen, dass wir in der Kneipe sind.[23]

      Was herausragende deutsche Symphoniker wie Beethoven oder Mendelssohn mit herausragenden italienischen Opernkomponisten wie Donizetti oder Verdi verbindet, bleibt allerdings unklar. Was hätte Herr Hanslick wohl zu der folgenden Äusserung des Verdi-Forschers Julian Budden gesagt?

      Schließlich beschert es [das Orchester der Luisa Miller] uns eine Ouverture, die viele für die schönste halten, die Verdi je geschrieben hat. Gewiss ist es die „klassischste“: mit zwei Themen und einer dicht gearbeiteten Durchführung, die auf einem einzigen Motiv basiert. Hier verbindet sich der Geist Webers mit der Technik Haydns.[24]

      Hanslicks Sichtweise sollte über die Zeiten hinweg Bestand haben. In einer sonderbaren, längst überwunden geglaubten Parallelität der Geisteshaltung fragte ein für seine Originalklanginterpretationen bekannter österreichischer Dirigent, der allem Anschein nach in ständigem Kontakt mit Bach, Händel, Mozart & Co. stand und sich auch der Lehre verschrieben hat, einen seinen ehemaligen Schüler, der eine erfolgreiche internationale Karriere, u.a. im sogenannten Belcanto-Repertoire, hingelegt hatte, mit unverblümter Herablassung: „Warum dirigieren Sie diesen Dreck?“ Er bezog sich im konkreten Fall auf Donizetti. Die Beziehung zwischen den beiden Maestri war in der Folge gestört.

      Hanslicks Entwicklungskurve in Sachen Verdi ist merkwürdig. Er beginnt seine Einschätzungen 1848 mit opportunistisch geifernder Wut, nimmt sich dann im Laufe der Jahrzehnte zuerst zu spöttischer Verachtung, dann zu herablassender Geringschätzung zurück, scheint sich in den 1870er Jahren ruckartig zu besinnen und in aufatmendes Erstaunen und tiefes Verständnis überzugehen, das fast in einen Widerruf seiner früheren Kritiken mündet, endet dann aber mit spektakulärem Unverstand:

      Während der Aufführung wurde mir eines immer klarer: In Deutschland stehen zur Einbürgerung von Verdis „Falstaff“ „Die lustigen Weiber von Windsor“ von Otto Nicolai als ein Hindernis gegenüber, das schwer zu nehmen sein wird. [...] Gegenüber der moderneren, einheitlicheren Form der Verdischen Oper hat die Nicolaische jedenfalls mehr musikalische Substanz. Nach meiner Empfindung sind die besten Nummern aus den „Lustigen Weibern“ den analogen Szenen in Verdis „Falstaff“ musikalisch entschieden überlegen.[25]

      Hanslick ist an dem immensen Verdi nicht gewachsen, er ist an dem „geistlosen Charlatan“ kläglich gescheitert. Johannes Brahms hatte 1874 über Verdis Messa da requiem gesagt: „So etwas kann nur ein Genie schreiben.“[26] Er hätte seinen Duzfreund Hanslick rechtzeitig vor der Veröffentlichung von dessen Die moderne Oper (1875) von dieser seiner Erkenntnis überzeugen und vor historischer Selbstbeschädigung warnen können. Vielleicht hat er es versucht. Hanslick hat die Chance nicht genutzt. Er war als unentrinnbar Gefangener seines „teutonischen“, theorielastigen Zuganges zu Musik dazu außerstande. Er hat weder Verdi noch den großen Themenkreis der Oper und der Kultur Italiens verstanden.

      DIE ITALIENISCHE OPER

      Wer je in einer Gerichtsverhandlung das Plädoyer eines neapolitanischen Rechtsanwaltes erlebt hat, begreift, weshalb die Kunstform Oper nur in Italien entstehen konnte. Ein solcher Vortrag mit seinem dramaturgisch klug gegliederten Aufbau, seiner steigenden und fallenden Sprachmelodie, seinen dynamischen Abstufungen, seinen wechselnden Tonarten und Tempi, seinen expressiven Stimmfarben, seiner vehementen Dramatik, seinen melodramatischen Übertreibungen und seiner sprachlichen Virtuosität beinhaltet all das, was eine Arie zu einer Arie und eine Oper zu einer Oper macht.

       Nikolaus Harnoncourt hat daraus den Schluss gezogen: „Oper kann man nur in italienischer Sprache komponieren, alle anderen Lösungen sind interessante Entgleisungen.“ Das inkludiert nicht nur alle italienischen Opern von Monteverdi bis Puccini, sondern selbstverständlich auch jene von W.A. Mozart und all die Werke, die von nicht-italienischen, beispielsweise deutschen Komponisten wie Georg Friedrich Händel, Johann Adolph Hasse oder Johann Simon Mayr usw. in italienischer Sprache komponiert wurden. Dass sich der Bayer Mayr in Italien niederließ, dort als Giovanni Simone Mayr zu einem italienischen Komponisten wurde, mehr als 60 erfolgreiche italienische Opern verfasste und darüber hinaus der Lehrer von Gaetano Donizetti war, ist ein schöner Beweis für die Richtigkeit dieser Aussage.

       Was reale, gelebte Popularität italienischer Opern bedeutet, haben Regietheater-Regisseure ebenso wie ihr Stammvater Eduard Hanslick nicht begriffen. Es geht dabei nicht primär um außerordentliches kompositorisches Können, philosophischen Tiefsinn, Bekanntheit oder Ruhm, sondern um das gesellschaftliche Phänomen der Identifizierung einfacher Menschen mit einer dem Gesang verpflichteten Musikgattung.

      Hanslick ist, wie zu sehen war, dem Missverständnis erlegen, eine Oper – auch eine italienische – müsse nach den Methoden und Maßstäben der von ihm geliebten Symphoniker von J.S. Bach bis Brahms komponiert werden, um vor seinem selbstherrlichen Urteil bestehen zu können. In gleicher Weise glauben Regietheater-Regisseure, italienische Opern müssten unbedingt ihrer Gedankenwelt angepasst werden. Hätten sie je verstanden, worum es bei der italienischen Oper in Wahrheit geht, würden sie nicht beständig versuchen, etwas, das sie selbst nicht verstehen, das Publikum aber sehr wohl versteht, in penetranter Art und Weise mit ihren Arbeiten „verständlich“ zu machen.

      Es war überraschenderweise ein Deutscher, nämlich der Schriftsteller Frank Thiess, der das Wesen der italienischen Oper nicht nur verstanden, sondern auch pointiert definiert hat: „[...] ein Donizetti, ein Rossini, ein Ponchielli, ein Verdi, ein Puccini [sind] unter allen Umständen, selbst auf dieser Höhe der Kunst, italienisches Volksgut. Ich habe noch nie eine deutsche Köchin die große Leonoren-Arie singen hören, aber sehr oft einfache Italienerinnen ariose Stellen aus Verdis oder Puccinis Opern.“[27]

       Was damit zum Ausdruck gebracht wird, ist das altbekannte, dennoch seltsame Verhältnis zwischen Nord und Süd, das in der Operngeschichte immer wieder Gegensatzpaare hervorgebracht hat: Gluck und Piccinni, Mozart und Cimarosa, Weber und Rossini, Wagner und Verdi, Strauss und Puccini.

      Die Musikfreunde nördlich der Alpen sind an Ideendramen in Opern interessiert, an Hintergründigkeit, Intellektualität, Tiefsinn, Metaphysik; sie lieben es, auf der Bühne tiefschürfende philosophische und weltanschauliche Abhandlungen zu verfolgen und musikalisch untermalt zu hören, was eigentlich die ideale – und einzige – Spielwiese für das Regietheater wäre.

      Demgegenüber wollen die Musikfreunde südlich dieser

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